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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 14.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.13561#0264

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heit der großen berliner Ausstellung im vorigen Jahre besprochen
wurden.

Was die Vertretung der verschiedenen Fächer nach Ländern und
Schulen betrifft, so ist in Betreff der Historienmalerei zu bemerken,
daß auffallender Weise Italien das stärkste Kontingent gestellt hat,
nämlich 35#; dann folgt Süd- und Mitteldeutschland mit 16 #,
Oesterreich mit 16#, Frankreich mit 13#, München mit 12#,
Holland und Belgien mit 10#, Berlin und Norddeutschland mit
8'/:# und Düsseldorf gar nur mit 8#. Anders ordnen sich die
Länder im Portrait- und Figurenstudienfach; hier kommt zuerst Mün-
chen mit 48 Bildern, Frankreich mit 40, Oesterreich mit 20, Berlin
mit 19, Süd- und Mitteldeutschland und Italien mit je 7, Holland
mit 6 und Düsseldorf mit 7 Bildern.

Wie das Gen re fach meist seine Stoffe aus dem Volksleben
schöpft und dadurch, sowie durch die geringere Dimension mehr für
den begüterten Privatmann als für öffentliche Gallerien schafft, so
kann hier die relative Vertretung als ein ungefährer Maaßstab für
die Gunst gelten, welche die Bevölkerung der bildenden Kunst zu-
wendet. Von diesem Gesichtspunkt würde nun vor Allem Düsseldorf
zu beglückwünschen sein, von dessen eingesandten Werken 44# dem
Genre angehören, während Frankreich oder besser Paris als das
nächsthöchste nur wenig über die Hälfte, nämlich 23 #, zählt. Italien
hat ungefähr ebenso viel eingesandt; dann kommt München mit 20#,
Mittel- und Süddeutschland mit 18'/,#, Oesterreich mit 17#, Holland
und Belgien mit 14'/,#, am wenigsten Berlin, nämlich 14#.

Die Landschastsmalerei ist aus begreiflichen Gründen noch
günstiger gestellt. Im Ganzen sind 407 Landschaften (ohne Archi-
tektur- und Marinefach) ausgestellt, also fast 29#, während das
Genre nur 19# zählt. Geographisch getrennt, ist die Vertretung
der Landschaften folgende: Unter den Werken Düsseldorfs befinden
sich 57% # Landschaften, unter denen Mittel- und Süddeutschlands
39#, Oesterreichs 37#, Münchens 32#, Berlins 28#, Hollands
und Belgiens 24'/,#, Frankreichs 20'/»#, Italiens 17#. Man
sieht daraus, daß nur aus den beiden letztgenannten Ländern weniger
Landschasts- als Genrebilder geschickt wurden, während z. B. bei
Berlin die Figurenmalerei doppelt so stark vertreten ist als die Land-
schaftsmalerei.

Marinebilder zählt Holland und Belgien, wie natürlich am
meisten (18), während Düsseldorf nur 1 gesandt hat; Italien ist
ebenso reich an Architekturgemälden wie Landschaften, bei München
und Frankreich verhalten sie sich zu jenen ungefähr wie 1:5, bei
Berlin wie 1: 7, während Düsseldorf, Mittel- und Süddeutschland
gar kein Bild dieser Gattung gebracht haben.

Die Fächer der Thiermalerei und des Stilllebens sind der Zahl
nach ziemlich untergeordnet, so daß sie für eine statistische Vergleichung
keinen Anhaltspunkt darbieten.

Nach diesen allgemeinen, die ökonomischen Verhältnisse der Aus-
stellung betreffenden Vorbemerkungen könnten wir nun in die Be-
trachtung der einzelnen Kunstgattungen, d. h. der Werke selbst, welche
sie repräsentiren, eintreten, wenn wir uns nicht veranlaßt fänden,
zuvor noch einige Worte über den ideellen Charakter der Ausstellung
zu sagen. Lediglich vom Gesichtspunkt der Ausstellung als solcher
betrachtet, macht sie — dies ist nicht zu leugnen — einen glänzenden,
ja großartigen Eindruck. Hiezu trägt nicht nur das imposante Innere
des Glaspalastes, sondern mehr noch das außerordentlich geschickte
Arrangement, sowie die große Zahl der ausgestellten Werke bei.

Für den Laien, ja auch für den Künstler — aber für diesen aus
andern Gründen — ist daher die Wirkung der Ausstellung eine sehr-
erfreuliche und befriedigende. Ja, auch derjenige, dessen kunstgebildetes
Auge und kritisch geschärfter Blick sich von äußerem Prunk und vir-
tuoser Farbenpracht nicht blenden und verführen läßt, wird sich diesem
allgemeinen Eindruck eleganter Großartigkeit des Ganzen nicht ent-
ziehen können. Dennoch müssen wir sagen, daß bei öfterem Besuch
und näherer Betrachtung die Ausstellung nicht gewinnt, sondern ver-
liert. Zwar, was das Wissen betrifft — dies Wort im rein tech-
nischen Sinn genommen — so muß man die außerordentliche Rou-
tine, das oft bewunderswürdige Machwerk, die Virtuosität in der
Beherrschung der technischen Mittel anerkennen. Um so peinlicher
aber fällt diesem staunenswerthen Wissen gegenüber der Mangel des
Könnens, d. h. des schöpferischen Geistes, der eigentlichen künst-
lerischen Zeugungskraft auf. Allerdings giebt es eine, wenn auch
beschränkte Zahl von Werken, in denen Idee und Darstellung auf
gleicher Höhe stehen, in denen Können und Wissen sich decken. Aber
theils sind dies meist ältere, schon bekannte Werke, wie Gallait's
„Slavische Musikanten" (aus der Gallerte Ravene), Coutüre's
„Edelknabe" (ebendaher), die Bilder von Knaus u. s. f., theils
gehören sie nicht den höheren Kunstgattungen, wie der Historienma-
lerei u. s. s., an%- Wir dürfen es uns nicht verhehlen, daß die in-
ternationale Ausstellung im Großen und Ganzen ein nicht zu ver-
kennendes Gepräge von Gedankenarmuth offenbart, und dieser Ein-
druck ist für denjenigen, der in der Kunst nicht blos ein höheres
Handwerk sieht, sondern welcher sie als die ebenbürtige Schwester
der Wissenschaft, d. h. als die Verkündigerin des Evangeliums ideeller
Schönheit und einer schönen Ideenwelt betrachtet, ein höchst nieder-
schlagender.) Und dies Gepräge trägt nicht blos die Malerei, son-
dern in fast moch höherem Grade die Plastik. In beiden Künsten
zeigt sich die Gedankenarmuth, die künstlerische Impotenz nicht blos
in dem Mangel an Ideen, sondern in einer beklagenswerthen Ver-
irrung, in einem Haschen nach erkünstelter Naivetät, welche — unter
dem Schein unschuldsvoller Einfachheit — meist auf die raffinirteste
Sinnlichkeit oder die bornirteste Naturwahrheit spekulirt. Diesen Ton
haben namentlich die Franzosen zuerst angeschlagen, wie ja die „große
Nation" in allen Dingen der Mode (denn diese krankhafte und im
tiefsten Sinne des Worts unsittliche Richtung ist doch nur eine Mode-
frage) überall die maaßgebende Führerin ist, und die guten Deutschen,
besonders einige Wiener, folgen ihnen ungescheut darin nach. Nach
einer andern Seite hin zeigt sich die aus jener künstlerischen Im-
potenz entspringenden Verirrung in einem fast noch schlimmeren Kul-
tus des Häßlichen und Gemeinen. Man betrachte die Bilder
von A. Feuerbach, Böcklin und frage sich, die Hand auf's Herz
gelegt, ob hierin noch ein Kultus des Schönen erblickt werden kann,
und nicht vielmehr die Venus Urania hier zur völligen vulgivaga herab-
gesunken ist?

Wenn wir unsrer kritischen Pflicht gemäß auf diese bedenkliche
Wendung in der neueren Kunst, wie sie sich vorwaltend neben großer
Inhaltslosigkeit und Jdeenarmuth auf der internationalen Ausstellung
offenbart, hinzuweisen nicht unterlassen konnten, so wollen wir damit
nicht sagen, daß nicht dennoch einzelne, auch ihrem ideellen Gehalt
nach bedeutende und respektable Werke vorhanden sind, welche einiger-
maaßen die Hoffnung gewähren, daß jene verderblichen und aus einer
gewissen künstlerischen Demoralisation entstammenden Richtungen nur
vorübergehende Erscheinungen der modernen Kunstbewegung seien,
welche von einem frischeren gesunden Lebensstrom wie die giftigen
Nebel vom Morgenwinde verweht werden müssen. (Forts, folgt.)
 
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