Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

DOI Artikel:
Kleinschmidt, Beda: Zwei mittelalterliche Elfenbeinkämme
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0036

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
39

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

40

eine Erinnerung an die Antike: nicht nur
die köstliche Blattverzierung und die Ge-
wandung, auch die edle Haltung der darge-
stellten Personen, die guten Körperproportionen,
das schwache Relief und besonders das sichere
Raumgefühl lassen uns in dem Schnitzer einen
bedeutenden Künstler erblicken, der zudem
ein Meister der Technik ist und mit voller
Sicherheit alle Einzelheiten wiederzugeben weiß.
Der Ursprung unserer Arbeit muß in einer
der drei von Clemen näher umgrenzten fran-
zösischen Schulen ge-
sucht werden und es
kann nicht zweifelhaft
sein, daß sie in Metz
entstanden ist. Clemen
und Paul Weber haben
eine größere Anzahl
Elfenbeinwerke aus
der Metzer Schule zu-
sammengestellt, von
denen einzelne eine
große technische Fä-
higkeit ihres Urhebers
zeigen. Zu dieser
Schule gehört auch un-
zweifelhaft ein Elfen-
beindeckel mit Kreu-
zigungsgruppe, womit
unser Kamm unver-
kennbare Ähnlichkeit
hat, wie bereits Mo-
linier hervorgehoben
hat.7) Wie Molinier,
so hatte auch schon
Westwood gesehen,8)
daß der Kamm viel
älter ist als der Heilige,
dessen Name er trägt,
und ihn deshalb dem
IX. Jahrh. zugewiesen. Der in Frage stehende
Elfenbeindeckel befindet sich auf Cod. 9383 in
der Pariser Nationalbibliothek9) und gehört
zu der bekannten von P. Weber gewürdigten
Gruppe mit Ekklesia und Synagoge. Zwar ist
die Darstellung hier eine viel reichere, auch die
Stellung der Personen ist verschieden, was durch

Abbildung 2.

7) Molinier, »Ivoires« (1896) p. 1848.

8) Westwood, »Fictile Ivoires« (1876) p. 315.

9) Clemen, „Merowingische und karolingische
Plastik" (in: »Bonner Jahrbücher«) 1892, schreibt ihn
S. 126 der Metzer Schule zu.

die Verschiedenheit des Vorwurfs bedingt ist,10)
sonst aber zeigen beide Arbeiten denselben
Schulcharakter. Wir sehen hier wie dort die
gleiche sorgfältige Behandlung der Gewandung
mit den ausgewählten, gleichmäßigen Falten,
die gleiche Struktur des Haupthaares bei
Christus und Johannes, bei Longinus und
Stephaton, die gleiche Handbewegung der
hl. Jungfrau, die gleiche stumpfe Behandlung
der Extremitäten. Auf dem Kamm sind über-
haupt die Extremitäten, namentlich die Hände,
die schwächste Seite
des Künstlers. Man
sehe nur die Hände
Mariens. Wie weit
von der Wirklichkeit
entfernt! Kaum daß
ein Versuch gemacht
ist, der Natur nahe
zu kommen. Ferner
hier wie dort die-
selben vollen Gesich-
ter mit der breiten,
aber nicht unedlen
Nase und den mandel-
förmigen Augen, end-
lich das gleiche drei-
seitige Suppedaneum,
auf dem die Füße
Christi ruhen. Ein
Unterschied ist aller-
dings vorhanden, der
aber sehr zugunsten
des Kammes ausfällt.
Nicht nur beherrscht
unser Schnitzer weit
besser die Technik, er
hat auch ein feineres
Gefühl für elegante
Faltenlinien und ver-
steht sich vorzüglich auf eine ruhige, aus-
drucksvolle Komposition. Man beachte nur
die schmerzbewegte Mutter unter dem Kreuze.
Bei dem Anblicke ihrer Schmerzensäußerung
durch Blick und Bewegung vergißt man
ganz die grobe Mißbildung ihrer Hände.
Wie geschickt sind ferner die Engel in den
gebotenen Raum eingefügt! Wie glücklich
das Niederknien des Longinus und seines
Gefährten! — Auch die prächtige Behandlung

10) Abb. bei Weber,
usw. (1894) Taf. III.

„Geistliches Schauspiel"
 
Annotationen