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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 18.1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.12974#0277

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Atelier gebracht, der so kolossal war, daß zu seinem Transporte ein
eigener Wagen hatte gebaut werden müssen. Dieser Block ist nun durch
den genannten Künstler zu einem herrlichen, 18 Fuß hohen, allerdings
noch nicht ganz fertigen Krucifix umgeschaffen worden. Der Kopf
des Gekreuzigten mit der Dornenkrone sowie die Brust sind voll-
endet, die übrigen Theile des Körpers sind aber erst in den Um-
rissen ausgearbeitet („punktirt"). Das Piedestal ist größtentheils
vollendet. Mit dem Krucifix beträgt die Gesammthöhe 40 Fuß.
Die Kolossal-Figuren der Mutter Gottes nnd des heiligen Jo-
hannes, welche unter das Kreuz zu stehen kommen, sind gleichfalls
in der Ausführung begriffen. Das riesige Monument wird nächsten
Herbst bereits jene Anhöhe bei Oberammergau zieren.

Wien. Die deutsche Skulptur ist auf der Weltausstellung nur
durch einzelne Werke gut vertreten. Zu diesen gehören die Kolossal-
statue Heinrich's des Löwen, von Breymann in Dresden modellirt
und von Hovaldt in Braunschweig gegossen, und Zumbusch's
großes Monument des Königs Max. Sehr glücklich komponirt,
nur in den Formen ungenügend durchgebildet, ist ein drittes öffent-
liches Werk, ein Brunnen von Most in Karlsruhe, wo die Muschel-
schale von einer auf einem Triton ruhenden Nymphe getragen wird.
Die dresdener Schule würde noch achtbarer vertreten gewesen sein,
als es der Fall ist, wenn die Schilling'schen Tageszeiten eingeschickt
wären. — Kuudtmanu's „Barmherziger Samariter" zeichnet sich
durch edle Empfindung, tiefen Ernst und wohlthuende Strenge der
Linienführung neben der weibisch frivolen italienischen, der bald for-
cirten, bald innerlich gemeinen, ja cynischen französischen Plastik aus.
Benk's „Austria" als Beschützerin der geistigen und materiellen
Kultur, die der königlichen Figur als zwei Genien zu Füßen sitzen,
ist schön erfunden. Der altern Schule gehört auch noch Wittig's
„Hagar mit Jsmael" an, eine edel komponirte Gruppe. Feine
Vollendung und Durchbildung der Farben finden wir in Drake's
schönem Standbilde Rauch's. Ferner sind zu nennen zwei Figuren
von Voß in Rom, eine „Hebe" und eine „Sappho", eine in's
Wasser gehende „Nymphe" von Steinhäuser und ein „Knabe"
von Kopf, der ebenfalls ein Bad zu nehmen im Begriff ist. Die
malerische Richtung der Plastik findet in Begas und Wagmüller
ihre talentvollsten Vertreter. Der letztere hat zwei allerliebst er-
fundene Figuren eingeschickt, ein „Mädchen mit einem Jungen auf
dem Rücken" nnd ein „Mädchen, das vor einer Eidechse erschrickt".

— — Die Pläne für das hiesige Hofschauspielhaus liegen
dem Oberhofmeisteramt zur Billigung vor. Das Gebäude soll im
Renaissance-Styl ausgeführt werden und für zweitausend Zuschauer
Raum gewähren. Während die Architekten Semper und Hasenauer
an den Detailplänen arbeiten, soll ein Ausschuß von Sachverständigen,
zu dem die Regisseure gehören werden, sein Urtheil abgeben.

Venedig. Hier starb der ausgezeichnete Aesthetiker und Ger-
manologe Philarete Chasles. Geboren 1799 zu Mainvillieres
bei Chartres, war er der Sohn eines Professors, der in der Re-
volution zu den Waffen griff und bis zum General vorrückte.
Sein Sohn Charles wurde nach den Grundsätzen Rousseau's er-
zogen und zu einem armen Drucker in Paris in die Lehre gegeben.
Der Lehrherr wie der Lehrling waren beide sehr freisinnig und dies
genügte in der Restaurationszeit der Polizei, beide als eines Kom-
plotts gegen den Staat verdächtig einzuziehen. Nach einer zwei-
monatlichen Haft ward der junge Charles auf die Verwendung
Chateaubriand's entlassen und ging nun nach England, wo er
7 Jahre lang den Druck einer neuen Ausgabe der lateinischen und
griechischen Klassiker leitete. Auf der Rückreise nach Paris besuchte
er Deutschland und legte den ersten Grund zu seiner Bekanntschaft

mit unserer Literatur. In Paris trat er in die Redaction des
Journal des Debats, die er ferner nicht mehr verließ. Die besten
der Artikel, die er für jene Zeitung, für die Revue des deux Mondes
und für andere Blätter schrieb, stellte er in 11 Bänden zusammen.
Die französische Literatur besitzt von ihm die Uebersetzung eines
Romans von Jean Paul.

Florenz. Die Michel-Angelo-Feier, welche hier in zwei Jahren
(5. Mai 1875) stattfinden soll, wird der Kunst Gewinn bringen.
Der Festausschuß will nämlich photolithographische Abbildungen
aller Werke Michel Angelo's, seine Zeichnungen eingeschlossen, in
einem Album vereinigen. Am 5. Mai 1875 soll sein „David"
nebst Gypsabgüssen seiner größeren Bildwerke in der Tribuna
uutergebracht werden, die man hier zu errichten beabsichtigt. Der
florentiner Gemeinderath wird aufgefordert, dem großen Künstler
ein Denkmal zu setzen.

— — Hier schied der amerikanische Bildhauer Hiram Powers
aus dem Leben. Geboren am 29. Juli 1805 zu Woodstock im Staat
Vermont, war er Kellner, Handlungsreisender, Uhrmacherlehrling und
erhielt seinen ersten Unterricht im Modeliren von einem deutschen Bild-
hauer, der in Cincinnati an einer Büste des Generals Jackson ar-
beitete. In kürzer Zeit hatte Hiram Powers genug gelernt, um
selbst Büsten und Medaillons zu formen. In Washington fand er
einen Gönner, der ihn 1837 nach Florenz reisen ließ. Dort schuf
er die beiden großen Werke „Eva" und „Der griechische Sclave",
die ihm einen berühmten Namen gemacht haben.

Paris. Die Aufmerksamkeit der hiesigen Archäologen wird
durch die Auffindung von zehn Sarkophagen in dem Kloster St.
Marcel lebhaft in Anspruch genommen. Einer dieser Steinsärge
hat an den Langseiteu Ornamente, und zwar in Form von Fisch-
gräten, ein anderer trägt die Inschrift: Filsacer Par. Auch finden
sich interessante Monogramme Christi vor. Besonders bemerkens-
werth ist- ein inerovingisches Kapitäl. Sämmtliche künstlerischen
Ueberreste sind den Museen Carnavalet, dem-früheren Hotel der
unter Louis XIV. so berühmten Schriftstellerin Mad. de Seviguü,
in Paris und in St. Germain überwiesen worden.

London. Murillo's Anbetung des heiligen Antonius von
Padua, ein großes Altarstück, ist dieser Tage öffentlich versteigert
worden. Murillo malte das Bild für die Kapuzinermöuche in Cadix
aus Dankbarkeit für die sorgsame Pflege, die sie seinem kranken
Bruder gewidmet hatten. Pedro Maria de Hardales, der Guar-
dian des Klosters, verkaufte es 1822 an einen Engländer und 1826
wurde es in London öffentlich ausgestellt und erregte große Auf-
merksamkeit. Jetzt soll das Gemälde wegen Regelung von Familien-
Angelegenheiten verkauft werden.

Konstcintinopel. Hieselbst klagt man unseren Landsmann
Schliemann, über dessen Ausgrabungen in Troja wir mehrmals
berichtet haben, des Vertragsbruchs an. Der Ferman, den ihm
die Pforte ausstellte, verpflichtete ihn nämlich, die Hälfte aller ge-
fundenen Gegenstände an das türkische Museum abzugeben. Er
hat aber nur sechs Säcke voll Gegenstände nach Konstantinopel ge-
schickt und alles Andere heimlich nach Athen eingeschifft. Die Eng-
länder, die in Ephesus gruben, trieben es übrigens noch ärger.
Sie hatten dieselbe Verpflichtung übernommen und schafften alle
Alterthümer bis auf das letzte Stück nach London. Die Welt ge-
winnt bei dem zweimaligen Vertragsbrüche blos. Das hiesige Mu-
seum, das in der Jreneukirche untergebracht ist, wird so eifersüchtig
bewacht, das nur Begünstigte Zutritt finden. In London und Athen
ist die Ausbeute der Ausgrabungen in Ephesus und Troja für Jeder-
mann zugänglich.
 
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