Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

DOI Artikel:
Firmenich-Richartz, Eduard: Passionsbilder des Quinten Massys
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0014

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abhandlungen.

Passionsbilder des Quinten Massys.

Mit Abbildung

(Tafel I).

ie Traditionen des Jan
van Eyck und Hans
Meinung, die in
Brügge so treulich
Generationen hin-
durch bewahrt blie-
ben, erstarben mit der Vorherrschaft
Antwerpens in der flandrischen Kunst.
Mit dem Beginn des XVI. Jahrh.
verließen die dortigen Maler das begrenzte
Feld, welches jener große Realist zuerst er-
schlossen und urbar gemacht hatte. Die An-
reihung subtiler Einzelbeobachtungen erschien
ihnen nunmehr starr, der Maßstab der Figuren
allzu bescheiden. Der Ausdruck der Köpfe,
die Sprache der Gebärden auf den über-
kommenen Tafelbildern war ihnen zu schlicht,
nicht eindrucksvoll, nicht fesselnd genug. Auch
in dieser Hinsicht wirkte der genius loci, ein
Zug zum Großen, Wirksamen tat sich kund.
Im Getriebe der Händelstadt sollen die Kunst-
werke auch den Flüchtigen in der Betrach-
tung festhalten und sich durch die Eigenart
der Figurenverbindung und Motive als ein
Neues, Ganzes erschließen; ein Bildeindruck
soll in der Vorstellungskraft des Beschauers
fortleben. Der Endzweck eines Gemäldes be-
steht nicht bloß darin, eine einfache Situation
getreu dem Leben abzuspiegeln oder Figuren
nach festem Typus in hergebrachten Attitüden,
in symmetrischem Schema, einer Art architekto-
nischem Gruppenbau, zusammenzustellen. Der
Künstler wird sich allmählich seiner subjektiven
Anschauungen bewußt; er legt Wert auf seine
eigene Konzeption, will seine innerliche Ver-
arbeitung des Sujets, seine besondere Auf-
fassung dokumentieren und hiermit Eindruck
machen. Diese Neigung sich auszusprechen
ist zwar nichts gänzlich Neues, auch die Bilder
der Eyck-Schule enthielten eine selbständige
Umbildung überlieferter Darstellungskreise; bei
ihrer völligen Hingebung an die Arbeit, dem
Aufgehen der Phantasietätigkeit in der wirk-
lichen Erscheinung und dem selbstvergessenen
Fleiß tritt das Wesen jeder Persönlichkeit aber
nicht mit gleicher Intensität und Absichtlich-

keit hervor. Der Anspruch an das Kunst-
werk, daß es eigenartig, neu und sinnvoll über
den Anblick der Natur hinausgehe, führte zur
Verschärfung der Charakteristik und zur Häu-
fung anekdotenhafter Züge. Die Umwälzung
vollzieht sich selbstverständlich nicht mit einem
Male in der Tätigkeit eines einzelnen Meisters,'
aber man erkennt die prinzipielle Veränderung
der Ziele, wenn man die figurenreichen Szenen
aus Bibel und Legende des Lucas van Leyden,
Pieter Breughel, Hieronymus Bosch, die uns
in ihrer urwüchsigen Derbheit fast wie Paro-
dien berühren, mit den feierlichen älteren
Andachtsbildern vergleicht.

Quinten Massys (Metsijs) aus Loewen
(t 1530) war der geniale Künstler, der das
faszinierende Leben aus eigener Anschauung
auf dem Boden 'nationaler Sonderart künst-
lerisch neu zu prägen suchte. Er muß als der
eigentliche Begründer der spezifisch Antwer-
pener Malerei gelten. . Die Sage berichtet,
wie er durch eine Herzensneigung vom Grob-
schmied zum Maler wurde und die Selbstän-
digkeit seines geschlossenen künstlerischen
Wesens drängt sich sofort bei der Betrachtung
seiner imposanten Werke auf. Sicher be-
glaubigte Schöpfungen, die sich als Original-
gemälde erhalten haben, rühren sämtlich aus
seinen reifen Lebensjahren. Die Stilkritik hat
aber schon früh den Versuch gemacht, durch
Vergleich mit diesen auch einige frühe Lei-
stungen zu bestimmen, sie erweisen den engen
Anschluß an den Haarlemer Dierick Bouts,
den Stadtmaler von Loewen (f 6. Mai 1475),
der in der Erzielung einer monumentalen
Wirkung seiner Tafeln dem Antwerpener Grob-
schmied vorausging.1) Dem Bildner, welchem
es in erster Linie auf den erschütternden Ein-
druck seiner Darstellungen ankam, bot die
Passion des Herrn den allerdankbarsten Gegen-
stand, und so gewinnen wir vor der „Klage
am Leichnam Jesu" im Antwerpener Museum
Nr. 245 die beste Vorstellung von der mäch-

]) Dr. Walt er Cohen, »Studien zu Quinten Metsijs.«
(Bonn 1904). Der Christophorus im Antwerpen er Museum
Nr. 29 zeigt den Übergang eines Nachfolgers des Bouts
zu der größeren, eindringlichen Auffassung des Massys,
der schmerzvolle Christuskopf auf dem Schweißtuch
der Veronika (ebendort Nr. 250) rührt bestimmt von
Aelbrecht Bouts her. . • ...........
 
Annotationen