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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 5
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Lübke, Georg: Schutz des heimatlichen Charakters im Städtebau: Vortrag, gehalten auf dem Niedersachsentage zu Braunschweig am 10. Oktober 1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0064

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Seite 54.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

1911, 5.


Wohnhaus in Helsingör.

Aus der Dänischen Ausstellung im Berliner Kunstgewerbe-Museum.

Architekt: Paul Holsöe in Kopenhagen.

das Material sich ohne störenden Mißklang den Nachbarn an-
passen, daß vor allem heimische Baustoffe verwendet werden.
Darum würde es verfehlt sein, in der Braunschweiger Gegend,
die über vorzügliche natürliche Bausteine verfügt, den Back-
steinbau oder die bayerische Abart des Putzbaues einbürgern
zu wollen, während in Lüneburg, der alten Backsteinstadt,
der Backsteinbau die gegebene heimische Bauweise sein und
bleiben muß.
Ich möchte hier einschalten, daß es meines Erachtens un-
richtig sein würde, wenn man für einzelne Straßen und Plätze
die Stilformen bestimmter Jahrhunderte vorschreiben wollte, wie
es teilweise geschehen ist. Einmal wird das, was heutige
Architekten, und seien sie auch noch so vertraut mit den
Formen der Vergangenheit, für moderne Zwecke in historischer
Formensprache bauen, immer als moderne Schöpfung kenntlich
bleiben. Dann aber ist nicht einzusehen, warum ein moderner
Architekt nicht ebenso gut sein architektonisches Empfinden
in seiner Sprache ausdrücken soll, wie es die Architekten


Wohnhaus in Helsingör.

Seitenansicht.

Aus der Dänischen Ausstellung im Berliner Kunstgewerbe-Museum.

vergangener Tage getan haben. Vertragen sich doch die
Leistungen früherer Jahrhunderte in den alten Städten wunder-
voll miteinander, weil sich jeder der Gesamtheit eingeord-
net hat!
Was man also verlangen muß von modernen Neubauten
in alten Straßen, ist: Rücksichtnahme auf das Bestehende, har-
monisches Sich-Einfügen in den Rahmen des Ganzen. Und
dieses gelingt am leichtesten, wenn der Neubau im Material
des Aufbaues, im Charakter der Dächer und im Einzelmaßstab
der Formen nicht allzusehr von der ganzen Nachbarschaft
absticht.
Es erübrigt noch kurz zu betrachten, welche Veränderungen
die moderne Entwicklung für die alten historischen Stadtteile
gebracht hat.
Zunächst ist eine Verschiebung der Bevölkerung innerhalb
der Stadt festzustellen. Während in früheren Zeiten der vor-
nehme Bürger mit Vorliebe am Markte oder in den besonders
belebten Hauptstraßen wohnte und sein Geschäft betrieb, hat
es die moderne Entwicklung dahin gebracht, daß die Wohl-
habenden, die oberen Zehntausend, aus der Altstadt aus-
gewandert sind und sich vor den Toren, möglichst in der
Nähe des Parks, in Villen oder Miethäusern angesiedelt haben,
was man ihnen nicht verdenken kann, da sie dort gesunder
wohnen.
Die alten Patrizierhäuser, die Repräsentanten stolzen
Bürgersinns, sind damit zweierlei Gefahren ausgesetzt: ent-
weder werden sie in Kontor- und Geschäftshäuser umgewandelt
und diesen neuen Nutzungszwecken notdürftig angepaßt oder,
wenn sie nicht an den Hauptverkehrsstraßen der Stadt
liegen, werden sie degradiert, indem minder gut gestellte
Kleinbürger oder Handwerker in die bisherige Patrizierwohnung
ziehen.
Das großzügig eingerichtete Haus wird in Kleinwohnungen
aufgeteilt und büßt seinen vornehmen Charakter ein, da die
neuen Bewohner nicht die Mittel haben, das Haus in der
früheren Vornehmheit zu erhalten.
In beiden Fällen ist wenig gegen die Entwicklung
zu machen, und sobald die Ladeneinrichtungen nicht gar zu
roh in den Bestand eingreifen, auch nicht viel zu sagen
vom Standpunkte der Heimatkunst. Es sind naturgemäße
Entwicklungen, die man beklagen muß, aber nicht ändern
kann.
Leider ist bei der Neuanlage oder Erweiterung von Läden
in den Hauptverkehrsstraßen unserer alten Stadtteile in jüngster
Zeit die Unsitte eingerissen, daß die oberen Teile des Gebäudes
zwar erhalten, das Untergeschoß aber in einen Glaskasten mit
 
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