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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 14.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.13561#0088

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Gegenüber dem Altar — von der Kanzel werden wir
sogleich sprechen — ist, wie dies in den meisten Kirchen üblich,
die Orgelempore gedacht, an welche sich zu beiden Seiten
bis zu den Seitenabsiden, und vielleicht noch in diesen fortge-
setzt, die Emporen für diejenigen Kirchenbesucher anschließen, welche
in dem Hauptschiff unten keinen Platz finden. Unter diesen
Emporen würden freie korridorartige Gänge bleiben für die Cir-
kulation in dem unteren Kirchenraum. Der Stamm des Kreuzes
würde durch die Vorhalle gradlinig abgeschnitten und durch
die etwas herausspringenden Ecken derselben für die Glocken-
thürme in Anspruch genommen werden.

Hiemit wäre die Grundform des Plans — und zwar nur
nach den Bedürfnissen des evangelischen Ritus — bestimmt.
Es käme nur noch — gewissermaaßen das Requisit für den
architektonischen Schlußstein der Gesammtkonstruction — die Be-
leuchtungsfrag e in Betracht, in welcher ebenfalls ein wesent-
liches Moment des Unterschiedes gegen den katholischen Ritus
enthalten ist. Die evangelische Kirche bedarf ihrer Natur nach
keines Dämmerlichts, das, durch schmale und hohe, mit gemalten
Gläsern bekleidete Fenster fallend, nur spärlich ein magisches,
auf Anregung der Phantasie berechnetes Helldunkel erzeugt: sie
bedarf einer hellen, aber gleichmäßigen Beleuchtung, welche, ohne
den Sonnenstrahlen direkten Eingang in den Hauptraum zu
gewähren, doch den ganzen Raum in hinreichender Deutlichkeit
erscheinen läßt. Dies ist aber nur durch einen über dem Mittel-
schiff sich erhebenden höheren Aufbau mit zahlreichen nahe an-
einanderliegenden Fenstern, die ein seitliches Oberlicht einlassen,
oder aber — und dies ist aus Gründen, die sich später ergeben
werden, jedenfalls vorzuziehen — durch eine mächtige Kuppel
über dem Hauptraum der Kirche, mit centralem Oberlicht zu
erzielen.

Blicken wir jetzt auf unsere bisherige Erörterung zurück,
so dürfen wir wohl behaupten, daß alle die berührten Requisite
für die Gestaltung des Innern, ja selbst zum Theil auch schon
des Aeußeren: die Form des Kreuzes, dessen kurze Arme mit drei
Absiden abschließen, die Orgelempore, die Seitenemporen, die
Vorhalle mit den Glockenthürmen, endlich die Kuppel über dem
mittleren amphitheatralisch gedachten Hauptraum — sich als
Konsequenzen der besonderen Weise des evangelischen Ritus mit
Nothwendigkeit ergeben haben.

Es bleibt nur noch ein Punkt — und zwar, in Hinsicht
auf das Grundprincip des evangelischen Kultus, welcher vor-
nehmlich in der Predigt wurzelt, das relativ wichtigste — zu
erörtern, nämlich die Anordnung der Kanzel.

Die Kanzel erscheint — als ob man nicht recht wüßte,
wohin damit — nicht nur in den katholischen, sondern auch
fast in allen evangelischen Kirchen entweder seitwärts an den
Eckpfeiler der Querwand des Schiffes oder auch an einen frei-
stehenden Pfeiler des Mittelschiffes — sei es rechts, sei es links

— angeklebt. Im katholischen Ritus hat diese architektonisch
freilich durchaus fehlerhafte Anordnung weniger auf sich, da die
Predigt hier überhaupt nicht Hauptmoment der kirchlichen An-
dacht ist. Anders in der evangelischen Kirche. Hier bildet die
Kanzel als die Stelle, von wo der Prediger zur Gemeine spricht

— ein Akt, für den die Liturgie und der Gesang gleichsam
nur die Jntroduction und den Abschluß bilden — den eigent-

lichen Centralpunkt des Gottesdienstes und muß als
solcher daher auch architektonisch zu seinem vollen Rechte ge-
langen. —

Herr Prof. Bohnstädt, welcher unsre vor vier Jahren an-
gestellte Erörterung des Princips des evangelischen Kirchenbau-
sthls einer eingehenden, zum Theil antikritischen Betrachtung
unterworfen hatte, erkannte in gleicher Weise die Unzuträglich-
keit des üblichen Arrangements der Kanzel sowohl in ritualer
wie architektonischer Beziehung an, glaubte aber diesen Uebel-
stand nur dadurch beseitigen zu können, daß er die Kanzel über-
haupt unterdrückte und den Altar als den gemeinsamen
Functionsplatz für Liturgie und Predigt statuirte. Er sagte:
„Erstens mag es wohl schwerlich einen würdigeren Platz für
den Geistlichen geben, um zu seiner Gemeinde zu sprechen, als
eben den Platz vor dem Altar; zweitens ist während der
die längste Zeit dauernden Predigt der Altar dann nicht ein
bloßes Schaustück, das wirklich etwas Befremdendes hat, wenn
es vor den Augen der Tausende von Kirchenbesuchern, die doch
nicht unausgesetzt zum Prediger auf die Kanzel blicken, so un-
benützt sich erweist; drittens steht der Geistliche vor dem Altar
auf einem Platz, woselbst er von Allen gesehen und gehört Wer-
der kann (es sei denn, daß das Kirchenschiff zu lang gemacht
worden, um die Stimme noch deutlich vernehmbar sein zu lassen;
dieses kann aber nur dann stattfinden, wenn die Kirche für
eine zu große Anzahl Besucher eingerichtet wird, ein Fehler,
zu welchem in neuerer Zeit man sich leider geneigt zeigt). Der
Altar pflegt, behufs der Ceremonie des Abendmahls rc. mit
einem Geländer versehen zu werden. Vor oder unmittelbar
hinter diesem Geländer, auf den es umgebenden Stufen, erhöht
über der Diele des Kirchenschiffs, wäre demnach der Platz für
die Abhaltung der Predigt."

Im Weiteren spricht er es geradezu aus, daß, wenn man
überhaupt von einem Fortschritt in der Entwicklung des evan-
gelischen Kirchenbausthls reden dürfe, dieser nur durch Beseiti-
gung jenes „Hindernisses ermöglicht werden könne, welches in
der Nichterfüübarkeit jener doppelten Bedingung von Altar und
Kanzel liege."

Wir sind der Ansicht, daß dadurch die Uebelstände nicht
gehoben, sondern eher vermehrt wurden: die Kanzel gänzlich
fortlassen, hieße in der That das Kind mit dem Bade aus-
gießen. Auch was die „Nichtersüllbarkeit jener doppelten Be-
dingung von Altar und Kanzel" betrifft, so gestehen wir, daß
wir diese nicht finden können. Warum sollte Altar und Kanzel
übereinander und in organischer Verbindung — architektonisch
gesprochen — unmöglich sein? Die etwas zurücktretende Stellung
der Kanzel (die auch nicht einmal nöthig ist), wodurch, wie an
einer andern Stelle der Herr Vers, annimmt, der Ton ge-
schwächt werde, ist zu gering, um einen wesentlichen Unterschied
zu machen, und wird ohnehin durch die größere Höhe und die
daraus entspringende größere Leichtigkeit der Verbreitung des
Tons wieder ausgewogen. Wenn ferner der Herr Verf. den
„unästhetischen Eindruck" betont, den „das Erscheinen eines
beweglichen lebenden Wesens über dem als Altar charakterisirten
Bautheil Hervorbringen" würde, so will uns bedünken, daß auf
einer Kanzel, die wie ein Schwalbennest an einem Pfeiler klebt,
die Erscheinung eines lebenden Wesens noch viel unästhetischer
 
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