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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 18.1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.12974#0087

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Ahnung davon verlöscht, daß der einstige Durchbruch jener klas-
sischen Kunst und Literatur durch die Eisdecke der kläglichsten
Vornrtheile des Spießbürgerthums in That und Wahrheit eine
Befreinngsthat genannt werden durste!

Allein jede Zeit hat noch immer den ihr eigenthümlichen
Trost ihren Bürgern gespendet. Die Restaurationsepoche der
Deutschen hat es im vollsten Maaße aus dem Boden der Kunst.
Ward allerdings in den redenden und darstellenden Künsten
mehrentheils von den Früchten der klassischen Blüthenjahre ge-
zehrt, zumal in der Schauspielkunst, so erfuhren dagegen jetzt
erst die bildenden Künste, Malerei, Plastik und Baukunst,
die segensreichen Wirkungen des letzten geistigen Aufschwungs
der Nation. Die Akademien zu München, Berlin, Dresden
und Düsseldorf wurden unter dem sorgenden Schutze hochsinniger
Fürsten herrliche Pstanzschulen hervorragender Talente; deutsche
Bahnen schlug auch hier der deutsche Geist ein, in der Bau-
kunst wurde die Gothik zu Ehren gebracht, der acht romanische
Styl in den Grenzen seiner Berechtigung gepflegt, wobei die
Tempelhalle der antiken Architektur zu Wohnstätten für öffent-
liche Sammlungen meist mit richtiger Einsicht verwerthet ward;
die Malerei streifte die letzten Fesseln der französischen Manier
ab und ergriff, gleich der Bildhauerkunst, das Studium der ewig
frischen schöpferischen Natur und der Handlung im Reiche des
Völkerschicksals. Die Eroberungen, welche die Wissenschaft der
Geschichte mitten unter den Halbheiten und Ueberschwenglich-
keiten dieser Uebergangszeit, neben und oft Hand in Hand mit
der exacten Naturforschung, für die Zwecke einer neuen Aera
deutscher Kultur gemacht, kamen der bildenden Kunst auf das
Glänzendste zu Gute; plastisch trat die vaterländische Ge-
schichte den Deutschen vor Augen, denn alle Städte und Land-
schaften wetteiferten, ihre großen Söhne in Stein und Erz auf
freiem Markte vereinigt zu sehen. „Eine Phalanx von Helden
der Kunst weckte aus ihren Gräbern die Helden der Geschichte."

Nach Gottfried Schadow ist Ehr. Rauch der Alt-
meister der Bildhauerei, der Illustrator von Norddeutschland,
besonders von Preußen, aber unter König Ludwig's von Bayern
Führung blieb die süddeutsche Kunst keinesweges zurück, sie pflückte
überall gleich kräftige Lorbeern: Dannecker und Schwanthaler
sind ihre würdigsten Vertreter. Friedr. Drake, Rietschel,
Kiß, Bläser und eine lange Reihe anderer Größen bezeichnen die
Ruhmesbahn der nendeutschen Bildhauerei. Realidealistisch
ist der Typus ihrer Gestalten. Die Elemente der modernen
Klassicität, der neuromantischen Aesthetik und nicht am letzten die
Wiederherstellung der empirischen Wissenschaften haben hier mit-
gewirkt. Der Baukunst gaben Schinkel in Berlin, Klenze
und Gärtner in München sammt einer stattlichen Schaar Mit-
und Nachstrebender den gleichen Aufschwung. In das Gedenkbnch
der deutschen Kunstgeschichte ist Schinkel's Name mit unvertilg-
baren Lettern eingezeichnet. Und wer die großen schöpferischen
Thaten der neudeutschen Malerei überblickt, welche Legionen
unnachahmlicher Kunstwerke geliefert, der erkennt in dem Bahn-
brecher derselben, in Peter v. Cornelius, den thatkräftigen,
von der erhabensten Auffassung des Schönen getragenen Geist,
den von tiefem deutschen Ernste beseelten Mann, der durch Innig-
keit, Frömmigkeit und Genialität des schaffenden Gedankens und
der feinfühligen Ausführung alle Anderen hinter sich ließ, Er,

der nie verzweifelt hat au Deutschlands Zukunft, Er, die künst-
lerische Verkörperung des historischen Deutschthums! Daß der
schöpferische Gedanke voraufschreitet einer unreifen Zeit, ward
an dieser mächtigen Begabung so recht offenbar.

Selbst über dieses religiös gestimmte Gemüth eines gläubigen
Katholiken hat allerdings ein spekulatives Moment Herrschaft ge-
habt, ein absoluter Idealismus, der seine Phantasie hinderte, das
tiefsinnig Vorangeschaute auch immer farbig und greiflich, wie sie
es gedacht, zu verwirklichen, und es ist deshalb oft in übertriebener
Weise ihm und seinen Gesinnungsgenossen Veit und Overbeck
und seinem Strebensgenossen Julius Schnorr v. Carolsfeld,
überhaupt den Chorführern der neudentschen Malerei, der Vor-
wurf gemacht worden, sie sei etwas frostig, sei „von des Ge-
dankens Blässe angekränkelt"; solch' ein Urtheil hat nicht die
kulturhistorische Erwägung der Thatsachen für sich! Die Tragik
der deutschen Geschichte, welche die Nation in zwei große kon-
fessionelle Heerlager gespalten hat, ist auch das Unglück der
deutschen Kunst und vor Allem der religiösen Kunst, in
welcher Cornelius, Veit und Overbeck ihr Höchstes geleistet.
Wie soll eine ganz einheitliche Kunst da erwachsen, wo den Ge-
stalten eines Cornelius der feurige Protestant Karl Friedrich
Lessing mit seinem Huß und seinem die Bannbulle verbrennen-
den Luther entgegenfteht, wo Wilhelm von Kaulbach der
freiesten Richtung des Genius huldigt und die spekulative Idee
einer philosophirenden Pinselführung von dem Carton zur
Hunnenschlacht bis zu den kulturhistorischen Fresken des
Treppenhauses im berliner Museum hindurchscheinen läßt?
Man denke nur an Kaulbach's Friedrich den Großen! Ans
jene stereotyp gewordene verfängliche Frage, ob unser Jahr-
hundert keine Madonnen mehr malen kann, haben nur die
Geistreichen der Theezirkel sofort ihre Antwort, das 18. Jahr-
hundert hat sich hierauf gewiß noch schlechter verstanden; die
religiöse Kunst hängt von der Lösung der Religionsfrage
ab, sie ist an die Versöhnung von Glauben und Wissen ge-
bunden, und so lange diese Versöhnung ein frommer Wunsch
bleibt, entbehrt die religiöse Kunst, besonders die Malerei, der
harmonischen Ganzheit, sie schwebt zwischen Himmel und
Erde und wird nie den Eindruck hervorzaubern können, der die
heiligen Gemälde des Raphael, des Correggio, des Paulo Vero-
nese zu ewigen Leuchten am Kunsthimmel erhebt.

Mit der Bühne, die alle Künste zu ihrem Dienste in
Anspruch nimmt, schließen wir diese Betrachtung. Dichtkunst,
Musik, Architektur, Malerei, Tanzkunst und Plastik wirken für
die Bühnenzwecke zusammen, aber Dichtkunst und Musik
sind die obersten Faktoren dieser hochwichtigen Kultnrthätigkeit
und das innere Wechselverhältniß beider Künste ist daher unter
dem Gesichtspunkte der gesummten theatralischen Kunstübung das
vornehmste Objekt der ästhetischen Kritik. Man weiß, daß in
neuerer Zeit ein mächtig begabter Künstler im musikalischen wie
im poetischen, überhaupt im Bühnensach, ich meine Richard
Wagner, auf die Feststellung dieses Verhältnisses sein Haupt-
augenmerk gerichtet hat und solchergestalt das „musikalische
Drama" zum Leitstern seiner Strebungen erkor. Wenn wir
dieses Musikdrama in's Auge fassen, müssen wir der Gerechtig-
keit gemäß unverweilt ein hohes nationales Verdienst Wagner's
kundgeben. Durch die Verpflanzung der deutschen Heldensage
 
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