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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0043

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Man muß nicht eine Hand, nicht einen Finger aus dem Ge-
dächtnisse machen, ans Furcht, in die Manier, die Nachlässig-
keit oder Alltäglichkeit zu verfallen". — „Wenn ihr die Farbe
liebt, so sei es die Tizian's, niemals die von Rubens.
Laßt uns nach Venedig gehen, Antwerpen aber fliehen". —
„Meine Gemälde beweisen, daß ich auch stark bin in der Farbe,
wie in der Zeichnung; was mich jedoch vor Allem beschäftigt,
ist die Form". —

Diese Aussprüche des Künstlers sind ausreichend, um seine
Kunstrichtung kennen zu lernen. Seine Gemälde sind mehr
oder weniger der bildliche Ausdruck dieser Principien. So
viel Wahres dieselben auch enthalten, so spricht doch auch
aus ihnen eine Einseitigkeit, die in den Malereien selbst noch
ungleich greller und schärfer hervortritt. Wer würde die Wich-
tigkeit und Bedeutung der Form in der Malerei auch nur in
Zweifel ziehen, sie aber, und mit ihr das ganze linearische
Wesen, zur Hauptaufgabe zu machen, ist ein gänzliches Ver-
kennen des Wesens der Malerei überhaupt. Wenn, wie es
bei einzelnen seiner Arbeiten der Fall ist, die Poesie, das Ge-
fühl, die Phantasie, die Lebenswärme, die Frische und Kraft
der Natur gänzlich fehlt, und das Kunstbewußtsein sich fast ein-
zig und allein in der Form, in der Linie, in der Zeichnung
dokumentirt, so tritt nothwendig eine Trockenheit und Strenge
ein, welche dergleichen Erzeugnisse fast ungenießbar macht und
ihnen das Recht benimmt, als eigentliche Malwerke zu gelten.

So überbot sich Ingres sowohl in der Theorie, d. h. in
seinen Ansichten und Grundsätzen, als in der Praxis, d. h. in
seinen Gemälden. Einige seiner Mängel und Fehler, selbst in
der Form und Zeichnung, welche doch seine Hauptstärke aus-
machen, sind Fehler „xnr Systeme“, d. h. Konsequenzen seiner
einseitigen Richtung.

Im Jahre 1834 erschien sein „h. Symphorian", eines
seiner Hauptwerke, das Resume aller Regeln der Akademie.
Obgleich bestimmt, allen seinen und ihren Gegnern den Mund
zu schließen, ward es im Gegentheil mit einem wahren Hagel
kritischer Schlossen überschüttet. Um den Künstler theils zu
schützen, theils zu ehren, ward er mit der Direction der Kunst-
schule zu Rom betraut, an die Stelle S. Vernet's. In
Rom fand er viele Anhänger, besonders unter den Künstlern,

welche von Paris nach Rom gesandt worden waren. Sein Ruf
wuchs von Jahr zu Jahr. Einem „Ondit" zu Folge, hatte
er sogar sein Auge zur Pairie erhoben und kam gleich nach der
Installation von Schnetz, seines Nachfolgers, im Jahre 1841
nach Frankreich zurück. Seine Freunde, um sein Wiedererschei-
nen in Paris würdig zu feiern, hatten ein glänzendes Banquet
veranstaltet, in der sicheren Voraussetzung, daß das Künstler-
publikum wie die Kritik nicht mehr in die alte Feindschaft ver-
fallen würden. Besonders war es auf Eugen Delacroix
dabei abgesehen. Jnständigst gebeten, bei diesen Agapen zu er-
scheinen, durchschaute er doch, welche Buße seiner wartete. Er
hütete sich daher wohl, sich blicken zu lassen. — Vom Jahre
1850 bis 1851 versah er das Amt eines Rectors der „ecole
des Beaux-Arts“. Bon einem allzu strengen Selbstvertrauen
durchdrungen, träumte Ingres von einer Diktatur über die
französische Kunst und sagte, natürlich mit Beziehung auf sich
selbst: „Ein Meister sollte für das Heil der Künste in Frank-
reich sie absolut regieren". —

So einseitig nun auch seine Richtung ist, so viele Mängel
seine Gemälde auch aufweisen, so weit er auch hinter seinem
Ideale, Raphael, zurückbleibt, so kann ihm doch eine vorurtheils-
freie und unbefangene Kritik, die freilich bei den Künstlern am
wenigsten zu suchen ist, große und viele Verdienste nicht ab-
sprechen, die hauptsächlich in dem tiefen Durchdrungensein von
der hohen Würde und Bestimmung der Kunst in dem ideellen
Streben und Gehalte, in der Keuschheit der Gesinnung, in der
feierlichen Stimmung der Seele, in dem Maaße und Ernste
der Haltung, in der Strenge und Reinheit der Form bestehen.
Daß ihn und besonders seinen großen Schüler, Hippolite
Flandrin, die Verehrung altitalischer Kunsttraditionen zuweilen
noch hinter Raphael zurückgeführt hat, ist eben nur die Kon-
sequenz der Einseitigkeit und Abgeschlossenheit, wie sie vornehm-
lich in dem Wesen der Orthodoxie und des Dogmatismus
liegt. — Daher kommt es denn auch, daß alle Jngres'schen
Gemälde, wenn sie sich auch in drei Klassen oder Perioden ein-
theilen lassen, im Wesentlichen denselben Grundzug haben.
Zum Belage unserer allgemeinen Kritik gehen wir nun zur
Beurtheilung nur einiger Hauptwerke über.

(Schluß folgt.)

Korrespondenzen.

ünchcn, Anfang Januar. (Ausstellung des
Kunst Vereins.) Wie alle Jahre, so waren auch
diesmal in den Wochen vor Weihnachten meist klei-
nere Bildchen ausgestellt, welche als passende Ge-
schenke auf dem geputzten Tische unter dem Christbaum
sich eignen. Eine hervorragende Ausnahme bildete nur
iagner's „Ungarischer Husar", welcher einen Knaben bei einem
Manöver vor dem sichern Tode durch die nachsprengende Reiterkolonne
rettet, indem er ihn zu sich emporhebt, während sein Pferd im vollen
Galopp den klebrigen voranstürmt. Das Bild überrascht durch die unge-
meine Wahrheit und die Lebendigkeit der Darstellung, welche die Gefahr
des Knaben, aber auch die Kühnheit des Reiters zur vollen Geltung
bringt; dabei ist es vorzüglich gemalt und frei von aller Effekt-
hascherei, und wenn auch der Nachdruck auf möglichst treuer Wieder-
gabe der geschichtlichen Handlung liegen muß, so bleibt es darum
doch eine vollkommen selbstständige Komposition, ein Vorzug, der be-

kanntlich den bestellten Schlachtenbildern — und hierher ist unseres
zu rechnen — gewöhnlich abgeht. — Auch die Neujahrswoche brachte
außer zwei Portraits nichts Neues, um so gelungener und bedeuten-
der ist die diesmalige Ausstellung ausgefallen. Wir nennen zuerst
August Heckel's kolossales Gemälde: „König Lear verstößt Cor-
delia", welches für die Ausstellung in Paris bestimmt ist. Da das-
selbe bereits in Ihrer Kritik über die berliner Herbst-Ausstellung der
Akademie eingehend besprochen wurde, so kann ich mich einer Be-
sprechung desselben um so mehr enthalten, als ich vollständig mit
Ihrer Charakteristik übereinstimme. — Die ausgestellten Bildnisse,
mit Ausnahme von Aug. Hagn, welcher ein Kinderbrustbild brachte,
sind sämmtlich männliche Portraits und gut, unter den Ausstellern
(C. Otto und Heyn) aber gewann Gngel den Preis. —

Unter den Genrebildern behauptet diesmal Carl Raupp mit
seinem „Mittagläuten während der Heuerndte" den ersten Rang,
welches, wie wir hören, ebenfalls für Paris bestimmt ist. Der Stoff
 
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