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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0042

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Rothstifts. Mein Vater, Musiker und Maler, bestimmte mich
zur Malerei und unterwies mich nur zum Zeitvertreibe in der
Musik. Nachdem er mir eine Mappe mit etwa vier Hundert
Kupferstichen nach Raphael, Tizian, Correggio, Ru-
bens u. s. f. übergeben hatte, brachte er mich nach Toulouse
zu Roques, einem Schüler Vien's. Ich führte daselbst auf
der Bühne ein Violinkoncert von VLotte auf im Jahre 1793.
Meine Fortschritte in der Malerei waren rasch. Eine Kopie
der Madonna della sedia, welche mein Lehrer aus Italien mit
gebracht hatte, ließ den Schleier von meinen Augen fallen.
Raphael ward meine Offenbarung. Ich zerfloß in Thränen.
Dieser Eindruck wirkte mächtig auf meinen Beruf und erfüllte
mein ganzes Leben." — Diese wenigen einfachen Worte tragen
außerordentlich viel bei zur Würdigung seiner Werke.

Einige Jahre vergingen. Der Jüngling kam nach Paris.
David nahm ihn in den Kreis seiner Schüler. Ein zweiter
Preis: „Antiochus renvoyant son fils Scipion fait prison-
nier sur mer“ erlöste ihn von der Konskription, und der erste
große Preis des Konkurses im Jahre 1801: „Achille rece-
vant dans sa tente les deputes d’Agamemnon" erhob ihn
zum Pensionair der französischen Akademie zu Rom. Als Flax-
mann, der berühmte englische Bildhauer, der kontinentalen
Kunstwelt vorzugsweise bekannt durch seine geistreichen Zeich-
nungen zum Homer, dieses Gemälde, gegenwärtig in der Gal-
lerie der „ecole des Beaux-Arts" in Paris, erblickte, sagte
er: „Ich habe nichts so Schönes gesehen in Paris als dieses
Bild." — Das „directoire" hatte Frankreich erschöpft, die
Akademie in Rom war ihrer Einnahme beraubt worden. In-
gres, ohne Mittel, war nun genöthigt, fünf Jahre in Paris
zu bleiben, woselbst er kümmerlich sich erhielt durch Zeichnun-
gen und Illustrationen zu Büchern. So viel es seine Zeit
gestattete, kopirte er die Antiken des Louvre, die Kupferstiche
der kaiserlichen Bibliothek und das lebende Modell in dem
„atelier Luisse", welches alle berühmten Maler Frankreichs
seit David bis auf unsere Tage besucht haben. In diese Zeit
fallen mehre seiner Portraits. Später ging Ingres wieder
nach Rom und heirathete daselbst eine Französin, die er selbst
„ein Muster treuer Ergebenheit und den Trost seines Lebens"
nennt. Er verlor sie durch den Tod im Jahre 1849, ver-
mählte sich jedoch wiederum zwei Jahre später.

In dem langen Zeiträume von 1806 bis 1820 verlor
Ingres zu Rom als Künstler seine Eigenschaft als Franzose
und ward ein Bürger der Antike. Ganz der Kunst und seinen
Werken lebend, nahm er nur geringen Antheil an den wan-
delnden Schicksalen seines Vaterlandes. Das Unglück lastete
schwer auf ihm zu Florenz in den Jahren 1820 bis 1824,
ohne jedoch seine fatalistische Ausdauer zu erschüttern. „Ich
sah immer meinen Stern", sagt er, „aber ich habe
nur Brod gefunden in meinem Alter. Ich wollte
das Beispiel vieler Künstler unserer Tage nicht
nachahmen, die nur das Geld lieben und eine leichte
Arbeit." —

Als er nach Frankreich zurückkehrte, brachte er das Werk
einer fast vierjährigen Arbeit mit, durch welches er eine dop-
pelte Absicht zu erreichen hoffte, nämlich einestheils, die Revo-
lution der Koloristen aufzuhalten und die Traditionen der

Akademie zu wahren, anderntheils, sich einen Namen zu machen
und so eine Stellung sich zu gründen. Es war das „voeu
de Louis XIII". Sein Erscheinen fällt in die Zeit des
Streites zwischen den Koloristen, Realisten, Romantikern einer-
seits, und den Idealisten, Puristen, Akademikern andererseits.
Außer einigen kleineren Gemälden, von denen wir hier seine
„Franziska von Rimini", seinen „Einzug Karl V. in Paris"
und seinen „Philipp V., dem Marschall Berwick den Orden
des goldenen Vließes verleihend", anführen, trat Ingres in
der Kunstausstellung des Jahres 1827 mit seiner „Apotheose
des Homer" auf. Eugen Delacroix setzte ihr den „Tod
des Sardanapel", und Eugen Deveria die „Geburt Hein-
richs IV." entgegen. Der Moment war entscheidend. Ingres
siegte officiell und ward im Jahre 1824 zum Ritter der Ehren-
Legion, im Jahre 1825 zum „memdre de l'Institut" ernannt.
Anders war es jedoch mit der Presse und mit der Künstler-
welt. Die Fehde zwischen dem Realismus und Romanticismus
links, und dem Idealismus und Purismus rechts war nicht
blos ein Kampf zwischen einzelnen Künstlern und Schriftstel-
lern, es war ein Kampf, welcher das große Kunstpublikum selbst
in Bewegung setzte.

Um die Richtung eines Künstlers wie Ingres scharf zu
erfassen, ist es besonders wichtig, die Grundsätze zu kennen, die
er selbst ausgesprochen. Wir lassen hier einige Aussprüche von
Ingres folgen, welche bei aller Einseitigkeit in mancher Be-
ziehung doch zeigen, welche hohe Aufgabe er der Kunst stellte
und die jedenfalls seine Richtung scharf charakterisiren. „David",
sagt er, „ist der wahre Wiederhersteller der französischen Kunst
und ein sehr großer Meister. Ich bewundere seine „Horatier"
und seine „Sabinerinnen" als Meisterwerke. David ist es,
welcher mich gelehrt hat, eine Figur auf ihre Füße zu stellen
und ein Haupt auf ihre Schultern zu setzen. Ich habe mich,
wie er, dem Studium der Malereien von Herkulanum und
Pompeji ergeben, und, obgleich ich seinen erhabenen Principien
immer treu geblieben bin, eine neue Bahn eröffnet, indem ich
seine Vorliebe für die Antike mit dem Geschmack an der leben-
den Natur verband, sowie das Studium der erhabenen Tra-
dition der italienischen Schulen und zwar vor Allem der Werke
Raphael's". — „Die Form, die Form ist Alles. Sie hat
strenge Gesetze, die in der Malerei ebensowenig überschritten
werden dürfen, als wie in der Wissenschaft". — „Die Kunst
besteht vor Allem darin, die Natur zur Basis zu nehmen
und sie mit strenger Gewissenhaftigkeit zu kopiren, aber nur in-
sofern man stets ihre erhabensten Seiten auswählt". — „Die
modernen Künstler nennen sich Historienmaler. Man muß ent-
schieden diese Prätension zerstören. Historienmaler ist derjenige,
welcher heroische Thaten darstellt, und diese Großthaten finden
sich einzig in der Geschichte der Griechen und Römer. In
ihrer Darstellung allein vermag der Künstler sein Talent zu
bezeugen, und zwar vor Allem in der Behandlung des Nackten
und der Gewandung; alle anderen Zeitalter geben nichts als
Genregemälde, da das Gewand die Körper verhüllt. Nur in
Folge der verhüllenden Bekleidung vermögen die Romantiker in
der Malerei ihre Gemälde so leicht zu schaffen, ohne die ersten
Elemente der menschlichen Struktur gelernt zu heben". —
„Zeichnet niemals, ohne die Natur vor euern Augen zu haben.
 
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