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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 18.1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.12974#0206

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Production neuer Muster und Formen beschäftigt. Das kann nur
eintretcn, wenn die Arbeit dieser Personen durch Schutz gegen Nach-
ahmung ihrer Production lohnend gemacht wird. Die Erfahrung
lehrt, daß ein großer, und wenn man das Elsaß auch in dieser
Beziehung schon zn Deutschland rechnen darf, wohl der überwiegende
Theil derjenigen Musterzeichner und Producenten neuer Formen der
Kunstindustrie, welche mit Hülfe der pariser Industrie die Blöde
beherrschen und der französischen Kunstindustrie ihren großen, durch
keinen Fleiß und größere Intelligenz auszuwiegenden Vorsprung ge-
geben und bisher erhalten haben, deutscher Abstammung sind.
Es ist daher nicht die angeborene höhere Befähigung der Franzosen,
welche ihnen das Uebergcwicht giebt, sondern der Umstand, daß
viele mit Talent begabte Leute dort, wo ihre Arbeit geschützt ist
und ihnen großen pekuniären Gewinn bringt, ihre Thätigkeit ent-
falten. Man hat versucht, durch Einrichtung von Kunst- und
Zeichnenschulen dem fühlbaren Mangel an talentvollen Producenten
in den verschiedenen Zweigen der Kunstindustrie abzuhelfen, jedoch
ohne Erfolg. Es sind zwar notorisch tüchtige Musterzeichner aus
ihnen hervorgegangen, doch brachte dies dem Lande keinen Nutzen,
da dieselben es bald vortheilhafter fanden, nach Frankreich überzu-
siedeln. Talente sind selten in der Welt, aber die vorhandenen
bahnen sich in der Regel selbst ihren Weg, wenn man ihnen nur
einen gesicherten Wirkungskreis und den Weg zn einer selbstständigen
befriedigenden Existenz eröffnet. Nur durch Schutz ihrer Arbeit ist
dies möglich.

In Frankreich und überhaupt in Ländern mit einer selbststän-
digen Kunstindustrie rekrutirt sich dieselbe zum großen Theil aus
jungen Künstlern, Talenten zweiten und dritten Ranges, deren
Kunstschöpfungen nicht hinreichende Anerkennung finden. Diese kom-
poniren technisch verwerthbare Formen oder zeichnen Muster, um
einstweilen ihre Existenz zu sichern. Finden diese Anklang und ver-
schaffen sie ihnen gute Einnahmen, so entsagen sie in der Regel der
undankbaren reinen Kunst und widmen sich ganz dem Kunstgewerbe.
In Deutschland, wo sie höchstens mäßig honorirte Zeichner im
Dienste von Industriellen werden könnten, bleiben sie entweder ge-
ringe Künstler und gehen als solche zu Grunde, oder sie wechseln
den Lebensberuf, und ihr Talent, welches der heimischen Industrie
großen Nutzen hätte bringen können, geht derselben verloren! Es
soll hiermit keineswegs behauptet werden, daß es nur des Formen-
und Musterschutzes bedürfte, um eine selbstständig producirende, ton-
angebende Kuustindustrie zu schaffen; der zu ihr führende Weg ist
lang und beschwerlich. Es gehören dazu kunstverständige Unter-
nehnier, ein schwer heranzubildendes Arbeiterpersonal und vor allen
Dingen auch ein Publikum, dessen Geschmack hinlänglich gebildet
ist, um die künstlerische schönere Form würdigen, und wohlhabend
genug, um sie auch bezahlen zu können. Die in neuerer Zeit in
schneller Progression gestiegene Wohlhabenheit und der mit ihr
gleichen Schritt haltende größere Luxus haben jedoch die Möglich-
keit und gleichzeitig die Nothwendigkeit einer blühenden Kunstindustrie
herbeigeführt. Würden wir mit unserem so bedeutend gestiegenen
Bedürfniß, wie bisher, vom französischen Markte abhängig bleiben,

so würden die französischen Milliarden bedenklich schnell ihren
Wiederabfluß nach Frankreich finden! In besonders hohem Maaße
ist aber die Entwickelung einer tüchtigen Kunstindustrie für die
großen Städte Deutschlands, namentlich für Berlin, ein Bedürfniß,
da die Steigerung der Löhne und Miethen der Groß-Industrie
mehr und mehr die Existenz in denselben erschweren, die Gewerbs-
thätigkeit daher immer mehr auf die feineren Industriezweige an-
gewiesen wird, welche intelligenterer, besser bezahlter Arbeiter be-
dürfen. —

Aus diese» Gründen sind wir zu der Ueberzeugung gelangt
daß es gegenwärtig ein unabweisbares Bedürfniß ist, der Aus-
bildung einer selbstständigen deutschen Kunstiudustrie die Wege zu
ebenen, daß dies in erster Linie durch Erlaß eines Muster- und
Formenschutz-Gesetzes geschieht und daß man zu diesem Mittel trotz
aller damit verknüpften Unbequemlichkeiten, Schwierigkeiten und selbst
Nachtheile für die bestehenden Industriezweige schreiten muß, wenn
der Zweck erreicht werden soll. Wir halten es für das Wichtigste
und Nothwendigste, daß nian sich über die Unumgänglichkeit eines
solchen Gesetzes zuni Schutz der Muster und Formen klar mache.
Sache sorgfältiger Spezialstudien fremder Gesetze und Aufgabe der
Gesetzgebung wird es sein, die Art der Durchführung solches
Schutzes und die Grenzen, innerhalb deren er zn ertheilen, zu er-
mitteln. Im Allgemeinen sind wir der Ansicht, daß nicht jede
neue Kombination in Form und Muster zu schützen ist, sondern
nur solche, welche eine künstlerische Leistung enthalten, einen neuen
schöpferischen Gedanken zur Darstellung bringen, kurz einen kunst-
gewerblichen Fortschritt bilden.

Wir sind indessen nicht der Meinung, daß diese Schutzberech-
tigung durch eine Vorprüfung irgend welcher Art festzustellen sei,
sondern wie bei den Erfindungspatenten halten wir das Anmelde-
verfahren mit einer zu zahlenden Abgabe für allein'geeignet. Diese
Abgabe wäre nach der Dauer des nachgesuchten Schutzes, und zwar
in steigender Progression mit derselben, zu normiren. Die Geltend-
machung des Schutzes wäre in jedem einzelnen Kontraventionsfalle
Sache des Berechtigten. Es scheint am Geeignetsten ünd am wenig-
sten belästigend für beide Theile, wenn die erste Entscheidung einem
von den Parteien zn bestellenden Schiedsgerichte überlassen würde,
zu dem die Handelskammer des Wohnungsbezirks des Verklagten
einen Obmann zu stellen hätte. Als Apellationsinstanz wäre eine
wesentlich aus Juristen, Kunst- und Sachverständigen zusammen-
gesetzte permanente Gerichtsbehörde an einem Zentralpunkte einzu-
setzen, deren Entscheidungen endgiltig und präjudicirend für spätere
Entscheidungen der Schiedsgerichte wären, doch, wie schon erwähnt,
halten wir es jetzt noch nicht angezcigt, auf das Detail der Gesetz-
gebung näher einzugehen. Wenn die Ueberzeugung erst feststeht,
daß ohne eine solche gesetzliche Maaßregel eine selbstständige Kunst-
Industrie für Deutschland nicht zu gewinnen und zu erhalten ist,
dann wird man sich auch über die speciellen Einrichtungen so gut
wie in allen anderen Ländern verständigen.

Berlin, den 28. April 1873.

Tie Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin.
 
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