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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 5
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Lübke, Georg: Schutz des heimatlichen Charakters im Städtebau: Vortrag, gehalten auf dem Niedersachsentage zu Braunschweig am 10. Oktober 1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0063

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1911, 5.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Seite 53.

machen. Wenn alles dies recht bald geschähe, dürften wir hoffen,
daß der Einförmigkeit der Mietkasernenstädte ein Riegel vor-
geschoben würde, daß die Liebe zum Einfamilienhause wüchse
und fernere Stadterweiterungen bessere Ergebnisse hätten.

künstlerische Wirkung erzielen will. Dieser Erkenntnis wird auf
den Hochschulen und Baugewerkschulen Rechnung getragen,
und es ist zu hoffen, daß die kommende Generation bessere Ge-
samtleistungen aufzuweisen haben wird, weil sie schon im Unter-


Nicht überall bestehen in unserem niedersächsischen Ge-
biete die Übelstände des Mietwohnungswesens in gleichem
Umfange. An der Seeküste, besonders in Bremen, hat sich der
alte Gebrauch, im Einfamilienhause zu wohnen, auch in unserer Zeit
erhalten und sogar neue Typen der schmalen Dreifensterhäuser ge-
schaffen. Hoffen wir, daß das zähe
Selbständigkeitsgefühl dort auch in
Zukunft das eigene Haus der Miet¬
wohnung vorzieht!
An der unerfreulichen Gestal¬
tung unserer Wohnhäuser sind die
schaffenden Baukünstler natürlich
nicht ohne Schuld. Gerade, als die
Stadterweiterungen besonders inten¬
siv einsetzten, waren die Blicke der
deutschen Architekten noch aus¬
schließlich nach Italien und Frank¬
reich gerichtet. Die Säulenord¬
nungen griechischen und römi¬
schen Ursprungs waren das haupt¬
sächliche Rüstzeug, mit dem der
Architekt arbeitete. Die Schönheit
der nordischen Dachformen, unsere
reizvollen alten Giebel- und Erker¬
bildungen mußten erst wieder ent¬
deckt, der Sinn für Einfachheit,
für sachlich aus der Konstruktion
heraus zu. schaffende Einzelformen,
mußte erst neu belebt werden.
Erst allmählich ist die Er¬
kenntnis durchgedrungen, daß das
Bürgerhaus nicht wie ein großer
Palast zu behandeln ist, daß man,
ohne langweilig zu werden, nicht Kilometer von Architektur-
gesimsen an ein Haus kleben, sondern daß man den orna-
mentalen Schmuck auf einzelne besonders bevorzugte Bauteile
beschränken darf und soll, wenn man ruhige, fein abgewogene

richt gewöhnt wird, keine Reißbrettarchitektur zu schaffen, sondern
räumlich zu sehen, räumlich darzustellen und deshalb räumlich zu
denken. Es darf nicht verschwiegen werden, daß gewisse Gefahren
für die Entwicklung der Baukunst in dem allzu stürmischen Ver-
langen und Streben nach neuen Formen bestehen, die besonders
durch die lebhafte Reklame gestei-
gert werden, mit der jede kleine
formale Neuerung als Großtat ge-
priesen wird. Hierdurch wird die
studierende Jugend leicht zu dem
Wunsche verleitet, schon bevor sie
sich einen Schatz von Formen und
Ausdrucksmitteln aus dem über-
lieferten heimischen Formenkreise
angeeignet hat, absolut neue For-
men zu erfinden. Ich halte diese
Gefahr für sehr groß.
Sowenig es dem einzelnen
Menschen gelänge, unter Vermei-
dung sämtlicher überlieferten Ge-
danken und Wortbildungen sich
seinen Mitmenschen verständlich
zu machen, sowenig wird der
Baukünstler, und sei er noch so
begabt, in der Lage sein, aus sich
heraus einen neuen brauchbaren
Formenkreis zu erzeugen. Der ein-
zelne wird sich begnügen müssen,
die Ausdrucksmittel für neue Ideen
durch Anpassung und Umwandlung
überlieferten Formengutes zu ge-
winnen, und wenn neue Formen
im alten Stadtbilde verwendet
werden, ohne sich protzig breit zu machen und die Harmonie
zu stören, ist die Bereicherung der Ausdrucksmittel nur dank-
bar zu begrüßen. Das Wesentliche wird bei Neubauten im
alten Stadtgebiete darin bestehen, daß der Formenmaßstab und

Quedlinburg. Platz Ecke Steinweg und Konventstraße.
 
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