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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0180

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und Plastik, bis zur Uebertreibung dieses Princips, der ma-
lerische Charakter sich ausprägte. Wenn somit — die orientalische
Kunst bei Seite gelassen — die antike Kunst, ja, die äußere Form
des ganzen antiken Lebens überhaupt wesentlich auf plastischer
Anschauung beruhte, so wurzelt die nachantike vorwiegend in der
malerischen Anschauung. „Bis zur Uebertreibung", setzten wir
hinzu und meinten damit die Verletzung der jeder Kunst als
solcher innewohnenden Gesetze in dem sogenannten Barock- und
Zopfstyl. Ja, selbst die Natur entging dieser Verstümmelung
nicht, denn in den gekünstelten Gartenanlagen der französischen
Glanzperiode unter Ludwig XIV. und XV. mußten es sich so-
gar die Bäume und Sträucher gefallen lassen, zu unförmlichen
Nachbildungen von Thieren und Figuren verschnitten und ver-
krümmt zu werden, während umgekehrt die Architektur es für
das Ideal ihres Strebens ansah, das natürliche Gesetz der
Schwere, worauf ihre Formengebung beruht, auf jede mögliche
Weise zur Illusion zu machen.

Diesem ebenso naturwidrigen wie unkünstlerischen Zustande
der Kunstanschauung — einer wahrhaften Depravation, die nur in
der sittlichen und politischen Kurruption der Zeit ihr Gegenbild
besaß — machten Winckelmann und Carstens durch Wieder-
erweckung der reinen Kunstanschauung der Antike ein Ende; und
es war nur eine nothwendige Konsequenz dieser ästhetischen
Reaction, daß, wie das Malerische bis dahin in's Extrem des
Widerspruchs mit aller gesunden Kunstanschauung getrieben wor-
den war, nun Alles und Jedes mit einem Male zur plastischen
Form erhoben werden sollte. Ja, der Unterschied zwischen der
Malerei und Plastik hinsichtlich ihres specisischen Charakters kam
so gänzlich in Vergessenheit, daß ihr doch sehr differentes Wesen
völlig als gleichwerthig und gleichbedeutend betrachtet wurde.
Es ist in dieser Beziehung sehr bezeichnend, daß selbst Lessing
hierüber so wenig ein klares Bewußtsein hatte, daß er für seine
bekannte bahnbrechende Abhandlung „lieber die Grenzen der
Poesie und Malerei" als Haupttitel den Namen eines an-
tiken Skulpturwerks, den „Laokoon", wählte. Ja, in der Vor-
rede zu demselben bemerkt er ausdrücklich, daß, wenn er von
„Malerei" spreche, er darunter stets bildende Kunst im Allge-
meinen verstehe: „bildende Kunst" war aber damals (auch noch
bei Goethe) wesentlich Formenkunst, also plastische Knnftanschau-
ung. Noch mehr: Lessing stellte die Form, auch bei der Malerei,
so sehr in den Vordergrund, daß er sich zum Aussprechen des
sonderbaren Wunsches hinreißen ließ, daß „die Oelmalerei lieber
gar nicht erfunden worden wäre!" — Vermuthlich war dies den
heutigen Herren Malern, die immer ans Lessing, im Gegensatz
zu der in ihren Augen werthlosen Kritik der Gegenwart, als den
kritischen Propheten Hinweisen, unbekannt. Autorität des Namens
bleibt ja immer die Hauptsache, und der Prophet gilt nicht nur
in seinem Vaterlande, sondern auch in seiner Mitzeit wenig oder
Nichts. Selbstständige Prüfung und vorurtheilsfreies Nachdenken
ist nicht Jedermanns Sache, am wenigsten in der heutigen viel-
geschäftigen und raschlebenden Welt. —

Eben weil die Reaction Winckelmann's gegen die ästhetische
Korruption seines Zeitgeschmacks ihrerseits über das Ziel hinaus-

ging, indem sie die Grenzen zwischen der Plastik und Malerei
als specifischer Kunstgattungen verwischte, rief sie nothwendiger-
weise ebenfalls eine Reaction hervor, welche, als romantische
Kunstanschauung, in der Plastik von Canova datirt werden kann.
Selbstverständlich aber blieb die Antike, als die überhaupt einzige
naturgemäße Quelle aller plastischen Anschauung, die Grundlage,
auf der alle weitere Entwickelung der Skulptur — selbst in
der Wahl der Motive — basirte.

Hier berühren wir nun den Punkt, aus den es uns für
Bestimmung des gemeinsamen Charakters der modernen Plastik
im Gegensatz zur antiken ankommt. In der antiken entsprangen
die dargestellten plastischen Ideen, die Göttergestalten, Heroen
u. s. f. aus dem antiken Leben selbst, sie stoffen daraus als
aus ihrer natürlichen Quelle, sie waren auf's Innigste mit dem
religiösen Gefühl verknüpft, ja dieses hatte sich in gerade ihnen
— auf dem Wege der künstlerischen Gestaltung — zu bestimmten
Formen herausgebildet, war durch sie konkret geworden. Indem
Phidias seinen olympischen Zeus schuf, gestaltete er für die Grie-
chen zugleich das Ideal des „Vaters der Götter" selbst zur vollen
normalen Erscheinung. Anders in der modernen Plastik. Sie
war genöthigt, aus die antiken Ideale, also auch auf die antiken
Ideen zurückzugreifen, da in dem eigenen Leben der modernen
Welt kein Stoff für eine originale Gestaltung — und diese
hätte Neugestaltung sein müssen — von plastischen Ideen vor-
handen war: dadurch erhielt die ganze moderne Plastik das Ge-
präge einer wesentlich auf antiken Reminiscenzen ruhenden, aber
dem eigenen Volksleben und Nationalbewußtsein völlig fremden
Kunstanschauung.

Dies ist das Gemeinsame aller inodernen Plastik, gleichviel
welcher Nationalität sic angehört: es liegt darin, gegenüber dem
positiv-konkreten Inhalt der antiken Plastik, etwas negativ-Ab-
straktes, welches der modernen Plastik von vornherein und unter
allen Umständen das Gepräge der Fremdheit und (dem Volks-
bewußtsein) Unverständlichkeit aufdrückt. Die antike Plastik ver-
hält sich in dieser Beziehung zur modernen, wie etwa die Volks-
religion zur gelehrten Theologie. Nur die Monumentalplastik,,
d. h. die moderne Denkmälerskulptur, inacht davon eine Ans--
nähme; sie ist, wenn sie nicht ebenfalls antikisirt (was fälschlich
dann mit „idealisirt" identificirt wird), genöthigt, realistisch zu
werden, d. h. das Zeitkostüm zu berücksichtigen, und tritt damit
eigentlich aus dem Bannkreise der Plastik, welche, im Gegensatz
zur Malerei, vorwiegend idealistischer Natur ist, schon einiger-
maaßen heraus. Also auch selbst nach dieser inhaltlich berechtigte-
ren Seite hin klebt der modernen Plastik ein Mangel an.

Was folgt daraus? dies, daß die Plastik sich als or-
ganisch lebendige Kunstanschauung überlebt hat; mit
dem Untergang der Antike ist ihr der eigentliche Lebensnerv
dnrchgeschnitten. Die Architektur befindet sich in ganz ähnlicher
Lage: beide sind — in Ermangelung eines unmöglichen modern-
originalen Styls — nothwendigerwcise eklektisch geworden,
denn sie fristen ihr Scheinleben aus Kombinationen erstorbener
Styl-Elemente.

(Fortsetzung folgt.)
 
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