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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 5
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Lübke, Georg: Schutz des heimatlichen Charakters im Städtebau: Vortrag, gehalten auf dem Niedersachsentage zu Braunschweig am 10. Oktober 1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0062

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Seite 52.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

1911, 5.

Doppelhaus in Flensburg, Norderstraße 11/13. (Das Haus Nr. 11 ist bereits abgerissen.)


keit vor, im Miethaus eine nach dem
Dutzendgeschmack geschaffene Woh-
nung zu beziehen. Daher die bleierne
Eintönigkeit unserer Straßen, in denen
die vom Bauspekulanten ohne künst-
lerische Beihilfe errichtete Mietkaserne
vorherrscht, das Dutzendhaus, das nur
als zinsbringende Kapitalanlage ge-
schaffen ist. Nur schwer wird es mög-
lich sein, die Herrschaft der Mietkaserne
einzuschränken, die vom Großkapital ge-
stützt wird, und der anhaltenden Arbeit
vieler wird es bedürfen, um im großen
Publikum die Liebe zum Wohnen im
eigenen Hause wieder so zu wecken, daß
das Aussehen unserer Straßen dadurch
beeinflußt wird.
Wohl kann denen, die nicht kapital-
kräftig genug sind, durch Vereinigungen
zum gemeinsamen Bau von Einfamilien-
häusern geholfen werden. Wirksamer er-
scheint der Weg, den einzelne Städte
beschritten haben mit dem Erwerb von
Bauländereien, die sie in Erbpacht ver-
geben und mit sicheren ersten Hypo-
theken beleihen. Sehr erfolgreich könnten
auch die staatlichen und städtischen
Behörden eingreifen, wenn sie für ihre
Beamten statt mehrgeschossiger Miet-
kasernen Kolonien kleiner Einfamilien-
häuser an geeigneter Stelle gründen
würden, wie die großen industriellen
Werke es getan haben und weiter tun
werden, um ihre Arbeiter wieder seßhaft zu

Anlage der Plätze und Parks, der Geschäfts-, Wohnhaus- und
Industrieviertel bedarf es allerdings noch einer gründlichen
Umgestaltung der geltenden Baupolizeiordnungen. Diese sind
der Erhaltung und Förderung der heimischen Bauweise ent-
schieden feindlich. Ausschließlich im Hinblick auf Feuersicher-
heit, Zuführung von Licht und Luft und solide Konstruktion
entworfen, nehmen sie auf die künstlerische Seite des Bauwesens
nicht die geringste Rücksicht.
Daß im Städtebau auch ideale Ziele zu verfolgen sind
durch reizvolle Straßenbilder, durch Erhaltung historisch be-
merkenswerter Gebäude und des heimatlichen, geschichtlich
gewordenen Charakters der Städte, war den Urhebern der
geltenden Bauordnungen meist fremd, unfaßbar. So ist in Braun-
schweig, dessen alte Architektur vornehmlich aus Holzbauten
besteht, der Fachwerkbau fast unmöglich gemacht. Man wird also
darauf hinarbeiten müssen, daß solche Bestimmungen, die der
Heimatkunst feindlich sind, aus den Bauordnungen verschwinden,
daß bei deren zeitgemäßer Neubearbeitung künstlerisch gebildete
Architekten zugezogen werden, daß Bestimmungen zum
Schutze der heimischen Bauweise aufgenommen werden
und daß für die Beurteilung der Bauentwürfe ein künstleri-
scher Beirat den Baupolizeibehörden an die Seite gestellt
wird, der mindestens in allen den Fällen zu hören sein
würde, wo Neubauten in den wichtigen Hauptstraßen der neuen
Stadtteile oder in den kunstgeschichtlich und baukünstlerisch
bemerkenswerten Teilen der Altstadt ausgeführt werden sollen.
Es würde jedoch falsch sein, die Schuld an der wenig erfreulichen
Erscheinung der Neustädte allein den Behörden aufzubürden,
ein guter Teil der Schuld trifft weite Kreise der Bevölkerung.
Während in früherer Zeit als selbstverständlich gelten konnte,
daß der angesehene Bürger zugleich Hausbesitzer war, im eigenen
Hause wohnte, dieses nach seinen Wünschen und persönlichem
Geschmack erbauen ließ und damit seine Persönlichkeit im
Straßenbilde zur Geltung brachte, ist in der Neuzeit die Zahl
derjenigen, die im Einfamilienhause wohnen, verschwindend
klein. Auch wohlhabende Leute, welche recht wohl die Mittel
hätten, ein Einfamilienhaus von persönlichem Gepräge durch
Künstlerhand für sich errichten zu lassen, ziehen es aus Bequemlich-

Haus in Flensburg, Norderstraße 8. Architekt unbekannt.
 
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