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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bachem, J.: Der Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechselburg, [2]
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Bone, Karl: Grenzen der christlichen Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0232

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369

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

370

XIII. Jahrh. nach Chartres, wo er die Stein-
technik in dem Atelier lernte, das die Quer-
schiffassaden der Kathedrale mit Skulpturen
zu schmücken hatte. Zwischen 1220 und 1225
kam er nach Sachsen. Jetzt entstand sein
Frühwerk: Der Johannes und Christus des
Freiberger Lettners. Dann arbeitete er nicht
vor 1230 in Wechselburg die Kreuzigungs-
gruppe, den David, Daniel, Salomo und Kain.
Bei diesen Werken läßt sich der französische
Einfluß kaum noch erkennen, so sehr hat der
Künstler die Befangenheit und Strenge der
Formengebung überwunden. Den Gipfel in

seinem Schaffen bedeuten die beiden Statuen
des David und Salomo, sowie eine Reihe von
Archivoltenfiguren in Freiberg, wo er in jeder
Hinsicht weit über das in dem Chartreser
Atelier erreichte Ziel hinausgeht. Diese letzten
Werke entstanden wenige Jahre vor 1240.8)

Köln. J. Bachern.

8) Wie mir Dr. Franck, der Verfasser des oben-
genannten Buches brieflich mitteilt, hat auch er die
Zusammenhänge der sächsischen Plastik mit Chartres
erkannt und diese seine Ansicht in seinem Buche über
die Straßburger Ecclesia und Synagoge angedeutet.

Grenzen der christlichen Kunst.

(Mit 2 Abbildungen.)

(Schluß.)

■5 kann nicht zweifelhaft sein, daß
ein Zurückgreifen in zurückliegende
Kunstformen dem christlichen
Künstler die Sache erleichtert.
Wie das Christentum den Geist über das
Alltägliche, auch wenn er sich mitten darin
bewegt, emporhebt, ein Erheben aber immer
ein Entfernen bedeutet, so ist es der christ-
lichen Empfindung naheliegend, daß sie
im christlichen Kunstwerke die Welt und
namentlich die Menschen nicht gerne in der
Erscheinung, im Kleide der alltäglichen Um-
gebung, gleichsam als herausgegriffen aus der
lebendigen wirklichen Gegenwart, vor sich
erblickt. Wie sträubt sich im allgemeinen das
Gefühl schon dagegen, in einem öffentlichen
profanen Denkmale in Bronze oder Stein die
Kleidung der Gegenwart, den Frack, den Zy-
linder, zu sehen! Wie anstößig sind vielen
die Spitzengewänder und Modekleider auf den
Friedhöfen vieler italienischer Städte (Mai-
land, Genua). Es ist aber doch begreiflich,
daß diese natürliche Empfindungsweise auf
dem Boden religiösen Empfindens noch mehr
ausgeprägt ist. Die Künstler, die die Wieder-
gabe einer scharfgezeichneten Gegenwart ver-
meiden und Landschaft, Kostüm und Gesichts-
bildung mehr komponieren als vom gegen-
wärtigen Modell ablesen, kommen — und sie
wollen das — diesem Gefühle entgegen. Ist
dabei alles an sich zeichnerisch, koloristisch,
innerlich, überhaupt ästhetisch richtig, so findet
nicht leicht jemand etwas, was jene Erhebung
stören könnte; er müßte denn jedes einzelne
scharf auf seine realistische Treue prüfen.

Tut er letzteres, dann muß er vielleicht sagen:
Diese Palme hier ist eigentlich keine Palme,
ein wirklicher Esel trägt seine Ohren niemals
so, ein solches Männerantlitz hat nie gelebt.
Es ist aber keine Frage, daß das Allegori-
sierende über den Kontrast zwischen Idee
und realer Zufälligkeit hinweghilft. Wenn hin-
gegen ein Künstler, wie z. B. Meister von
Gebhardt — in ganz anderem Sinne wie alte
Meister — seine christlichen Darstellungen in
eine ziemlich engbegrenzte, wenn auch ver-
gangene Gegenwart verlegt, so setzt er sich
der Gefahr aus, den Geist des Beschauers
von der Idee abzuwenden und auf die Gegen-
sätze zu der gegenwärtigen Gegenwart und
ebenso zu herrschenden Vorstellungen über
biblische Zeiten hinzulenken. Das greifbar
Unhistorische — nicht gemildert durch die
Naivität früherer Anachronismen, die die
gröbsten Verstöße gegen alle äußere Wahr-
heit entschuldigt, ja adelt — kann geradezu
anstößig werden, kann das Bestgemeinte be-
denklich erscheinen lassen. Für ein gut Teil
dieses Unhistorischen in den Werken v. Geb-
hardts und mancher ihm nachstrebender oder
ihn imitierender protestantischer Künstler darf
aber nicht übersehen werden, daß der christliche
Kreis, den der Künstler im Auge hat, der
protestantisch-christliche ist und die Kunst-
werke selbst sozusagen protestantische sein
sollen. Von diesem Kreise wird die historisch
unzutreffende vergangene Gegenwart anders
empfunden als von Angehörigen anderer Kon-
fessionen. Ein echter und frommer Protestant
wird sich zweifellos herzlich daran erbauen
 
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