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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

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Heft 4 (2. Novemberheft 1916)
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Jesser, Franz: Vom deutsch tyrannisierten österreichischen Völkergefängnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0225

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zösischen Italienern, den Vlamen in Frankreich und Belgien, gar nicht zu
reden von den Nationalitäten in RuAland, daß auch ihnen recht bald der
Segen einer solchen Bedrückung zuteil werde. Zur Lrgänzung des Bildes sei
noch angeführt, daß die Polen geradezu übermäßig mit Mittelschulen bedacht
sind, daß sie zwei Universitäten, eine technische Hochschule und eine Kunst«
akademie besitzen. Die ruthenische Universität wurde unmittelbar vor dem
Kriege errichtet. Die Südslawen haben zwar keine tzochschulen, doch haben die
Zeugnisse der kroatischen Universität in Agram Gültigkeit in ganz Österreich.

Wir leugnen nicht, daß sehr viele Wünsche der Nationalitäten nicht
erfüllt sind, daß insbesondere die Frage der sogenannten Minoritätsschulen
noch immer ungelöst ist — wir glauben aber bewiesen zu haben, daß das
höchste Recht jeder Nation, das auf den nationalen Anterricht, allen nicht--
deutschen Völkern in ihrem geschlossenen Siedelungsgebiete gewahrt ist.

Ganz ebenso steht es um ein zweites nationales Grundrecht — Ge-
brauch der Muttersprache im öffentlichen Leben.

Im geschlossenen Siedelungsgebiete jeder Nation kann jeder Mchtdeutsche
vor Gericht und jeder anderen Behörde schriftlich oder mündlich seine
Muttersprache gebrauchen, er erhält auch, von schriftlichen militärischen
Entscheidungen abgesehen, in seiner Muttersprache Bescheid und Lrledigung.
Dieses Recht besitzt er mit einigen Einschränkungen auch in den deutschen
Wohngebieten Böhmens und Mährens. Insbesondere in Mähren ist
die gesamte zivile Verwaltung des Staates zweisprachig; es wird daher
von allen Beamten die Kenntnis beider Landessprachen gefordert.

Strittig ist auch hier wieder nur das Recht der Minderheiten;, das heißt
eines kleinen Teiles der einzelnen Nationen. Wären die nationalen
Minderheiten nichk, so wäre das österreichische Problem längst gelöst. Wie
diese Frage zu beantworten ist, darüber herrscht nicht nur unter den Deut-
schen, sondern auch unter den Slawen Aneinigkeit. Idealisten fordern die
Durchführung der nationalen Autonomie durch Zerlegung des SLaates
in seine einzelnen Volkswohngebiete als Einheiten der Verwaltung. Die
meisten Anhänger hat diese Lehre unter den — Deutschen und Ruthenen.
Die erbittertsten Gegner dieser „Zerreißung der alten historischen Länder"
sind die „unterdrückten" Tschechen und Polen; denn nur die Aufrecht-
erhaltung der „Landeseinheit" gibt ihnen die Möglichkeit, als Mehrheit
über die deutsche und ruthenische Minderheit zu herrschen.

Aber auch alle anderen Arten nationalen Selbstbestimmungsrechtes
können die nichtdeutschen Völker ausüben — politische, wirtschaftliche und
soziale Organisationen auf völkischer Grundlage und zu völkischen Iwecken
errichten. Nnd einige unter ihnen haben dieses Recht so ausgelegt, daß
sie ohne Scheu Organisationen zur Zerstörung des österreichischen SLaates
gebildet haben, die jahrelang von der Regierung geduldet wurden. Erst
während des Krieges war der Staat zu seiner Selbsterhaltung gezwungen,
dieser tzydra den Kopf zu zertreten. Wer den Staat und die Deutschen
Österreichs deshalb „Unterdrücker" schilt, muß sich den Vorwurf der Ge-
hässigkeit gefallen lassen; denn keinem Staate kann man zumuten, sich
selbst aufzugeben.

So haben wir an der tzand von Tatsachen den Nachweis erbracht, daß
der Vorwurf der „Anterdrückung" durch die Deutschen ungerecht ist, daß
sich vielmehr die Slawen nationaler Freiheiten in einem Umfange er-
freuen, die kein Staat des Vierverbandes seinen Natio-
nalütäten einräumt.
 
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