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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 11
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Muthesius, Hermann: Die Bedeutung des architektonischen Formgefühls für die Kultur unserer Zeit, [1]: Vortrag, gehalten auf der Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes in Dresden 1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0132

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Seite 122.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

1911, 11.


Geschäftshaus der Braunschweiger Privatbank, A.-G.,
Ecke Brabantstraße und Garküche in Braunschweig.

Der Bau wurde 1907,08 ausgeführt.
Im Erd- und 1. Obergeschoß befinden
sich die Geschäftsräume der Bank nebst
einem Sitzungssaal für etwa 35 Personen.
Im 2. und 3. Obergeschoß sind drei Woh-
nungen für Bankbeamte vorgesehen. Vom
Erdgeschoß führt eine breite Marmortreppe
zu dem feuer- und diebessicheren Gewölbe
im Keller. Diesem ist ein großer Vorraum
vorgelagert, in den einige Boxen für die
Kundschaft eingebaut sind. Sämtliche Räume

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Architekt O. Eggeling, B.D.A.,
in Braunschweig.

werden durch Niederdruckdampfheizung
geheizt. Die Fronten sind mit Terranova
geputzt; die Dacheindeckung besteht aus
naturroten unglasierten Biberschwänzen.
Die Baukosten betragen für den
Kubikmeter umbauten Raumes außer der
Tresoranlage im Kellergeschoß 20 Mark
= 108000 Mark und für die Tresoranlage
sowie Unterkellerung des Hofes 46 Mark
für den Kubikmeter — 45000 Mark, zu-
sammen 153000 Mark.

in Frage steht, ist die Form (ich sage nicht die künstlerische
Form, sondern die Form überhaupt, weil die Form eine allge-
mein menschliche und nicht eine partiell künstlerische Ange-
legenheit ist), die Form, die nicht beeinflußt ist von rechne-
rischen Ergebnissen, die nicht erfüllt ist mit der Zweckmäßigkeit,
die nichts zu tun hat mit verstandesmäßigem Denken. Es ist jene
höhere architektonische Form, die ein Geheimnis des mensch-
lichen Geistes ist, wie dessen Schatz an poetischen und religiösen
Vorstellungen. Es ist die Form, die uns an einzelnen Glanz-
leistungen der menschlichen Kunst, dem griechischen Tempel,
dem römischen Thermensaal, dem gotischen Dome, dem Fürsten-
zimmer des achtzehnten Jahrhunderts in Entzücken versetzt, die
Form, die uns gleich eindrücklich ist wie die Poesie und die
Musik. Es ist die Form, die wir in der letzten Vergangenheit
noch an den Leistungen der Generation um Schinkel bewun-
dern, jenen Leistungen, die uns gegenüber allem, was dann
folgte, als etwas Höheres, Erhabenes erscheinen, als etwas, das
wir eben von da an verloren haben. Die Form war es, die
von etwa 1825 an vernachlässigt wurde, und für die das Ge-
fühl von 1850 an fast völlig brachlag. Jenes früher selbstver-

ständliche Gefühl für die Notwendigkeit einer Harmonie der
Erscheinung war erdrückt, die Urteilskraft über die Erscheinung
selbst geschwächt und der Verwilderung der Ausdrucksweise
Tor und Tür geöffnet. Die Entwicklung der Zeit brachte es
mit sich, daß wir in Jahrzehnte des tiefsten architektonischen
Verfalls und eines völligen Versagens des Urteils der Menschen
gelangten, wie es in der Geschichte noch nicht beobachtet
worden war. Das empfand Gottfried Semper, als er als Er-
gebnis der Weltausstellung in London behauptete, daß die
barbarischen und halbbarbarischen Völker die gebildeten Na-
tionen besiegt hätten.
Trotz der kunstgewerblichen Reformen, die schon um die
Jahrhundertmitte einsetzten und in denen das dunkle Bewußt-
sein tätig war, verlorene Güter zurückzuerlangen, blieb die
Situation bis gegen das Jahrhundertende dieselbe. Erst vom
Beginn der neunziger Jahre an erhob sich wieder eine leb-
haftere Geisteswelle, die getragen wurde von dem klaren Be-
wußtsein, daß der Form wieder ihr Recht werden müsse.
Das erste deutlich hervortretende literarische Anzeichen
der beginnenden neuen Geistesrichtung war jenes krause Buch
 
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