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Herausgegeben und redigirt
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vr. Mar Schasler.
D 19. September 4
1875. r
Jreis des Journals pro Quartal IV, Thlr. — Kreuzband-Abonnements werden nur bei Pränumeration auf den ganzen Jahrgang angenommen.
(Kedaction und Expedition der Dioskuren: Villa Schasler bei Wilmersdorf, Berlin.)
ZnHal t.
Abhandlung: Ueber die nationalen Unterschiede der Graphik. (Fortsetzung.) Lmisigeschichtc und Antiquitäten: Zur Ausgrabung der Altis von Olympia.
Korrrstiondenzen: Köln, Ende August. (Aus der Kunstvereins-Ausstellung. ürirfkastc».
Schluß.) Äusstellungskatendcr.
Aiinst-Lhronik: Lokalnachrichtsn aus Berlin, Detmold, Franfurt a. M, Florenz. Allgemeines Änsstelllings-Programi» der initicleiiropälschcn Üimjl-Veretnc.
Ueber die nationalen Unterschiede der Hraphik.
(Fortsetzung statt Schluß.)
jiner der Ersten, welche der allmälig wieder an
Popularität gewinnenden Holzschneidekunst ihre
Aufmerksamkeit zuwendeten, war Neureuther.
Er wählte oder vielmehr schuf sich ein bisher
noch unangebautes Feld, das Feld der Rand -
zeichnung, in welchem er um so Bedeuten-
deres leistete, als er sich darauf fast ausschließ-
lich beschränkte. So wenig bedeutend er daher
auch als Figurenkomponist ist und so sehr es
ihm im Grunde sogar an Styl fehlt, so originell
ist er in jener Richtung, und zwar der Art, daß
er darin wohl Nachahmer, aber keine Nebenbuhler hat. Hübner
und Fries, welche ihm darauf folgten, haben theils nur den
gothischen Styl ausgebeutet, theils sind sie ohne eigentliche Origi-
nalität. Zu Neureuther's größeren Arbeiten dieser Art gehören
seine Randzeichnungen zum „Cid" und zu Goethe's „Götz von
Berlichingen" (1845), zu Schiller's „Glocke" und zu der Pfister'-
schen Ausgabe des „Nibelungenliedes". Nicht hierher gehörig,
aber als zu seiner Charakteristik nothwendig sind auch zu nennen
seine Federsteinzeichnungen zu den „Goetheliedern" und seine Bei-
füge zum Münchener „Radirclnbalbum".
Weit bedeutender rücksichtlich des Gegenstandes und der
Form seiner Kompositionen als Neureuther ist Ludwig Richter
in Dresden. Indem er sich an das altdeutsche Genre, nach
Art Behaim's, anschließt, ist es ihm doch weit mehr um den
liebenswürdigen Inhalt, d. h. um die Gemüthlichkeit und Herzens-
einfachheit dieser altdeutschen Richtung, zu thun, als um die
äußere, mehr oder weniger ungraziöse und steife Form derselben.
Besonders wirken seine ungemein lieblichen Kompositionen durch
ihre Unbefangenheit und kindliche Naivetät so anziehend, und
zwar ist diese Naivetät in doppeltem Sinne zu nehmen. Die
Kehrseite nämlich dieser inneren Herzenseinfachheit ist die Schalk-
haftigkeit, welche zwar immer lächelt und spielt, aber darum
nicht minder drastisch in ihrem Humor und schlagend in ihren
Pointen ist. Nach dieser Seite hin ist Richter als der moderne
Holbein zu betrachten, wiewohl mit dem bedeutenden Unterschiede,
daß Holbein unter seiner burlesken Maske eine unendliche Ver-
achtung der Welt und eine tiefe Bitterkeit gegen den Menschen
verbarg, weshalb sein Humor oft, wie z. B. in seinem Todten-
tanze, Grausen erregt; wogegen Richter nie seine unbefangene
Heiterkeit ablegt und sein Humor sich bei aller Schalkhaftigkeit
und Ironie doch nie zur bitteren Satyre gestaltet. Dennoch