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steht eben ihre Kunst, daß sie solchen flüchtigen Ausdruck — sofern
er einen tieferen Einblick in den Charakter gewährt — in ihrer
Vorstellung zu fixiren und mit einem vielleicht noch flüchtigeren
Pinselstrich auf die Leinwand zu bannen verstehen.
Aber dieses Fixiren des charakteristischen Ausdrucks muß
beim Portrait doch immer innerhalb einer durch die Totalität
der persönlichen Erscheinung bedingten Allgemeinheit bleiben,
d. h. es darf sich nie bis zum genrehasten Ausdruck steigern,
sondern ist an ein sehr bestimmtes Maaß individueller Lebendig-
keit gebunden. Geht es über dies Maaß hinaus (wie dies
z. B. bei einigen Richter'scheu Portraits der Fall), so ver-
letzt es jene unbedingt an ein Portrait zu stellende Forderung,
daß es den Menschen nicht in seiner zufälligen Erscheinung und
momentanen Existenz, sondern in seiner geistigen Genesis dar-
stellen, oder mit andern Worten: daß es in den realen Zügen
seiner natürlichen Wirklichkeit den inneren allgemeinen Cha-
rakter seines Wesens veranschaulichen solle. Hierin liegt nun so-
gleich eine dem Genre gänzlich fremde Abstraction von jeder
Besonderheit des Ausdrucks. Die Grenze ist natürlich sehr
schwer zu bestimmen; wir wollen daher, um uns deutlich zu
machen, einige verwandte, den Ausdruck betreffende Eigenschaften
anführen, um jene Grenze zwischen portraitmäßigem und genre-
haftem Ausdruck zu kennzeichnen. Wir behaupten demgemäß,
daß ein genrehaftes Gesicht — je nach dem Motiv — weinend,
lachend, zornig, erschreckt, lustig, verstimmt, verzweiflungsvoll rc.
aufgefaßt werden kann, während alle diese besonderen Ausdrucks-
Weisen dem Portrait versagt sind. Der Portraitmaler muß aus
deu verschiedeneu besonderen Ausdrucksformen der Stimmungen
gleichsam ein Durchschnittsmaaß ziehen, er muß sie, soweit sie
charakteristisch sind, ans ein künstlerisches Minimum reduciren.
Ernst, heiter, strenge, würdevoll, anmuthig rc. kann der Aus-
druck sein, aber der „Ernst" darf nicht zur Düsterheit, die
„Heiterkeit" nicht zur Freude, die„Strenge" nichtzurHerbig-
keit, die „Würde" nicht zur Gespreiztheit, die „Anmuth"
nicht zur Koketterie verschärft werden, wie es dem Genre ge-
stattet ist.
In diesen Dingei: verfehlen es nun sehr häufig die Künst-
ler, wenn sie danach streben, dem Portrait einen recht leben-
digen oder, wie man zu sagen pflegt, „sprechenden Ausdruck"
zu geben: oder aber sie verfallen, wenn sie diesen Fehler der
Genrehaftigkeit vermeiden wollen, in den entgegengesetzten der
Nüchternheit und prägen ihren Bildnissen einen Ausdruck von
Langerweile auf, der fast noch schlimmer ist. Das rechte Maaß
zwischen diesen Extremen zu bewahren, ist das Schwerste, was
der Portraitmaler erreichen kann. In der äußerlichen Ruhe der
Züge geistige Bewegung, in der einfachen Haltung innere Würde
zur Anschauung zu bringen und in dieser diskreten Mäßigung
der hervorstechenden Charakterzüge das geistig Bedeutsame und
dadurch allgemein Charakteristische auszuprägen: das ist das
große Geheimniß der Portraitmalerei, wie es einem Tizian,
einem van Dyck in so bewundernswürdiger Weise zu lösen ge-
lang. Was ist gegen diesen wahrhaften Adel der Erscheinung
die elegante Flunkerei eines Winterhalter und Konsorten,
was die barocke Originalität oder auch die prosaische Natur-
kopirung, ausstaffirt mit virtuosem Firlefanz und glänzender
Koloristik, der meisten heutzutage berühmten Bildnißmaler?
Aber wenn auch dies Streben nach inhaltvoller Charakteristik
— bewußt oder unbewußt — das wesentlich treibende Element
des Schaffens ist, so bildet doch die natürliche Veranlagung des
Künstlers nicht nur in gradueller, sondern auch in substanzieller
Beziehung — namentlich hinsichtlich der Mittel, durch welche
jene Charakterwahrheit zu erreichen ist — wieder so vielfache
und soweit auseinander gehende Richtungen, daß die am weitesten
von einander entfernten kaum noch einen Vergleichungspunkt
darzubieten scheinen. Ohne hier auf die feineren Nüancen ein-
zugehcn — was uns zu weit ab von unserer praktischen Auf-
gabe führen würde — wollen wir nur auf einen Hanptunter-
schied innerhalb dieser Richtung Hinweisen, den wir (um kurz
zu sein) als den Gegensatz zwischen Realismus und
Idealismus bezeichnen können. Im Grunde — d. h. in ihrer
Wahrheit — ist Idealismus und Realismus ganz dasselbe,
nämlich wenn sie (und das ist eben ihre Wahrheit) so gefaßt
werden, daß der wahre Inhalt des Realen die.innerlich er-
füllende und zur Aeußernng treibende Idee sei, die wahre Form
des Idealen aber als die lebendige Gestaltung in vollster Anschau-
lichkeit des Daseins erscheine. Ihre Einseitigkeit und damit Un-
wahrheit kommt erst dann zu Tage, wenn sie von einander ab-
strahiren, indem das Reale für sich, ohne ideelles Erfülltsein,
das Ideale aber ohne lebenswahre Kraft der Gestaltung Geltung
beansprucht: so wird der Realismus zum rohen Naturalismus,
der Jdealisnurs zum wesenlosen Spiritualismus. Selbstver-
ständlich wird, je nach dem Charakter des Kunstwerks, bald das
eine, bald das andere Moment überwiegen müssen. Um dies
durch ein Beispiel zu erläutern, wollen wir nur darauf Hinweisen,
daß Niemand im Zweifel darüber sein wird, daß in der reli-
giösen Malerei das idealistische, in dein Stillleben das rea-
listische Element vorherrschen müsse und daß das umgekehrte
Verhältniß dort wie hier ein Fehler wäre: es liegt dies eben
nothwendig in der Natur der Gattungen selber.
Was nun die Portraitmalerei im Verhältniß zu den andern
Gattungen der Malerei betrifft, so steht sie so ziemlich zwischen
jenen äußersten Punkten des vorwaltenden Jdealisrnns und des
vorwaltenden Realismus in der Mitte, und es ist daher auch
sehr erklärlich, daß in keiner Gattung der Kunst die Auffassungs-
Weisen soweit anseinandergehcn, indem sie aus der einen Seite
bis zum „historischen Slyl", ans der andern bis zur stillleben-
artigen Naturkopie oder doch zur genreartigcn Behandlung sich
verirren. Wenn aber irgendwo der Satz, daß die Wahrheit in
der Mitte liegt, begründet erscheint, so hier. Auf der einen
Seite soll das Portrait den individuellen Menschen, also den
Menschen in seiner durch die Besonderheit der Züge bestimmten
Erscheinung, ja auch bis zu einem gewissen Grade mit seinen
Zufälligkeiten in Form und Farbe, wiedergebeu — dies nähert
das Portrait dem naturalistischen Stillleben —; andrerseits soll
es nicht den Menschen in seiner blos zufälligen Gestaltung dar-
stellen, sondern in seinem allgemeinen, durch das Leben, d. h.
durch die Geschichte desselben, gestalteten Charakter — dies
ist ein Anspruch, welcher das Portrait mit der Historienmalerei
in Verwandtschaft setzt. So steht es, wie bemerkt, in der
Mitte zwischen den Extremen, indem es von beiden Momente
in sich aufninunt, und es wird selbstverständlich von der Natur
des Originals selber abhängen, ob es mehr von dem einen oder
steht eben ihre Kunst, daß sie solchen flüchtigen Ausdruck — sofern
er einen tieferen Einblick in den Charakter gewährt — in ihrer
Vorstellung zu fixiren und mit einem vielleicht noch flüchtigeren
Pinselstrich auf die Leinwand zu bannen verstehen.
Aber dieses Fixiren des charakteristischen Ausdrucks muß
beim Portrait doch immer innerhalb einer durch die Totalität
der persönlichen Erscheinung bedingten Allgemeinheit bleiben,
d. h. es darf sich nie bis zum genrehasten Ausdruck steigern,
sondern ist an ein sehr bestimmtes Maaß individueller Lebendig-
keit gebunden. Geht es über dies Maaß hinaus (wie dies
z. B. bei einigen Richter'scheu Portraits der Fall), so ver-
letzt es jene unbedingt an ein Portrait zu stellende Forderung,
daß es den Menschen nicht in seiner zufälligen Erscheinung und
momentanen Existenz, sondern in seiner geistigen Genesis dar-
stellen, oder mit andern Worten: daß es in den realen Zügen
seiner natürlichen Wirklichkeit den inneren allgemeinen Cha-
rakter seines Wesens veranschaulichen solle. Hierin liegt nun so-
gleich eine dem Genre gänzlich fremde Abstraction von jeder
Besonderheit des Ausdrucks. Die Grenze ist natürlich sehr
schwer zu bestimmen; wir wollen daher, um uns deutlich zu
machen, einige verwandte, den Ausdruck betreffende Eigenschaften
anführen, um jene Grenze zwischen portraitmäßigem und genre-
haftem Ausdruck zu kennzeichnen. Wir behaupten demgemäß,
daß ein genrehaftes Gesicht — je nach dem Motiv — weinend,
lachend, zornig, erschreckt, lustig, verstimmt, verzweiflungsvoll rc.
aufgefaßt werden kann, während alle diese besonderen Ausdrucks-
Weisen dem Portrait versagt sind. Der Portraitmaler muß aus
deu verschiedeneu besonderen Ausdrucksformen der Stimmungen
gleichsam ein Durchschnittsmaaß ziehen, er muß sie, soweit sie
charakteristisch sind, ans ein künstlerisches Minimum reduciren.
Ernst, heiter, strenge, würdevoll, anmuthig rc. kann der Aus-
druck sein, aber der „Ernst" darf nicht zur Düsterheit, die
„Heiterkeit" nicht zur Freude, die„Strenge" nichtzurHerbig-
keit, die „Würde" nicht zur Gespreiztheit, die „Anmuth"
nicht zur Koketterie verschärft werden, wie es dem Genre ge-
stattet ist.
In diesen Dingei: verfehlen es nun sehr häufig die Künst-
ler, wenn sie danach streben, dem Portrait einen recht leben-
digen oder, wie man zu sagen pflegt, „sprechenden Ausdruck"
zu geben: oder aber sie verfallen, wenn sie diesen Fehler der
Genrehaftigkeit vermeiden wollen, in den entgegengesetzten der
Nüchternheit und prägen ihren Bildnissen einen Ausdruck von
Langerweile auf, der fast noch schlimmer ist. Das rechte Maaß
zwischen diesen Extremen zu bewahren, ist das Schwerste, was
der Portraitmaler erreichen kann. In der äußerlichen Ruhe der
Züge geistige Bewegung, in der einfachen Haltung innere Würde
zur Anschauung zu bringen und in dieser diskreten Mäßigung
der hervorstechenden Charakterzüge das geistig Bedeutsame und
dadurch allgemein Charakteristische auszuprägen: das ist das
große Geheimniß der Portraitmalerei, wie es einem Tizian,
einem van Dyck in so bewundernswürdiger Weise zu lösen ge-
lang. Was ist gegen diesen wahrhaften Adel der Erscheinung
die elegante Flunkerei eines Winterhalter und Konsorten,
was die barocke Originalität oder auch die prosaische Natur-
kopirung, ausstaffirt mit virtuosem Firlefanz und glänzender
Koloristik, der meisten heutzutage berühmten Bildnißmaler?
Aber wenn auch dies Streben nach inhaltvoller Charakteristik
— bewußt oder unbewußt — das wesentlich treibende Element
des Schaffens ist, so bildet doch die natürliche Veranlagung des
Künstlers nicht nur in gradueller, sondern auch in substanzieller
Beziehung — namentlich hinsichtlich der Mittel, durch welche
jene Charakterwahrheit zu erreichen ist — wieder so vielfache
und soweit auseinander gehende Richtungen, daß die am weitesten
von einander entfernten kaum noch einen Vergleichungspunkt
darzubieten scheinen. Ohne hier auf die feineren Nüancen ein-
zugehcn — was uns zu weit ab von unserer praktischen Auf-
gabe führen würde — wollen wir nur auf einen Hanptunter-
schied innerhalb dieser Richtung Hinweisen, den wir (um kurz
zu sein) als den Gegensatz zwischen Realismus und
Idealismus bezeichnen können. Im Grunde — d. h. in ihrer
Wahrheit — ist Idealismus und Realismus ganz dasselbe,
nämlich wenn sie (und das ist eben ihre Wahrheit) so gefaßt
werden, daß der wahre Inhalt des Realen die.innerlich er-
füllende und zur Aeußernng treibende Idee sei, die wahre Form
des Idealen aber als die lebendige Gestaltung in vollster Anschau-
lichkeit des Daseins erscheine. Ihre Einseitigkeit und damit Un-
wahrheit kommt erst dann zu Tage, wenn sie von einander ab-
strahiren, indem das Reale für sich, ohne ideelles Erfülltsein,
das Ideale aber ohne lebenswahre Kraft der Gestaltung Geltung
beansprucht: so wird der Realismus zum rohen Naturalismus,
der Jdealisnurs zum wesenlosen Spiritualismus. Selbstver-
ständlich wird, je nach dem Charakter des Kunstwerks, bald das
eine, bald das andere Moment überwiegen müssen. Um dies
durch ein Beispiel zu erläutern, wollen wir nur darauf Hinweisen,
daß Niemand im Zweifel darüber sein wird, daß in der reli-
giösen Malerei das idealistische, in dein Stillleben das rea-
listische Element vorherrschen müsse und daß das umgekehrte
Verhältniß dort wie hier ein Fehler wäre: es liegt dies eben
nothwendig in der Natur der Gattungen selber.
Was nun die Portraitmalerei im Verhältniß zu den andern
Gattungen der Malerei betrifft, so steht sie so ziemlich zwischen
jenen äußersten Punkten des vorwaltenden Jdealisrnns und des
vorwaltenden Realismus in der Mitte, und es ist daher auch
sehr erklärlich, daß in keiner Gattung der Kunst die Auffassungs-
Weisen soweit anseinandergehcn, indem sie aus der einen Seite
bis zum „historischen Slyl", ans der andern bis zur stillleben-
artigen Naturkopie oder doch zur genreartigcn Behandlung sich
verirren. Wenn aber irgendwo der Satz, daß die Wahrheit in
der Mitte liegt, begründet erscheint, so hier. Auf der einen
Seite soll das Portrait den individuellen Menschen, also den
Menschen in seiner durch die Besonderheit der Züge bestimmten
Erscheinung, ja auch bis zu einem gewissen Grade mit seinen
Zufälligkeiten in Form und Farbe, wiedergebeu — dies nähert
das Portrait dem naturalistischen Stillleben —; andrerseits soll
es nicht den Menschen in seiner blos zufälligen Gestaltung dar-
stellen, sondern in seinem allgemeinen, durch das Leben, d. h.
durch die Geschichte desselben, gestalteten Charakter — dies
ist ein Anspruch, welcher das Portrait mit der Historienmalerei
in Verwandtschaft setzt. So steht es, wie bemerkt, in der
Mitte zwischen den Extremen, indem es von beiden Momente
in sich aufninunt, und es wird selbstverständlich von der Natur
des Originals selber abhängen, ob es mehr von dem einen oder