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Aphorismen und Misceü'en.
^^ndem die Kunst sich vom Gefühl aus an das Gefühl wendet, greift sie
in ihren Wirkungen viel weiter und tiefer als die Wissenschaft. Ganz vor-
nehmlich für die sittliche Bildung des Volks in seiner Totalität ist sie ein
unberechenbares wichtiges Moment, da die große Mehrzahl in den nieder»
Schichten der Gesellschaft eine durchgreifende sittliche Bildung ihres Selbst-
bewußtseins nur als Bildung ihrer Empfindung, nicht als Bildung ihres
Verstandes enipfängt. Was in den höheren Abtheilungen der Gesellschaft
auch auf dem Wege der Wissenschaft an den Einzelnen gelangt von sittlich
bildenden Einflüssen, reinigenden sowohl als erhebenden, das kann in den
tiefer liegenden Regionen nur durch die Kunst an ihn gebracht werden.
Gerade sie.ist's, die auch den äußerlich am tiefsten Gestellten und am meisten
mit der Roth des irdischen Lebens Belasteten sittlich zu heben und zu adeln
vermag, und nichts wäre für die ärmern Volksklassen wünschenswerther, als
daß sie überall mit einer wahrhaft gesunden und reichen Kunstwelt umgeben
werden könnten, deren veredelnde Einflüsse sie ununterbrochen auf ihnen selbst
kaum bemcrkliche Weise einathmeten. Weshalb denn auch der Staat ernstlich
darauf bedacht sein soll, diesen Klassen einen guten Kunstgenuß zu eröffnen.
Wesentliche Hülfe kann freilich nur von der Emancipation der Kunst aus
der Beschränkung auf den Bereich des Privatlebens kommen. An diesem hat
die Kunst keinen ihrer würdigen Hintergrund und Halt; schon deshalb muß
sie, wenn sie auf dasselbe beschränkt ist, ihre Würde mehr und mehr ver-
lieren, beides gleich sehr ihre reflerionslose Unschuld, ihre kindlich unbefangene
Demuth auf der einen Seite und das stolze Selbstgefühl um ihren Adel
auf der andern. Auf das Privatleben beschränkt und seinen bedeutungslosen
Interessen dienstbar gemacht, wird sie kleinlich wie diese und damit zugleich
gefallsüchtig. Sie wird unvermeidlich eine Sache des Luxus und der Eitel-
keit, was sie nie werden darf, und überhaupt sie verkümmert in sich und
ihr Lebensmark verdorrt. Die Kunst immer vollständiger in die Oeffentlich-
kcit einzuführen, darauf muß das Hauptaugenmerk gerichtet sein, darauf einer
wirklich guten Kunst eine großartige öffentliche Wirksamkeit zu 'verschaffen.
Der Staat kann die Kunst gar nicht zweckmäßiger pflegen, als wenn er sie
mit der Fülle aller ihrer mannigfaltigen Darstellungsmittel Mitwirken läßt
bei der Darstellung seiner eigenen allgemeinen Lebensfunktioncn, wenn er sie
die öffentlichen Lokalitäten schmücken und die öffentlichen Feste verherrlichen
läßt. Und dies ist zugleich der sicherste Weg zur allgemeinen Verbreitung
künstlerischer Bildung, und zwar einer wahrhaft in sich einheitlichen über
alle Klaffen der Nation. (Iloihe.)
eg» . 201.
<^1)benso groß wie der Abweg, auf welchem sich unsere Musik befindet,
ist analog der, auf welchen die römische Architektur unter den spätern
Kaisern gerathen war, wo nämlich die Ueberladung mit Verzierungen die
wesentlichen, einfachen Verhältnisse theils versteckte, theils sogar verrückte; sie
bietet nämlich vielen Lärm, viele Instrumente, viel Kunst,, aber gar wenig
deutliche, eindringende und ergreifende Grundgedanken. Zudem findet inan
in den schalen, nichtssagenden, melodielosen Kompositionen des heutigen Tages
denselben Zeitgeschmack wieder, welcher die undeutliche, schwankende, nebel-
hafte, räthselhaste, ja, sinnleere Schreibart sich gefallen läßt, deren Ursprung
hauptsächlich in der miserabel» Hegelei und ihrem Scharlatanismus zu suchen
ist. — In den Kompositionen jetziger Zeit ist es mehr auf die Harmonie,
als die Melodie abgesehn: ich bin jedoch entgegengesetzter Ansicht und halte
die Melodie für den Kern der Musik, zu welchem die Harmonie sich ver-
hält, wie zum Braten die Sauce. (Sd;op£ttl)iuier.)
/-ä 202.
^Aie Musik ist die wahre allgemeine Sprache, die man überall versteht:
daher wird sie in allen Ländern und durch alle Jahrhunderte, mit großem
Ernst und Eifer, unaufhörlich geredet, und niacht eine bedeutsame, vielsagende
Melodie gar bald ihren Weg um das ganze Erdenrund; während eine sinn-
arme und nichtssagende gleich verhallt und erstirbt; welches beweiset, daß der
Inhalt der Melodie ein sehr wohl verständlicher ist. Jedoch redet sie nicht
von Dingen, sondern von lauter Wohl und Wehe, als welche die alleinigen
Realitäten für den Willen sind: daruni spricht sie so sehr zum Herzen, wäh-
rend sie dem Kopfe unmittelbar nichts zu sagen hat und es ein Mißbrauch
ist, wenn man ihr Dies zumuthet, wie in aller malenden Musik geschieht,
welche daher, ein sür alle Mal, verwerflich ist; wenn gleich Haydn und
Beethoven sich zu ihr verirrt haben: Mozart und Rossini haben cs, meines
Wissens, nie gethan. Denn ein Anderes ist Ausdruck der Leidenschaften,
ein Anderes Malerei der Dinge. (Schopenhauer.)
203.
Scherz kennt kein anderes Ziel als sein eigenes Dasein. Die poetische
Blüthe seiner Nesseln sticht nicht und von seiner blühenden Ruthe voll Blätter
fühlt man kaum den Schlag. Es ist Zufall, wenn in einem echtkomischen
Werke etwas satirisch scharf ausschlägt; ja nian wird davon in der Stimmung
gestört. (3cau Paul.)
^]a, es ist leer, wenn ein Volk über Geisterreichthum das andere zur Rede
setzt und z. B. das französische uns fragt, wo sind euere Voltaires, Rousseaus,
Diderot's, Buffon's? Wir haben sie nicht, (sagen wir), aber wo sind bei
euch unsere Lessinge, Winkelmanne, Herder, Goethe re.? Wahrlich nicht ein-
mal elende Autoren finden ihre Nebcn-Affen im Auslande. (Jean Paul.)
Briefkasten.
Herrn Di-. 8. in Wien. Der Ausschnitt mußte fortgelasscn werden, weil schon in Nr. 13 (s. Chronik) enthalten. (D. Red.)
Grosse Gemälde-Äuetien zu München.
Montag, den 21. April 1873, wird durch die Unterzeichnete eine
bedeutende Sammlung moderner Gemälde zumeist von Münchener
Künstlern öffentlich versteigert.
Es kommen zum Aufwurf Original werke von Andreas und Oswald
Achenbach, E. D. Bolanachi, Herrn. Baisch, P. Böhm, H. Bürkel, A. Ca-
lame, Decamps, A. Feuerbach, A. Flamm, H. Gude, Th. Gudin, E. Grütz-
ner, Peter Hess, L. v. Hagen, C. Herpfer, Alb. Keller, Hugo Kauffmann,
W. von Kaulbach, Ludw. Knaus, P. Körle, Heinr. Lossow, Ad. Lier,
M. Münkaczy, G. v. Meszöly, Hans Makart, Chr. Mali, C. Millner,
A. v. Bamberg, C. Rottmann, Anton und Otto Seitz, Ad. Stademann,
Ed. Schleich, C. Spitzweg, M. v. Schwind, B. v. Tiesenhausen, Ph. Tan-
neur, Friedr. Voltz, "W. Xylander, E, Young etc. etc.
Mittwoch, den 23. April, folgt dann die Auction einer Sammlung
alter Gemälde, vorzugsweise der holländischen u. italienischen
Schulen angehörend.
Die Kataloge sind gratis und franco zu beziehen von der
Montmorillon’schen [796]
ICunstliarLdliiiig’ & Auctions-Anstalt.
welche eine dauernde, gut dotirte Stellung als Dirigent der
künstlerischen Abtheilung eines bedeutenden Verlagsinstituts
in Leipzig anzunehmen geneigt sind, wollen ihre resp. Adressen
nebst Proben ihrer Leistungsfähigkeit an die Unterzeichnete
Expedition einsenden. Es wird erfordert: Fertigkeit im figür-
lichen und landschaftlichen Komponiren, Geschmack im Ara-
beskenzeichnen und Uebung im Aquarelliren, womöglich auch
im Steinzeichnen. — Die eingesandten Proben werden seiner-
zeit an die resp. Adressen zurückgesandt.
Der Eintritt in das Institut ist im Juni d. J. erforderlich.
Nähere Auskunft ertheilt die
[795]
Expedition der Deutschen Kunstzeitung.
(Berlin, Landgrafenstr. 7.)
Kommissions - Verlag der Nicolai'schen Verlags-Buchhandlung (A. Effert & L. Lindtner) in Berlin. — Druck von H. Theinhardt in Berlin.
Aphorismen und Misceü'en.
^^ndem die Kunst sich vom Gefühl aus an das Gefühl wendet, greift sie
in ihren Wirkungen viel weiter und tiefer als die Wissenschaft. Ganz vor-
nehmlich für die sittliche Bildung des Volks in seiner Totalität ist sie ein
unberechenbares wichtiges Moment, da die große Mehrzahl in den nieder»
Schichten der Gesellschaft eine durchgreifende sittliche Bildung ihres Selbst-
bewußtseins nur als Bildung ihrer Empfindung, nicht als Bildung ihres
Verstandes enipfängt. Was in den höheren Abtheilungen der Gesellschaft
auch auf dem Wege der Wissenschaft an den Einzelnen gelangt von sittlich
bildenden Einflüssen, reinigenden sowohl als erhebenden, das kann in den
tiefer liegenden Regionen nur durch die Kunst an ihn gebracht werden.
Gerade sie.ist's, die auch den äußerlich am tiefsten Gestellten und am meisten
mit der Roth des irdischen Lebens Belasteten sittlich zu heben und zu adeln
vermag, und nichts wäre für die ärmern Volksklassen wünschenswerther, als
daß sie überall mit einer wahrhaft gesunden und reichen Kunstwelt umgeben
werden könnten, deren veredelnde Einflüsse sie ununterbrochen auf ihnen selbst
kaum bemcrkliche Weise einathmeten. Weshalb denn auch der Staat ernstlich
darauf bedacht sein soll, diesen Klassen einen guten Kunstgenuß zu eröffnen.
Wesentliche Hülfe kann freilich nur von der Emancipation der Kunst aus
der Beschränkung auf den Bereich des Privatlebens kommen. An diesem hat
die Kunst keinen ihrer würdigen Hintergrund und Halt; schon deshalb muß
sie, wenn sie auf dasselbe beschränkt ist, ihre Würde mehr und mehr ver-
lieren, beides gleich sehr ihre reflerionslose Unschuld, ihre kindlich unbefangene
Demuth auf der einen Seite und das stolze Selbstgefühl um ihren Adel
auf der andern. Auf das Privatleben beschränkt und seinen bedeutungslosen
Interessen dienstbar gemacht, wird sie kleinlich wie diese und damit zugleich
gefallsüchtig. Sie wird unvermeidlich eine Sache des Luxus und der Eitel-
keit, was sie nie werden darf, und überhaupt sie verkümmert in sich und
ihr Lebensmark verdorrt. Die Kunst immer vollständiger in die Oeffentlich-
kcit einzuführen, darauf muß das Hauptaugenmerk gerichtet sein, darauf einer
wirklich guten Kunst eine großartige öffentliche Wirksamkeit zu 'verschaffen.
Der Staat kann die Kunst gar nicht zweckmäßiger pflegen, als wenn er sie
mit der Fülle aller ihrer mannigfaltigen Darstellungsmittel Mitwirken läßt
bei der Darstellung seiner eigenen allgemeinen Lebensfunktioncn, wenn er sie
die öffentlichen Lokalitäten schmücken und die öffentlichen Feste verherrlichen
läßt. Und dies ist zugleich der sicherste Weg zur allgemeinen Verbreitung
künstlerischer Bildung, und zwar einer wahrhaft in sich einheitlichen über
alle Klaffen der Nation. (Iloihe.)
eg» . 201.
<^1)benso groß wie der Abweg, auf welchem sich unsere Musik befindet,
ist analog der, auf welchen die römische Architektur unter den spätern
Kaisern gerathen war, wo nämlich die Ueberladung mit Verzierungen die
wesentlichen, einfachen Verhältnisse theils versteckte, theils sogar verrückte; sie
bietet nämlich vielen Lärm, viele Instrumente, viel Kunst,, aber gar wenig
deutliche, eindringende und ergreifende Grundgedanken. Zudem findet inan
in den schalen, nichtssagenden, melodielosen Kompositionen des heutigen Tages
denselben Zeitgeschmack wieder, welcher die undeutliche, schwankende, nebel-
hafte, räthselhaste, ja, sinnleere Schreibart sich gefallen läßt, deren Ursprung
hauptsächlich in der miserabel» Hegelei und ihrem Scharlatanismus zu suchen
ist. — In den Kompositionen jetziger Zeit ist es mehr auf die Harmonie,
als die Melodie abgesehn: ich bin jedoch entgegengesetzter Ansicht und halte
die Melodie für den Kern der Musik, zu welchem die Harmonie sich ver-
hält, wie zum Braten die Sauce. (Sd;op£ttl)iuier.)
/-ä 202.
^Aie Musik ist die wahre allgemeine Sprache, die man überall versteht:
daher wird sie in allen Ländern und durch alle Jahrhunderte, mit großem
Ernst und Eifer, unaufhörlich geredet, und niacht eine bedeutsame, vielsagende
Melodie gar bald ihren Weg um das ganze Erdenrund; während eine sinn-
arme und nichtssagende gleich verhallt und erstirbt; welches beweiset, daß der
Inhalt der Melodie ein sehr wohl verständlicher ist. Jedoch redet sie nicht
von Dingen, sondern von lauter Wohl und Wehe, als welche die alleinigen
Realitäten für den Willen sind: daruni spricht sie so sehr zum Herzen, wäh-
rend sie dem Kopfe unmittelbar nichts zu sagen hat und es ein Mißbrauch
ist, wenn man ihr Dies zumuthet, wie in aller malenden Musik geschieht,
welche daher, ein sür alle Mal, verwerflich ist; wenn gleich Haydn und
Beethoven sich zu ihr verirrt haben: Mozart und Rossini haben cs, meines
Wissens, nie gethan. Denn ein Anderes ist Ausdruck der Leidenschaften,
ein Anderes Malerei der Dinge. (Schopenhauer.)
203.
Scherz kennt kein anderes Ziel als sein eigenes Dasein. Die poetische
Blüthe seiner Nesseln sticht nicht und von seiner blühenden Ruthe voll Blätter
fühlt man kaum den Schlag. Es ist Zufall, wenn in einem echtkomischen
Werke etwas satirisch scharf ausschlägt; ja nian wird davon in der Stimmung
gestört. (3cau Paul.)
^]a, es ist leer, wenn ein Volk über Geisterreichthum das andere zur Rede
setzt und z. B. das französische uns fragt, wo sind euere Voltaires, Rousseaus,
Diderot's, Buffon's? Wir haben sie nicht, (sagen wir), aber wo sind bei
euch unsere Lessinge, Winkelmanne, Herder, Goethe re.? Wahrlich nicht ein-
mal elende Autoren finden ihre Nebcn-Affen im Auslande. (Jean Paul.)
Briefkasten.
Herrn Di-. 8. in Wien. Der Ausschnitt mußte fortgelasscn werden, weil schon in Nr. 13 (s. Chronik) enthalten. (D. Red.)
Grosse Gemälde-Äuetien zu München.
Montag, den 21. April 1873, wird durch die Unterzeichnete eine
bedeutende Sammlung moderner Gemälde zumeist von Münchener
Künstlern öffentlich versteigert.
Es kommen zum Aufwurf Original werke von Andreas und Oswald
Achenbach, E. D. Bolanachi, Herrn. Baisch, P. Böhm, H. Bürkel, A. Ca-
lame, Decamps, A. Feuerbach, A. Flamm, H. Gude, Th. Gudin, E. Grütz-
ner, Peter Hess, L. v. Hagen, C. Herpfer, Alb. Keller, Hugo Kauffmann,
W. von Kaulbach, Ludw. Knaus, P. Körle, Heinr. Lossow, Ad. Lier,
M. Münkaczy, G. v. Meszöly, Hans Makart, Chr. Mali, C. Millner,
A. v. Bamberg, C. Rottmann, Anton und Otto Seitz, Ad. Stademann,
Ed. Schleich, C. Spitzweg, M. v. Schwind, B. v. Tiesenhausen, Ph. Tan-
neur, Friedr. Voltz, "W. Xylander, E, Young etc. etc.
Mittwoch, den 23. April, folgt dann die Auction einer Sammlung
alter Gemälde, vorzugsweise der holländischen u. italienischen
Schulen angehörend.
Die Kataloge sind gratis und franco zu beziehen von der
Montmorillon’schen [796]
ICunstliarLdliiiig’ & Auctions-Anstalt.
welche eine dauernde, gut dotirte Stellung als Dirigent der
künstlerischen Abtheilung eines bedeutenden Verlagsinstituts
in Leipzig anzunehmen geneigt sind, wollen ihre resp. Adressen
nebst Proben ihrer Leistungsfähigkeit an die Unterzeichnete
Expedition einsenden. Es wird erfordert: Fertigkeit im figür-
lichen und landschaftlichen Komponiren, Geschmack im Ara-
beskenzeichnen und Uebung im Aquarelliren, womöglich auch
im Steinzeichnen. — Die eingesandten Proben werden seiner-
zeit an die resp. Adressen zurückgesandt.
Der Eintritt in das Institut ist im Juni d. J. erforderlich.
Nähere Auskunft ertheilt die
[795]
Expedition der Deutschen Kunstzeitung.
(Berlin, Landgrafenstr. 7.)
Kommissions - Verlag der Nicolai'schen Verlags-Buchhandlung (A. Effert & L. Lindtner) in Berlin. — Druck von H. Theinhardt in Berlin.