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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bachem, J.: Der Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechselburg, [1]
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323

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

324

Der Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechselburg.

Mit 9 Abbildungen.

ie sächsische Plastik hatte
während des XII. Jahrh.
in den Stuckreliefs zu
Gernrode, Halberstadt
und Hildesheim nur de-
korative plastische Arbei-
ten hervorgebracht. Im
Beginne des XIII. Jahrh.
tauchen nun in Magdeburg, Wechselburg und
Freiberg sowie an anderen Orten Sachsens frei-
plastische Arbeiten auf, für deren Stil die Vor-
stufen fehlen. Diesen Abbruch der Entwicklung
hat Goldschmidtx) zuerst zu erklären versucht.
Er wies nach, daß eine Anzahl von Statuen und
Reliefs, die sich jetzt im Chor des Magde-
burger Domes eingemauert finden, zusammen-
gehören und für ein Portal bestimmt waren.2)
Die Meister dieser Skulpturen haben nach
Goldschmidt in Chartres oder Paris gelernt
und von ihrem Atelier sind die VVechselburger
Skulpturen, die aus dem Freiberger Dome
stammende Kreuzigungsgruppe in Dresden
und die Skulpturen der goldenen Pforte in
Freiberg abhängig.

Von den letztgenannten drei Gruppen
plastischer Arbeiten soll im Folgenden eine
Reihe von Werken um eine Persönlichkeit,
den Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechsel-
burg, gruppiert und auf die Herkunft des
Stiles hin untersucht werden. Mit dem Frei-
berger Kruzifix möge, da es das altertümlichste
ist, begonnen werden. (Vgl. Fig. 2.)

Die Freiberger Kfeuzigungsgruppe8) besteht
aus Christus, Maria und Johannes. Nur
Christus und Johannes gehören zusammen.
Johannes steht neben dem Kreuze auf einem
symbolischen Tier. Das rechte Bein hat er
leicht zurückgesetzt und gekrümmt, sodaß in
den Fall der Gewandung eine Abwechslung
kommt. Seine Kleidung besteht aus Unter-
gewand und Überwurf. Der Kopf sieht gerade-
aus, nur unmerklich ist er zur Seite gewendet.

*) Studien zur Geschichte der sächsischen Skulp-
tur. Berlin 1902.

2) Ebenda S. 22 ff.

3) Die übrigen Reste des Lettners, zu dem die
Gruppe gehörte, sind zu zerstört, als daß sie ein
sicheres Urteil ermöglichten. Vgl. die Umrißzeichnungen
bei Steche: Darstellung der älteren Bau- und Kunst-
denkmäler des Königreichs Sachsen. 3. Heft. S. 19 ff.

Er zeigt einen jugendlichen bartlosen Typus
mit rundem, vollem Gesicht, wenig modellierter
Stirn, scharfgeschnittenen und geschwungenen
Augenbrauen, rundem Kinn und lockigem
Haar. Maria steht auf einem niedrigeren
Sockel, ist daher kleiner als Johannes. Da
bei Kreuzigungsgruppen Maria und Johannes
immer gleichgroß dargestellt sind, da der Ge-
wandstil bei ihr weicher ist als bei Johannes
und da sie ein anderes Standmotiv aufweist,
nehme ich an, daß sie einem anderen Künstler
angehört.

Der Schmerz um den Gekreuzigten äußert
sich bei Johannes lediglich in der zur Wange
erhobenen Hand. Den wilden, leidenschaft-
lichen Schmerz, wie ihn der Naumburger
Johannes zeigt, können wir bei ihm nicht
wahrnehmen. Die Auffassung ist hier inner-
licher.

Von stilistischen Eigenschaften fällt zunächst
der strenge, architektonisch geregelte Umriß
auf. Keine einzige Falte drängt sich aus der
Silhouette heraus. Diese Eigenschaft ist bei
keiner einzigen der vorangegangenen deko-
rativen Arbeiten des XII. Jahrh. zu bemerken.
Die Figuren der Hildesheimer Chorschranken
z. B., die doch schon statuenmäßig gedacht
sind, weisen einen so strengen Kontur nicht auf.
Die Gewandfalten fallen stramm und straff
herunter. Alles ist herb und streng stilisiert.
So dreht sich der Bausch, den der Überwurf
am Ellbogen bildet, fast widerwillig und mit
stahlartiger Elastizität, um dann wie mit dem
Lineal gezogen herunterzufallen. Die durch
die Stellung des rechten Beines entstandenen
Faltenschiebungen stoßen am Knie scharf
und eckig gegeneinander. Auch die am
rechten Unterarm sich bildenden Falten sind
scharf im Kontur und herb in der Linienführung.
Die Behandlung der Körperformen zeigt
eine Befangenheit, die mit dem jugendlichen
Typus des Dargestellten sowie seinen schlanken
Proportionen in Widerspruch steht. Eine
unsichtbare Architektur seheint Johannes an
der Bewegung zu hindern. Daher der Ein-
druck des Steifen und Unelastischen. Diese
Unfreiheit läßt sich auch in den einzelnen
Gliedmaßen, z. B. den Händen beobachten.
Durch die große Feinheit in der Behandlung
des Nackten jedoch wird diese Strenge gemildert.
 
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