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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Graus, Johann: Die Doppelkapelle im Schloß Tirol bei Meran
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0018

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1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

10

Stadtgemeinde Meran die Möglichkeit, es zurück-
zukaufen und als patriotisches Geschenk dem
österreichischen Kaiserhause wieder heimzu-
stellen.1)

Wer nun, dieses Denkmal zu beschauen, von
Meran über den Hügelrücken herpilgert, das
Dorf Tirol und weiter den für den schmalen
Fußweg durch einen Bergvorsprung gebrochenen
Tunnel passiert, hat freilich nur einen Teil
seines alten Bestandes mehr vor sich; denn ein
Burgteil ist im Abstürze verloren gegangen.
Doch das Wichtigste steht aufrecht und ist ent-
halten im Palas, dem Südtrakte, zu dessen Ober-
geschosse eine Freitreppe ansteigt. Sie bringt
den Besucher vor eines
der zwei skulpturen-
reichen Portale, die
längst schon die Auf-
merksamkeit der Ar-
chäologen erregten und
mancherlei Deutungen
hervorgerufen haben

verschiedenartigster
Richtungen. Soviel
wird davon klar, daß
jene Periode des roma-
nischen Stiles redselig
über die Maßen, aber
so unbeholfen in ihren
Mitteilungsformen war,
daß sie wohl leicht
unverstanden bleibt,
wenigstens für fern-
gelegene Zeiten. Durch
diese Pforte eintretend,
stehen wir im „Sal",
..Rittersaale", wie man das heutzutage nennt,
einem langen und weiten, mit einer Holzdecke
versehenen Prachtraum (etwa 21 m lang, 12 m
weit), den vier Säulenstützen durchziehen. Mit
Säulcheneinsatz zweigeteilte Bogenfenster (Fig. 1)
vermitteln die reichliche Lichtzufuhr und köst-
liche Talschau; auf einen Glasverschluß sind
sie keineswegs berechnet, höchstens auf eine
Verwahrung mit Läden. Bis in die Fenster
hinein erstreckt sich der Skulpturenschmuck,

') Eine ausführliche Beschreibung dieses Schlosses
mit den historischen Angaben brachte Dr. Gotter in
den Mitteilungen d. K. K. Zentralkom. 1868 S. XXXVIII.
Konservator K. Atz verbreitete sich hierauf in seiner
>,Kunstgeschichte Tirols" an mehreren Stellen, S. 60,
112 bis 114, 159. s. 153 findet sich dort auch eine
"ordentliche Grundrißaufnahme der Burggebäude.

Abbildung 1. Schlofs Tirol, Rittersaal.

den sich die Erbauer leisteten. Die Säulen-
kapitäle imitieren meistens korinthische Kapitäl-
motive, und an den quer durch die Mauer-
dicke sich erstreckenden Kämpfern gibt es
unter anderem Reliefs von Trauben, Fischen,
einem mit der Angelschnur gefangenen Drachen-
tiere, einem bärtigen, rudernden Manne in der
Segelbarke. Von diesem Saale, der Südwand
nahe, öffnet sich die Pforte zur Kapelle,
welche die Südostecke des Palas (hier in alten
Aufschreibungen „Mueshaus" geheißen) bildet.
Im großen und ganzen hat sie gleiche Anlage
und auch denselben Stil des XII. Jahrh. mit
dem Portale des Rittersaales. Beide haben das
Mauergewände einge-
stuft, die Stufenecke
mit einem Rundsäul-
chen ausgesetzt und
diese Gliederung auch
im Halbkreise über
dem Türsturze und
dem Tympanon zum
Höhenschlusse fortge-
führt. In dieser Gliede-
rung ist das Kapellen-
portal um ein Pfeiler-
paar, Auflager des Tür-
sturzes reicher gehal-
ten. Die jener Zeit
gebräuchlichen steilen
attischen Basen und
trapezförmigen Kapi-
tälgesimse fehlen hier
nicht an den senk-
rechten Gliedern; ein
dichtes Ornamentge-
webe, gelegentlich mit Masken und Tiergestalten
unterbrochen, überdeckt die Wandpfeilerflächen
und alles an den Archivolten der zwei Portale.
Das Zierwerk beider Torumrahmungen ist gut.
Der figurale Teil ihrer Ausstattung manifestiert
jedoch eine auffallende Unbeholfenheit, und diese
hindert auch sehr das Eindringen in den Sinn
der phantastischen Gebilde. An der Saalpforte
ist nur ganz verständlich die Engelsgestalt im
Tympanon, im weiten Leibrocke stehend, den
Lanzenstab in der Linken, mit der Rechten seg-
nend. Da der Türsturz unter ihm erneuert ist,
konnte darauf auch der höllische Drache darge-
stellt sein, und dann wäre, wie ich vermute, in
diesem Engel der Schutzgeist ritterlichen Wesens,
St. Michael, zu erkennen. Das übrige der Fi-
guren herum möchte sich schwer im Zusammen-
 
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