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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 13 (1. Aprilheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0036

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Brille, gutmütig, verlegeu: „Also
schön, wenn Ihr Herr Freund zu die-
sen Bedingungen mieten will — wie,
Kinder? — was, sünf Kinder? — tut
mir leid, recht leid — was sagen Sie,
im Felde verwundet? — jaja, habe auch
einen draußen, der . . . jaso, jaso, die
Wohnnng — also, ich will's dem
Hausbesitzer sagen — soso, verwundet
und fünf Kinder, ogottegottegott —
also, wenn es doch was sein sollte,
schreib ich Ihnen eine Karte . . ." In
ihren Augen stand es deutlich: Me-
mals.

Haus M. 55. Die Frau des Haus-
besitzers, dünn, lang: „Also, wie ge-
sagt, ich habe gegen Kinder nichts,
durchaus nichts, aber die Parteien —
sehcn Sie, da ist der Geheimrat im
ersten Stock, im zweiten die Generals-
witwe — überhaupt lauter erstklassige
Parteien — die würden mir einfach
auszichen, wenn — wieviel sagen Sie?
— o mein, 'o mein, fünf Kinder, die
armen Hascherln . . ."

Haus Nr. U. Der Buchhalter cines
viclfachen Hausbesitzcrs, dick, goldner
Zwicker, unverschämtes Lächeln: „Fünf,
sagen Sie? -— ha, sehr gut, warum
denn nicht gleich zehne? — mein Herr,
wir haben in unsern sämtlichen Häusern
Treppenläufer und Ledertapeten — wir
haben uns niemals mit Kindern ab-
gegeben."

Ich floh. Ich setzte mich zu Hause
hin und schrieb: „Die Straße Deiner
Iugend, lieber Freund, ist nicht mehr.
Sie wird zn Deiner Zeit wohl eine
kinderfrohe Straße gewesen sein, weil
Du sie lieb behieltest. Ihre Kinder
sind verschüttet. Nur alte, kinderscheue
Leute krabbeln in dem Haufcn Steine
auf Lreppen mit Läufern und ent-
lang den Ledertapeten. Ich habe die
Tapeten gesehen. Es sind Bilder drauf-
gepreßt, auch Kinder, spielende, ge-
preßte Kinder . .

Dieser Brief wurde nicht abgeschickt.
Ich weiß nicht, was mich trieb, ihn eine
Weile liegcn zu lassen. Eine Sonn-
tagsfahrt ins Gebirge sollte dazwischen

kommen. Mit der Bergbesteigung
wurde nichts, weil das Wetrer schlecht
war. Doch zu einem Schlendcrnach-
mittag im Tal hat es gelangt. Das
Dorf war heimelig, wie selten eines.
Aber auf einmal war ich draußen. Die
Villen singen an.

Derentwegen kam ich nicht hierher.
Bei der dritten wollte ich umkehren.
Da fiel mir etwas auf. Geschlossene
Fensterläden, schwer versperrte Türen,
die drei Mllen waren tot. Ich will
doch bei der vierten sehen, dachte ich.
HerabgelasseneIalousien, gleichfalls tot.
So bei der fünften, sechsten, siebten —
cine Villenstraße lang crloschene Fen-
steraugen. Ging ich zwischen Gräber-
reihen? Mich fröstelte. Vielleicht war
der alte Bauer, der dort herkäm, so
was wie ein Totengräber, der mir von
den eingesunkenen Augen was erzählen
konnte. . .

„Ia, Herr, die erste Villa ist von
einem Staatsrat — war der begeistert,
als er herkäm — gleich gebaut, so an
die zwanzig Zimmer, glaub' ich! Die
Landfrend' hat ein halbes Iahr ge-
dauert, Herr, dann hat er's ohne Stadt
nicht mehr ausgehalten. Hat abgesperrt,
ist nicht mehr wiedergekommen. Dis
zweite Villa? — ja> das ist ein reicher
Kaufmann, Herr — kommt alle Iahr
zwei Wochen oder drei — schmeißt die
Fensterläden ein paar Schnaufer lang
auf, dann wieder zu das ganze Iahr.
Die dritte Villa, das ist eine Baronin,
Herr — der ist eine Tochter in dem
Haus gestorben — jetzt will sie's nicht
mehr sehn. Das Plakät bei der vierten
habcn Sie gelesen, Herr? »erbteilungs-
halber zu verkaufen!« Steht schon drei
Iahre da. Die ist eine Spekulationsvilla,
die fünfte, der Besitzer lauert in derStadt.
Bei der sechsten und der siebenten ist's
wie bei der ersten — wissen Sie, Herr,
wie sie im Dorf die ganze Villenstraß'
getauft hab'n? den reichen Gottesacker.
Nur daß der da nicht so heilig ist . . ."

„Und keine Kinder hat", schaltete ich
ein.

„Kinder? Daß Gott erbarm — wenn
 
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