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1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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die Ehrung der eigenen Mutter durch Salomo
auf dem Königsthron seines Vaters und die
Erhebung der Esther durch Ahasver zur Königin
seines eigenen Reiches. Jede, auch noch so
geringe Verkleinerung des Originals bewirkt
natürlich immer eine weitere Einbuße, wo der
Maler sich schon Gewalt antun mußte, sich
in den Grenzen seines Pergamentblattes zu
halten. Er wächst auch hier darüber hinaus,
nicht allein mit Gewandzipfeln unten und ver-
dachender Architektur oben, sondern vor
allem mit dem Giebelaufbau des Hauptbildes
in der Mitte, der die Gesamtheit zusammenfassen
und bekrönen soll. Und der Baldachin, unter
dem die Mutter Maria vom eigenen Sohne zur
Himmelskönigin gekrönt wird, er ist hier in
Untersicht gezeichnet, wie die Deckenteile der
Innenräume darunter, und die Stärke dieser
perspektivischen Verkürzung bezeugt, daß der
Maler das Ganze, mit den weit größeren Pro-
phetenbüsten zur Seite, nach Art eines da-
maligen Altarwerks von beträchtlicher Höhe
gedacht und in seiner Anschauung gesehen hat,
obgleich er nur ein Pergamentblatt von be-
scheidenem Quartformat zu besetzen hatte.
Unwillkürlich behandelte er dieses besonders
dafür geeignete und hochfeierliche Thema wie
einen Entwurf zu einer monumentalen Schöpfung.
Das ist der haltbare und wertvolle Rest der
Beobachtung, die sich schon Weigel und Zester-
mann aufgedrängt hatte, als sie die Vermutung
aussprachen, diese Blätter seien wohl allesamt
nur Skizzen flüchtiger Art, bestimmt, für sorg-
fältigere Durchführung die Hauptsachen festzu-
legen. In dem perspektivisch klar berechneten
Aufbau, der ihm vorschwebt, haben wir aber
das wichtigste Zeugnis für die Herkunft des
Zeichners aus der monumentalen Tafelmalerei, I
und können ihn deshalb nicht anders als unter I
den Vertretern dieses Kunstzweiges suchen: je i
früher, desto sicherer unter den tonangebenden
Meistern seiner Stadt.
Nicht die typologische Zusammenstellung
der Bilder ist die bedeutsamste Eigenschaft,
die mit dem Altarwerk des Konrad Witz in
Basel übereintrifft, sondern die Rücksicht auf
die perspektivischen Bedingungen, unter denen
die oberen Reihen von Tafeln im Vergleich
mit den unteren gesehen wurden, und die
Architektonik der ganzen Schmuckwand im An-
schluß an den Maßstab und die sonstigen Be-
dingungen des Kirchenraums. Wer die Frag-
mente der Ecclesia und der Synagoge sieht,
in denen auf schmaler Bühne doch jede Einzel-
figur, nicht in engumschließender Nische, son-
dern in einem weiteren Gehäuse, in einem Ge-
mach mit seitlich angebrachtem Fenster links
oder Türausgang rechts gezeigt wird, der kann
nicht zweifeln, daß dies Paar allegorischer
Personen einer oberen Reihe als korrespondie-
rende Glieder des Ganzen angehörte, und daß
wir zu dem Engel Gabriel ebenso die Madonna
in ihrem Gemach als Gegenstück zu ergänzen
haben. Unter der Synagoge befand sich, wie
aus den Architekturgliedern, der wieder rechts
mit einer Fensteröffnung durchbrochenen Nische
zu erkennen ist, die statuarische Einzelgestalt
des jüdischen Opferpriesters, und fordert links
als Gegenstück unter der Ecclesia die Einzelge-
stalt eines christlichen Priesters für das unblutige
Opfer der Messe.9) Das richtige Verständnis
dieser Bedingungen hat auch R. Stiassny in den
Stand gesetzt, das in Kreuzenstein aufgefundene
und als Werk des Konrad Witz erkannte Frag-
ment mit Salomo und der Königin von Saba
als einen Teil der Außenseite dieses Altares
zu bestimmen. Die perspektivischen Anläufe
zur Entwicklung eines Innenraums gehen in
den Zeichnungen zur Biblia Pauperum genau
so weit, wie auf den Tafeln des Konrad Witz
in Basel und in Genf, die zu solchen Altären
gehört haben.. Gerade deshalb schließt das
Mittelstück mit der Krönung Marias in dem
Faksimile bei W. & Z. neben den ebenso in
Untensicht gezeigten Propheten, besonders der
von knieenden Engeln getragene Baldachin so
entscheidend die Rechnung, die wir aufzustellen
vermögen. Und in dem überragenden Giebel
des Heiligtums, das auf dem Pergamentblatt
skizziert ist, gipfelt der ganze Beweis von der
Identität der Person des Zeichners der Biblia
Pauperum Weigeliana mit dem Maler Conradus
Sapientis de Basilea. Schmarsow.
9) Ob sie genau so, wie die oberen, auf beiden
Seiten eingerahmt waren oder nur eine Architektur-
kulisse — wie der Opferpriester rechts, so sein Gegen-
stück links — hatten, ist hier nicht so wichtig, wie die
Tatsache, daß Sockelglieder gegeben sind, die nach
unten gehören, wie sie gesehen werden.
1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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die Ehrung der eigenen Mutter durch Salomo
auf dem Königsthron seines Vaters und die
Erhebung der Esther durch Ahasver zur Königin
seines eigenen Reiches. Jede, auch noch so
geringe Verkleinerung des Originals bewirkt
natürlich immer eine weitere Einbuße, wo der
Maler sich schon Gewalt antun mußte, sich
in den Grenzen seines Pergamentblattes zu
halten. Er wächst auch hier darüber hinaus,
nicht allein mit Gewandzipfeln unten und ver-
dachender Architektur oben, sondern vor
allem mit dem Giebelaufbau des Hauptbildes
in der Mitte, der die Gesamtheit zusammenfassen
und bekrönen soll. Und der Baldachin, unter
dem die Mutter Maria vom eigenen Sohne zur
Himmelskönigin gekrönt wird, er ist hier in
Untersicht gezeichnet, wie die Deckenteile der
Innenräume darunter, und die Stärke dieser
perspektivischen Verkürzung bezeugt, daß der
Maler das Ganze, mit den weit größeren Pro-
phetenbüsten zur Seite, nach Art eines da-
maligen Altarwerks von beträchtlicher Höhe
gedacht und in seiner Anschauung gesehen hat,
obgleich er nur ein Pergamentblatt von be-
scheidenem Quartformat zu besetzen hatte.
Unwillkürlich behandelte er dieses besonders
dafür geeignete und hochfeierliche Thema wie
einen Entwurf zu einer monumentalen Schöpfung.
Das ist der haltbare und wertvolle Rest der
Beobachtung, die sich schon Weigel und Zester-
mann aufgedrängt hatte, als sie die Vermutung
aussprachen, diese Blätter seien wohl allesamt
nur Skizzen flüchtiger Art, bestimmt, für sorg-
fältigere Durchführung die Hauptsachen festzu-
legen. In dem perspektivisch klar berechneten
Aufbau, der ihm vorschwebt, haben wir aber
das wichtigste Zeugnis für die Herkunft des
Zeichners aus der monumentalen Tafelmalerei, I
und können ihn deshalb nicht anders als unter I
den Vertretern dieses Kunstzweiges suchen: je i
früher, desto sicherer unter den tonangebenden
Meistern seiner Stadt.
Nicht die typologische Zusammenstellung
der Bilder ist die bedeutsamste Eigenschaft,
die mit dem Altarwerk des Konrad Witz in
Basel übereintrifft, sondern die Rücksicht auf
die perspektivischen Bedingungen, unter denen
die oberen Reihen von Tafeln im Vergleich
mit den unteren gesehen wurden, und die
Architektonik der ganzen Schmuckwand im An-
schluß an den Maßstab und die sonstigen Be-
dingungen des Kirchenraums. Wer die Frag-
mente der Ecclesia und der Synagoge sieht,
in denen auf schmaler Bühne doch jede Einzel-
figur, nicht in engumschließender Nische, son-
dern in einem weiteren Gehäuse, in einem Ge-
mach mit seitlich angebrachtem Fenster links
oder Türausgang rechts gezeigt wird, der kann
nicht zweifeln, daß dies Paar allegorischer
Personen einer oberen Reihe als korrespondie-
rende Glieder des Ganzen angehörte, und daß
wir zu dem Engel Gabriel ebenso die Madonna
in ihrem Gemach als Gegenstück zu ergänzen
haben. Unter der Synagoge befand sich, wie
aus den Architekturgliedern, der wieder rechts
mit einer Fensteröffnung durchbrochenen Nische
zu erkennen ist, die statuarische Einzelgestalt
des jüdischen Opferpriesters, und fordert links
als Gegenstück unter der Ecclesia die Einzelge-
stalt eines christlichen Priesters für das unblutige
Opfer der Messe.9) Das richtige Verständnis
dieser Bedingungen hat auch R. Stiassny in den
Stand gesetzt, das in Kreuzenstein aufgefundene
und als Werk des Konrad Witz erkannte Frag-
ment mit Salomo und der Königin von Saba
als einen Teil der Außenseite dieses Altares
zu bestimmen. Die perspektivischen Anläufe
zur Entwicklung eines Innenraums gehen in
den Zeichnungen zur Biblia Pauperum genau
so weit, wie auf den Tafeln des Konrad Witz
in Basel und in Genf, die zu solchen Altären
gehört haben.. Gerade deshalb schließt das
Mittelstück mit der Krönung Marias in dem
Faksimile bei W. & Z. neben den ebenso in
Untensicht gezeigten Propheten, besonders der
von knieenden Engeln getragene Baldachin so
entscheidend die Rechnung, die wir aufzustellen
vermögen. Und in dem überragenden Giebel
des Heiligtums, das auf dem Pergamentblatt
skizziert ist, gipfelt der ganze Beweis von der
Identität der Person des Zeichners der Biblia
Pauperum Weigeliana mit dem Maler Conradus
Sapientis de Basilea. Schmarsow.
9) Ob sie genau so, wie die oberen, auf beiden
Seiten eingerahmt waren oder nur eine Architektur-
kulisse — wie der Opferpriester rechts, so sein Gegen-
stück links — hatten, ist hier nicht so wichtig, wie die
Tatsache, daß Sockelglieder gegeben sind, die nach
unten gehören, wie sie gesehen werden.