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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Tepe, Alfred: Rundschau vom Utrechter Domturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0075

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19 07 — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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Nordwestlich über die Bunrtkerk hinaus
entdecken wir einen großen Platz voller Leben
und Bewegung; es ist gerade Samstag, Markt-
tag, Viehmarkt. Die verkäuflichen Milch- und
Fleischlieferanten aus der ganzen viehreichen
Provinz umstehen in mehrfachen Reihen den
weiten Raum; in der Mitte ist das traditionelle
Gefähr zusammengeschoben, zwei- und vier-
räderig, daran findet der Liebhaber noch über-
lieferte gotische und Renais-
sanceschnitzereien, flott und
sauber ausgeführt in echtem
„Wagenschot" (gespaltenes
Eichenholz) vergoldet und
mit lebhaften Farben bemalt.
Ein Gewimmel von Käufern
und Verkäufern wogt hin
und her, strömt aus den
Wirtshäusern und nach ge-
schlossenem Handel wieder
herein: denn zu Kauf gehört
Weinkauf.

Vreeburg-abgekürzt von
Vredenburch= Friedensburg
heißt der Ort. Von einigem
Krakehl abgesehen, ist der
Friede vorhanden, die Burg
aber ist ganz verschwunden.
Die früheren Utrechterwaren
nicht so friedlich gesinnt wie
die heutigen. Die bürger-
liche Stadt drohte der geist-
lichen über den Kopf zu
wachsen, namentlich die
Gilden machten den Bischö-
fen das Leben äußerst un-
gemütlich. Täglich bedrängt
wichen sie zuletzt aus der
Stadt und suchten ein ruhi-
geres Dasein in ihrer festen Abbildung 2
Burg, drei Stunden von Ut-
recht am Rhein gelegen: Wijk by Dunrstede
(Wijken=Ausweichen). Ein höchst interessanter
gut erhaltener Turm und bedeutende Mauerreste
sind noch übrig von diesem festen Zufluchts-
ort. Die Tochter des in den gewölbten Turm-
etagen hausenden Kustos trägt beim Herum-
führen die ganze Zeit- und Landesgeschichte
mit Begeisterung vor. Liebhaber der Land-
schaftsmalerei werden sich des stolzen Baues
vielleicht erinnern: auf Jakob Ruisdaals be-
rühmten Gemälden — die Mühle — ist er
rechts im Mittelgrunde abgebildet. Als der

Zustand gar zu unhaltbar wurde, bewogen die
Unterhändler Karls V. den Bischof Heinrich von
Bayern, auf die weltliche Macht zu verzichten,
und kaum war die Sache perfekt, so ließ der
neue Herr seinen Leibarchitekten, den berühm-
ten Meister Rombout Keldermans aus Mecheln
kommen, um dem unruhigen Utrechter eine
gewaltige Zwingburg auf die Nase zu setzen,
welche den Namen Fredenborch erhielt und
über deren Eingang eine
eiserne Zuchtrute abgebildet
war. Wenngleich die eiserne
Herrschaft nicht lange ge-
dauert, so hat sie doch bei
den Bürgern eine keines-
wegs freundliche Erinnerung
hinterlassen, und die Reste
der gebrochenen Burg be-
hielten bis auf unsere Tage
— von der spanischen Be-
satzung her — den Namen
„Spanjaardsgat", Höhle der
Spanier. Vom Äußern war
nur noch ein imit Efeu be-
bewachsener formloser Back-
steinklumpen sichtbar, der
sich im „Singel", dem Stadt-
graben, spiegelte und mit
abergläubischer Scheu be-
trachtet wurde; als ein Ver-
wegener ins verschüttete
Innere vordrang entdeckte
er eine mit schwerem Netz-
gewölbe überspannte mäch-
tige Kasematte. Meister
Rombout, der Erbauer von
feinen Türmen und Rat-
häusern, hatte auch beim
Festungsbau die Forde-
rungen der Schönheit nicht
unbeachtet gelassen. Eine
Zeitlang wurde nun dieses geheimnisvolle Lokal
als Bierhalle benutzt und mit Recht durfte
hier unser Freund Bassist sein Lied anstimmen:
„Im tiefen Keller sitzen wir"; bald aber fiel
dieser wert- und kunstvolle Rest dem stadt-
väterlichen Alignementsbedürfnis zum Opfer.
Dagegen hat sich ein freundlich-friedliches
Monument fast intakt in unsere Zeit hinüber-
gerettet — das südlich vom Domchor gelegene
Papsthaus — „Paushuise". Der arme Mr.
Adriaen Floriszoon, wie hat er sich gefreut
über seinen Kauf, ein großes Grundstück im
 
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