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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Raspe, Theodor: Eine bronzene Kreuzigungsgruppe in Hamburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0115

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173

1907..— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

174

Eine bronzene Kreuzigungsgruppe in Hamburg.

(Mit Abbildung.)

s ist Lichtwark zu danken, daß die
Kunstgeschichte in jüngster Zeit
um ein Neuland bereichert wor-
den ist, dessen Vergangenheits-
kunst völlig im Dunkel der Vergessenheit unter-
gegangen war. Wenigstens an drei Stellen
muß Hamburg fortan mit in erster Linie unter
Deutschlands Kunststätten genannt werden,
wenn ihm nicht gar der Vortritt gebührt: in
der Zeit um 1400, in der zweiten Hälfte des
XVII. Jahrh. und im Anfange des XIX. Jahrh.
Von den Namen Bertram, Francke, Scheits und
Runge bedeutet beinahe jeder ein Programm.
Auffällig ist es, daß gerade der eigenartige
Empfindungsgegensatz des ausgehenden XIV.
und frühen XV. Jahrh. durch Meisterwerke1)
verkörpert wird, während sich das Kunstideal
des spätesten Mittelalters mit seiner charakte-
ristischen nationalen Färbung nur in wenigen
und verhältnismäßig schwachen Leistungen
ausspricht.

Von diesen Resten, die sich über den
großen Brand von 1842 hinaus bis in die
Gegenwart hinübergerettet haben, spielt allein
eine fünfteilige bronzene Kreuzigungs-
gruppe in der Lokallitteratur eine bedeutsame
Rolle, die in sonderbarem Gegensatz zur völligen
Nichtbeachtung des Denkmals in allen Hand-
büchern steht.2) Der Wert der Gruppe liegt
in der Mitte zwischen beiden Extremen.
Martin Gensler, der ihr den hohen Ehren-
platz angewiesen hat,3) war noch ganz in
ästhetischen Vorurteilen befangen und hat
seine Ansichten beinahe präziser in einer un-
absichtlich fälschenden Zeichnung wie in seiner
eingehenden, liebevollen Beschreibung nieder-
gelegt. Seine Auffassung, wie sie die Zeichnung
offenbart, besitzt heute fast selber schon histo-
risches Interesse. Wenn aber auch nur weniges
von Genslers Lob vor unser Kritik bestehen
bleibt, so verdient doch das Denkmal als
seltenes Dokument der Gießerkunst des frühen
XVI. Jahrh. eine eingehendere Würdigung.

') Die Arbeiten Meister Bertrams und Franckes
in der Kunsthalle zu Hamburg.

2) Auch in der ,,Geschichte der Metallkunst" von
H. Lüer und M. Creutz Bd. I. (Stuttgart 19041
nicht erwähnt.

') „Das Kruzifix zu S. Georg" in „Von den
Arbeiten der Kunstgewerke des Mittelalters zu Ham-
burg". Hamburg 1865.

Über seine Bedeutung — als letzte der
drei „Kreuzstationen", die an die drei-
malige Ruhe Christi auf dem Wege vom Richt-
hause bis Goigatha erinnern sollen — sowie
über seine ursprüngliche Aufstellung (bis 1831)
auf dem St. Georgskirchhof sind wir durch
ältere Beschreibungen und Abbildungen genau
unterrichtet.4)

Wichtiger für uns ist das Problem seiner
Herstellung, die vielleicht auf einem Um-
wege vor sich gegangen ist; es befindet sich
nämlich am Chor der St. Nikolaikirche
noch eine Wiederholung der drei-
teiligen Mittelgruppe. Die im frühen
Mittelalter übliche, von Theophilus beschriebene
Methode, nach der das Wachsbild direkt über
dem Kern modelliert, von einem erstarrenden
Brei umhüllt und schließlich ausgeschmolzen
wurde, hätte einen doppelten Guß verhindert.
Man hat also wohl ein Ton- oder Gipsmodell als
Ausgangsstufe und zur Abnahme einer Hohl-
form benutzt und damit ein Verfahren ange-
wandt, wie es später Benvenuto Cellini be-
schreibt, oder wie es in verwandter Art uns
vom Innsbrucker Kaiserdenkmal überliefert
und bis heute in mehr oder minder großer
Abänderung üblich ist. Da es sich schon
eines etwaigen Fehlgusses wegen empfehlen
mußte und die Reihenfolge der Herstellung
weniger verwickelt ist, als es den Anschein
hat, so dürfen wir es vielleicht auch für das
späte Mittelalter als bekannt voraussetzen.
Einzelne Teile, wie das Kreuz, die Symbole
der Wundmale auf der Kreuzrückseite oder
der Engel über dem linken Schacher sind für
sich gegossen. Dagegen bilden die beiden
Schächergestalten mit dem wagerechten Kreuz-
balken einen einheitlichen Körper, der an
einem Eisenstamm befestigt ist.

Diegotisch profilierten Steinposta-
mente stammen aus gleicher Zeit. Die Höhe
der Figuren beträgt etwa einen halben bis
einen Meter.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die ganze
Gruppe einst kalt bemalt war; auf der
Wiederholung der Nikolaikirche war bis zur
Zeit des großen Brandes, aus dem sie glück-

4) „Ausführliche Nachricht von dem H. Ritter
Georgio" von M. J. B. H. (Hempel). Hamburg 1722.
 
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