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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bachem, J.: Der Meister der Kreuzigungsgruppe in Wechselburg, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0208

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327

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

228

Eine technische Eigentümlichkeit der Statue
ist zunächst der schwere Sockel, der unent-
behrlich ist, um die Figur vor dem Umsturz
zu bewahren. Er ist zu einem symbolischen
Tier verarbeitet, so daß der technische Zweck
weniger auffällig erscheint. Auch hierhin zu
rechnen ist das Standmotiv. Durch das ein
wenig zurückgestellte und gekrümmte rechte
Bein ist der Versuch gemacht, die Last mehr auf
das linke zu legen. Doch ist dieser Zweck
nicht erreicht, da beide Füße gleichschwer
am Boden haften und die Last gleichmäßig
auf ihnen ruht. Die Profilierung der Falten
ist von außerordentlicher Schärfe und Tiefe
der Unterschneidung. Durch ihre scharfen
Ränder werfen sie energische Schatten.

Bei Christus sehen wir dieselbe straffe und
scharfe Gewandbehandlung, die Häufung der
Falten und, dadurch hervorgerufen, Unklar-
heiten. Vgl. den zwischen den Oberschenkeln
befindlichen Teil des Lendentuches.

Ein Vergleich mit den Monumenten des
XII. Jahrh., etwa den Hildesheimer Chor-
schrankenfiguren zeigt, daß der Meister mit
der dekorativen Stuckplastik nicht in Zu-
sammenhang steht. Hier eine freiplastische
Figur, die in sich selbst den Halt findet, dort
Figuren, die vom Reliefgrund gehalten werden.
Hier ein straffer Gewandstil, dort eine weiche
und kraftlose Führung der Falten. Hier ein
dicker und steifer Stoff, dort ein dünner und
weicher. Diesen Abbruch der Entwicklung
erklärte Goldschmidt4) so, daß der Künstler
nur mittelbar mit französischer Kunst in dem
Magdeburger Atelier, von dem die jetzt im
Chor eingemauerten Skulpturen stammen, in
Berührung gekommen sei. Für diese Annahme
sprechen einige beiden Gruppen gemeinsame
Eigenschaften. So z. B. die ruhige Haltung
und Auffassung, die geringe Wendung der
Köpfe, die senkrecht heruntergehenden Falten,
die Steifheit und Ungelenkigkeit der Glied-
maßen, endlich der als Lebewesen gebildete
Sockel.

Doch lassen sich andererseits eine Fülle
von Differenzen feststellen: die Magdeburger
Statuen weisen eine andere Technik, Gewand-
und Formenbehandlung auf. So ist in Magde-
burg das Querprofil der Falten rund, in
Freiberg kantig. In Magdeburg setzen beide
Beine gleichmäßig auf und tragen die Last,

*) Studien S. 45f.

in Freiberg wird die Entlastung des einen
Beines wenigstens erstrebt. Die Behandlung
der Gewandung ist in Magdeburg weicher,
die der Formen gröber, so an Händen und
Gesicht. In Freiberg hingegen ist die Ge-
wandung schärfer behandelt, die Formen sind
feingliedriger und herber. Schließlich sind
auch noch die Proportionen verschieden.

Wenn nun auch diese Unterschiede teil-
weise auf die verschiedene Anlage der Künstler
zurückgeführt werden mögen, so ist doch
gerade in der Technik soviel Verschiedenes,
daß es unmöglich erscheint, eine Verbindung
zwischen dem Meister des Magdeburger Por-
tales und dem des Freiberger Lettners herzu-
stellen. Wo hat also der letztere gelernt?

Zunächst steht fest, daß er einer Schule
angehörte, die in engstem Anschluß an die
Architektur arbeitete. Dafür sprechen das
starre, unmotivierte Geradeausblicken, der Tier-
sockel, der geschlossene architektonisierte Stil,
die schlanken Proportionen, die zusammen-
gepreßte Haltung, endlich der glatt abge-
schnittene Rücken. Durch diese Feststellung
ist zugleich ausgeschlossen, daß der Meister
in Deutschland gelernt hat, denn mit den
Bamberger Skulpturen, bei denen allein ein
stilbildender Einfluß der Architektur auf die
Plastik nachzuweisen ist, ist nicht die Spur
einer Verwandtschaft zu sehen. Auch in Italien
läßt sich um diese Zeit ein solch starker Ein-
fluß der Architektur auf die Plastik nicht
sehen. So bleibt allein die Annahme eines
direktenZusammenhanges mit Frankreich übrig,
wo diese enge Verbindung der beiden Künste
vorhanden ist.

Die Schule, aus der unser Meister hervor-
gegangen ist, findet sich in Chartres, und zwar
kommen die Skulpturen des Mittelportales am
Nord- und Südtranssept in Betracht.

Dort finden sich der schräg laufenden
Portalwand abwechselnd dicke und dünne
Säulen vorgelegt, die in der Mitte durch scharf
profilierte Schaftringe in Verbindung stehen.
Jedesmal vor einer der dickeren Säulen steht,
mit ihr aus einem Stein gemeißelt, auf einer
Platte, unter der eine menschliche Figur mit
Schriftband zumVorscheinkommt,eine Heiligen-
figur. Ihre Kleidung besteht aus dickem Unter-
gewand und Mantel.

Die Gewandbehandlung ist scharf, was be-
sonders an den senkrecht herunterfallenden
Falten zu sehen ist. Die kleineren Falten,
 
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