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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0188

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wie bemerkt, wesentlich in der Antike wurzelt, weil sie in der
Antike allein ein ursprüngliches naturgemäßes Dasein führte.
Und dies nicht etwa blos aus dem äußerlichen Grunde, weil
die Antike für alle Plastik der Welt und für alle Zukunft der-
selben das unerreichbare Vorbild bleiben wird, sofern in ihr das
Gefühl für die Schönheit der Form durchaus (und nur
einmal in der Weltgeschichte ist dies möglich) kulminirte, sondern
weil dieses Kulminiren der Plastik selber aus jenem völligen
Gleichgewicht zwischen Geist und Natur, zwischen Gedanke und
Sinnlichkeit entsprang, welches das Princip und die Quelle
der formellen Schönheit, d. h. eben der Schönheit der An-
tike, ist.

Ein zweites Moment, welches ebenfalls aus dem Gegensatz
des Malerischen gegen das Plastische entspringt, ist die Beziehung
auf das zeitliche Geschehensein. Die griechischen Götter-
und Heroenfiguren, ja selbst die, theils geschichtliche, theils mythische
Begebenheiten darstellenden Gestalten und Gruppen, z. B.
der „Laokoou", stehen dennoch für die Empfindung gänzlich außer-
halb aller Zeit, ihre Idealität beruht wesentlich in der festen
Abgeschlossenheit für sich, in ihrer Zeitlosigkeit mit einem Wort,
die ihnen dies Gepräge allgemein-menschlicher Wahrheit verleiht.
Eigentliche Portraitfiguren finden sich daher erst nach der höchsten
Blüthezeit der antiken Plastik, namentlich in der römischen Kaiser-
zeit, und auch diese haben stets trotz aller Jndividualisirung
ein streng ideales Gepräge; und selbst wo in ihnen auf das
Zeitliche, auf Kostüm u. s. f. Rücksicht genommen ist, darf man
doch nicht vergessen, daß dies Zeitliche der Antike selbst ebenfalls
einen so wesentlich plastischen Charakter hatte, daß ein eigent-
licher Widerspruch gegen die plastische ideale Form darin nicht
zum Vorschein kommt. Ganz anders in der neueren Zeit. Hier
macht sich das Zeitliche mehr und mehr in einer dem Idealen
widersprechenden Herrschaft des Aeußeren geltend: die Mode
tritt das Ideal auch im Kostüm mit Füßen und ergeht sich in
den wunderlichsten, wahnwitzigsten Kombinationen, welche mit der
Schönheit des Körpers in gar keinem Zusammenhänge mehr
stehen.

Aus diesen Erwägungen, die wesentlich im Unterschiede der
Begriffe des Plastischen und Malerischen wurzeln, ergiebt sich
also für die Beurtheilung der modernen Bildhauerei — denn
die mittelalterliche, übrigens ebenfalls malerische Plastik ist hier
ausgeschlossen, weil sie durchaus an einen geistlichen, resp. kirch-
lichen Inhalt gebunden war— die Nothwendigkeit der Frage,
wie sich ihre verschiedenen Richtungen zur Antike
verhalten.

Dies Moment bestinnnt nicht nur ihren Werth, sondern auch
ihren besonderen Charakter. Wir können selbstverständlich hier
nicht die heutigen Richtungen rückwärts in ihrer Entwicklung
bis zu ihrer Quelle verfolgen, obgleich sich daraus allein eine
Verständigung über ihre heutige Stellung gewinnen ließe, sondern
wollen nur wiederholen, daß der Anfang der neueren Plastik
wesentlich seit Winckelmann's Forschungen auf dem Gebiet der
antiken Kunst datirt. Es war dies gleichsam eine Wiedergeburt
des antiken Geistes, wenigstens für die Vorstellung und den Ge-
danken, welche außerordentlich fruchtbar wirkte, am tiefsten indeß
im germanischen Geist Wurzel schlug, wie sie denn auch von
ihm ausging. Es erklärt sich dies aus der tiefen Aehnlichkeit

des germanischen und hellenischen Geistes hinsichtlich der Sub-
stanzialität des Denkens und Anschauens überhaupt.

Was bot nun aber die Antike den Bestrebungen der mo-
dernen Plastik dar? Dreierlei: einmal die antiken Ideen selbst,
diese Götter und Heroengestalten, ihre Mythen und Sagen; sodann
die zur höchsten Vollendung gebrachte Fo rmenschönheit, das
mannigfach gegliederte Ideal der menschlichen Gestalt; endlich
die ebenfalls auf's Höchste gesteigerte Kenntniß der Natur
und — damit im Zusammenhänge — der technischen Be-
tz andlung. Alles dies sind, obwohl in der Antike selbst zu
unlösbarer Einheit verbunden, Momente, welche in ihrer Ge-
trenntheit (bis auf einen gewissen Grad) als Vorbild und Muster
für die Entwicklung der modernen Plastik dienen konnten und
gedient haben; in ihrer Einheit jedoch vielleicht nur in einem
einzigen modernen Bildhauer: Thorwaldsen. Er gestaltete
nicht nur antike Ideen, sondern er gestaltete sie auch im antiken
Geist und in antiker technischer Vollendung — und dennoch
fehlte ihm Eins, was die Antike besitzt; oder vielmehr er besitzt
Eins, was der Antike fehlt: eine gewisse Innigkeit des Empfin-
dens, die über die Grenze des Plastischen im antiken Sinne
zuweilen einen Schritt hinausgeht. Darum ist er eben, trotz
aller Versenkung in den antiken Geist, ein moderner Mensch.
Aus seiner Zeit kann eben Nieinand ganz heraus. Einen ähnlichen
Charakter antiker Idealität mit leisem Anflug moderner Innig-
keit zeigte der leider der Kunst zu früh entrissene Heidel, z. B.
in seinen herrlichen Figuren der „Iphigenie" und der „Antigone".

Dieser höchstmöglichen Anlehnung an die Antike gegenüber
stehen nur die andern Richtungen, deren Eigenthünilichkeit und
Verschiedenheit darin beruht, daß sie die Antike nach den ge-
trennten Momenten ihres Wesens zum Vorbilde nehmen; und
hier können wir von vornherein die drei genannten Nationen so
von einander trennen, daß wir sagen, die Italiener haben
an der Antike fast nur die Tradition der technischen Vollendung
bei vorwaltend sentimentaler und genrehafter Auffassung des
Inhalts, die Franzosen die abstrakte Idealität der Form mit
einer zum Effekt zugespitzten Pointirung des Inhalts, welche
ohne eine über die Grenzen der plastischen Einfachheit und Ruhe
hinausgehende Bewegtheit nicht möglich ist; die Deutschen end-
lich, bei einem vielleicht gegen die Leichtigkeit des Gestaltens der.
Italiener und Franzosen zurücktretenden Mangel an Virtuosität
des Machwerks, doch die reinste und gehaltvollste Empfindung
für die ideale Formenschönheit. Dies ist das Allgemeine in der
nationalen Differenz der Richtungen.

Nach diesen allgemeinen Andeutungen über die principiellen
Unterschiede der nationalen Richtungen in der modernen Plastik
können wir nun zunächst von den Italienern, und zwar vor-
nehmlich von den Mailändern, sagen, daß sie eine außerordent-
liche Gewandtheit in der Behandlung des Marmors besitzen,
obschou die bei ihnen meist übliche Theilnug der Arbeit, welche
die Ausführung zu einem rein mechanischen Thun, zum Hersagen
eines Auswendig-Gelernten macht, diesem Lobe viel an Werth
annimmt.

Es ist nämlich seit längerer Zeit' Sitte in den meisten
italienischen Werkstätten, daß, nachdem die Figur nach dein sehr-
oberflächlich ausgeführten Gypsmodell puuktirt ist (was ja auch
 
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