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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bachem, J.: Der Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechselburg, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0231

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1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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identisch. Sie haben mit diesen die Kleidung,
den Gewandstil, die Proportionen, die Gesichts-
typen, die Behandlung des Nackten und der
Haare, Standmotiv und Ponderation sowie
Profilierung der Falten gemeinsam, zudem
stehen sie in der Qualität der Arbeit mit ihnen
auf derselben Stufe. Daher sind die beiden
Freiberger Statuen von demselben Meister wie
die Wechselburger, nämlich dem der Kreuzi-
gungsgruppe, der in Chartres gelernt hat.

Schließlich bleibt sein Anteil an den Archi-
voltenfiguren zu bestimmen. (Vgl. Fig. 9.)

Hier lassen sich als zusammengehörig
folgende Figuren erkennen: In der ersten
Archivolte Christus, Maria und der das Buch
herantragende Engel, in der zweiten Archi-
volte alle Figuren, mit Ausnahme der ersten
links unten und der ersten und zweiten rechts
unten, in der dritten Archivolte alle Figuren,
mit Ausnahme der ersten unten links und der
ersten und zweiten unten rechts. Alle diese
Figuren haben eine Reihe von Eigenschaften
gemeinsam. -

Die Archivolten hatten vor der Verarbeitung
zu Figuren dieselbe Form wie die Pfeiler. Es
waren rechtwinklig behauene Blöcke, die über-
eck in die Mauer versetzt waren. In die
vordere Hälfte dieser Blöcke, die im Quer-
schnitt etwa ein rechtwinkliges Dreieck zeigt,
sind die Figuren unter dem Gesichtspunkte
möglichst freier und lebendiger Bewegung bei
möglichster Ausnutzung des Materials kom-
poniert. Um das Erstgenannte zu erreichen,
ist bei allen die kühne Drehung in den Hüften
angewendet, am ausgeprägtesten wohl bei dem
vierten links der dritten Archivolte. Diese
Kühnheit läßt es uns vergessen, daß der Raum
so beschränkt war. Zwecks Ausnutzung des
Materials ist immer dasselbe Mittel verwandt.
Die vordere Ecke des Blockes wird über den
Knien durch die Hände oder die Attribute
ausgefüllt. Weiterhin ist für die Kompositionen
charakteristisch, daß bei allen Figuren der hier
behandelten Gruppe ein bestimmter Standort
eingenommen werden muß, wenn sie unge-
zwungen wirken sollen. Dieser liegt für die
zweite Archivolte etwas weiter nach dem Portal
zu als bei der dritten.

In der Gewandbehandlung ist durchweg
eine großzügige Wirkung erstrebt. Dafür ist
die Behandlung der Gewandung zwischen den
Knien charakteristisch. Eine breite domi-
nierende Hauptfalte zieht sich von Knie zu

Knie. Vgl. die Rückenpartie der vierten links
in der dritten Archivolte. Gemeinsam ist allen
diesen Figuren auch eine außerordentliche
Straffheit der Linienführung.

Auch in der Behandlung der Formen ist
der enge Zusammenhang zwischen den Figuren
dieser Gruppe festzustellen. Die Proportionen
sind breit und kräftig. Das Nackte ist rea-
listisch und doch nicht kleinlich behandelt.
In der Qualität der Ausführung ist kein Unter-
schied zu sehen.

Da nun alle diese Eigenschaften in dieser
Weise vereinigt bei den übrigen Archivolten-
figuren nicht zu sehen sind, haben wir die
Figuren dieser Gruppe als das Werk eines
Künstlers anzusehen. Er ist mit dem Meister
des David und Salomo identisch, denn seine
Figuren zeigen denselben breiten und allge-
meinen Stil, den monumentalen Wurf der Ge-
wandung, die fehlerfreie Wiedergabe der
Formen, die realistische und doch nicht klein-
liche Behandlung des Nackten. Auch die
Verwandtschaft der Gesichtstypen, z. B. des
Christus in der ersten Archivolte mit dem
Wechselburger Gottvater, des dritten links der
zweiten Archivolte mit dem Wechselburger
Adam, zeigt dasselbe. Dadurch wird auch
die Richtigkeit der Ableitung seines Stiles be-
stätigt, denn die Archivoltenfiguren des Mittel-
portales der nördlichen Querschiffassade in
Chartres zeigen in den Sitzmotiven, dem Ge-
wandstil und besonders den Kopftypen eine
enge Verwandtschaft mit den Freiburger Archi-
voltenfiguren dieser Gruppe. Doch sind die
deutschen Figuren ungezwungener und kühner
bewegt, die Kompositionen auf einen be-
stimmten Standort berechnet und der Stil ist
breiter.

Die Datierung der Wechselburger und Frei-
berger Arbeiten des Meisters läßt sich an-
nähernd geben. Der Johannes in Dresden
war um 1220—1225 entstanden. Demnach
können wegen des außerordentlichen stilisti-
schen Fortschrittes das Wechselburger Kruzifix
und die damit gleichzeitigen Reliefs am Lettner
frühestens um 1230 gerarbeitet worden sein.
Da die Skulpturen in Freiberg aber den Gipfel
in der Entwicklung des Meisters bilden, sind
sie in die dreißiger Jahre des XIII. Jahrh. zu
datieren.

Das Ergebnis der Untersuchung ist: Der
Meister der Wechselburger Kreuzigungsgruppe
kam innerhalb des zweiten Jahrzehnts des
 
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