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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 14.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.13561#0268

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Antwerpen" jetzt in Besitz von Henry Le Grelle in Antwerpen;
dann 1834 „Kampf zwischen einem französischen Grenadier
und Kosaken". Doch die meiste Aufmerksamkeit zog er auf sich
durch das Bild „Kampf der Burgunder und Flämen", das der
König von Holland erwarb, aus dessen Nachlaß es verkauft
wurde, zugleich mit dem andern Bilde desselben Meisters „Die
Weißkappen". Im Jahre 1835 wagte der Zwanzigjährige seine
erste Reise. Er ging nach Paris und kam berauscht zurück.
1836 konkurrirte er noch in der alten Manier auf der Aus-
stellung in Brüssel. Doch als er 1837 auch Holland besucht
hatte, entschloß er sich, ganz der Richtung französischer Ro-
mantik sich hinzugeben.

Von 1837 bis 1852 gab es daher einen ausgesprochen
modern-französischen Maler mehr in Belgien, Henry Leys.
Schon 1835 zum Mitgliede der k. Akademie Belgiens ernannt,
schuf er während dieser 15 Jahre in seiner zweiten Manier
bereits sehr Bedeutendes, aber doch immer nur von französischem
Standpunkte aus, virtuos in der Technik, flämische Elemente
mit hineinmischend, jedoch wie eben ein echter Pariser ihm Frem-
des auffaßt. So entstanden 1837 „Massacre der Schöppen von
Löwen 1379", jetzt bei Van der Seick in Brüssel; 1838 „Die
Geusenfamilie sich gegen Spanier verteidigend"; 1839 „Eine
flämische Hochzeit"; „Zigeuner und Räuber"; „Bettler und
Reiche"; „Maleratelier"; „Ein bretagnisches Familienfest" rc.
1839 wieder in Paris, faßte Leys Muth, etwas mehr selbst-
ständig zu werden. Später in Antwerpen wagte er sich schon
an Ausgesprocheneres. So schuf er 1845 jene „Predigt im
Mittelalter", jetzt im brüsseler Museum der Modernen; „Der
Bürgermeister Six bei Rembrandt"; 1849 das „Corps de Guide",
später in Utrecht verkauft, den „König der Armbrustschützen",
das „Atelier Rembrandt's" u. s. f. So schritt er fort bis 1851,
wo er „Das Fest der Schützen zu Ehren Rubens" ausstellte,
das nach St. Petersburg verkauft wurde.

Schon hatte Leys eine selbstständige Richtung wenigstens
in der Wahl' der Sujets eingeschlagen, schon sprach man von
einem Regenerator altflämischer Geschichte; aber die Mittel und
die Darstellungsmanier waren noch ganz modern, französisch rou-
tinirt, daher fast in einem frivolen Gegensätze zu dem geistigen
Wollen. Zudem zeigte sich Leys in dieser Manier zwar als
gewandter Meister, aber durchaus nicht als brillanter Virtuos,
weder als großer Kolorist, noch als ein geistreicher Pointirung
fähiger genialer Zeichner, oder in der Mache so bahnbrechend wie
manche jener artistischen pariser Köche, die Saucen zu bereiten
wissen, mittelst deren man — wie man im Quartier Latin
sagt — seinen Großvater aufessen könnte. Leys schwang sich
in seiner zweiten Manier keineswegs zu solch' falscher Origi-
nalität empor; er war blos ein sehr guter, solider französischer
Maler nicht französischer Sujets. Er hatte zudem ganz fleißig
die 600 Nummern alter Meister der antwerpner Gallerte und
all' die Rubensiaden in all' den Kirchen Belgiens durchstudirt
und schien sich noch am meisten Cornelius de Vos dem
Aelteren zuzuneigen. Dagegen die einzelnen Altdeutschen, die
Niederrheiner und die alten Flämen, wie er sie sporadisch in
den Museen von Brüssel oder Antwerpen vorfand, scheint er
damals noch kaum bemerkt zu haben; wenigstens läßt nichts
während seiner zweiten Periode darauf schließen, er sei schon

damals besonders fascinirt gewesen von den Van Eyck's,
Hans Memling's, Matsys', Dürer's, Holbein's,
u. s. w. Das ist sehr erklärlich. Jene belgischen Museen wie
alles Belgische, genießen einen verhältnißmäßig zu großen Ruf
im Auslande. In Wirklichkeit sind sie nicht so reich an guten
Bildern, wie man gemeinhin annimmt, zudem sind die hetero-
gensten Schulen zusammengeworfen, man kommt gar nicht zum
vollen Eindrücke irgend einer besonderen Richtung, und als
Grundton klingt überall die übertäubende, dekorative Rubensiade
vor. Sogar die Flämen und Holländer kann man in jenen
Museen nicht mit Aplomb wirken sehen, da alle Totalität der
Specialfächer fehlt, und selbst von Rubens und Van Dyk kann
man erst den rechten Begriff bekommen, wenn man ihre vor-
weg bedeutenderen und charakteristischeren Werke in London,
Paris, Wien, München u. s. w. gesehen.

So stand denn Leys, der außer Belgien, Holland und
Paris nichts kannte, trotz aller ihm gewordenen Anerkennung
ziemlich rathlos da, wo er eigentlich hinaus wolle und was denn
der dunkle mächtige Drang in ihm sagen solle? Er fühlte den
Widerspruch in seinem Genre bei so modernen und fremden
Mitteln. Es träumte ihm, es habe eine gar große reiche Zeit
in der Vergangenheit seiner Vaterstadt wie seines Vaterlandes
gegeben, lang bevor der spanische Konflikt hereinbrach, und bis
kurz vor der Reformation heraufreichend; und diese Zeit habe
in ganz Europa ihren eigenen Typus gehabt: ernst, linkisch,
schwerfällig, aber auch wahr, gemüthsreich, poetisch. Es war
die Zeit des souveränen Bürgerthums der Reichsstädte. Das
wußte er längst, er konnte sich aber jenen Typus bis dahin
blos konventionell modern vergegenwärtigen.

Da führte ihn der Zufall 1859 nach Deutschland. Leys,
der kein Wort deutsch konnte, zog ganz allein, und von den
Wirthen wahrscheinlich für einen französischen Commis Voyageur
gehalten, umher in Köln, Frankfurt, Berlin, Dresden, Prag,
Nürnberg, München. Er sprach nicht einen einzigen seiner
zeitgenössischen Kollegen, betrat kein modernes Atelier, sondern
saß blos tagelang nachdenklich oder skizzirend in den Museen
umher. Als er die altdeutschen und niederdeutschen Schulen
in solcher Totalität und in solchen Meisterwerken kennen lernte,
war es ihm, als sei er endlich und ganz zufällig in das Pa-
radies gerathen, wovon er immer dunkel geträumt, von dem er
aber gar nicht ahnte, daß es in Wirklichkeit vorhanden sein
könne. —

Jetzt wußte er plötzlich, was er wollte; und er entschloß
sich das auch zu sollen. Er ging nach Antwerpen zurück, warf
alle modernen französischen Reminiscenzen zum Fenster hinaus
und fing ganz primitiv von vorn an. Freilich, anfangs wußte
er selbst nicht gleich recht, wo er eigentlich hinaus wolle, und
wie er, der moderne Reflepionsmensch, es anzufangen habe,
um wieder naiv, absichtslos und besonders auch wieder in den
Mitteln bescheiden zu werden? Er malte „Franz Floris sich
zu einem Fest begebend", das später Demidoff erwarb, jetzt
Lord Herford besitzt; dann kam „Der Spaziergang außerhalb der
Stadtmauer", Sujet aus Goethe's Faust, im Besitz des Herzogs
von Brabant; ferner „Die katholischen Frauen", jetzt bei Mi-
nister Van Praet in Brüssel, „Das Neujahr in Flandern",
seither im Besitz der Wittwe Fould in Paris, „Ballspiel des
 
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