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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0204

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einer Frage vermißt, die ebensowohl nach der künstlerischen wie
nach der technischen Seite hin — denn beide stehen ja überall
in der Kunst im engsten Zusammenhänge — eine Fülle von
interessanten Beobachtungen darbietet, nämlich die Frage nach
dem besonderen Charakter der einzelnen graphischen oder, wie
sie auch (ihrer Beziehung zu den bildenden Künsten halber) ge-
nannt werden, „reproduktiven" Künste. Ohnehin herrscht nicht
nur im großen Publikum, sondern unter den Künstlern selbst
manche Unklarheit über den Umfang und die Eigenthümlichkeiten
der Graphik und der unter diesem Kollektivnamen begriffenen
Techniken; und es scheint daher nicht überflüssig, einmal eine
kurze Uebersicht über dieselben zu geben und namentlich darauf
hinzuweisen, welcher Art die Beziehung ist, die zwischen ihrer
technischen oder, wenn man will, mechanischen Herstellungsweise
und ihrer künstlerischen Bedeutung obwaltet.

Es sind einige dreißig verschiedene Techniken, die dabei in
Frage kommen, doch ist sogleich zu sagen, daß nur drei der-
selben— der Holzschnitt, der Kupferstich und die Litho-
graphie — eine tiefer begründete Selbstständigkeit besitzen,
während die übrigen sich, als surrogative Praktiken, der einen
oder anderen jener drei Haupttechniken anschließen, ohne sie in-
deß zu erreichen, geschweige zu ersetzen. Das Gemeinsame aller
graphischen Künste, die genannten drei Haupttechniken mit ein-
begriffen, beruht, um dies von vornherein zu bemerken, darin,
daß es sich bei ihnen um den Abdruck einer Platte ver-
mittelst Farbdruck handelt. In der eigenthümlichen Herstel-
lungsweise der Platte liegt ihre Verschiedenheit als „graphischer",
in der besonderen Manipulation der Druckmethode ihre Ver-
schiedenheit als „reproduktiver" Künste. Letzterer Ausdruck wird

jedoch auch zuweilen in der Richtung gebraucht, daß sie zur
Reproduction von Werken der bildenden Kunst, namentlich der
Malerei (wie etwa der Gyps- und Metallguß im Verhältniß
zur Plastik steht) gebraucht werden.

Außer der Herstellung der Platte und dem Druck-
verfahren kommt aber ■—• und zwar in erster Linie — noch
ein anderes Moment in Betracht, nämlich die Entwerfung
der Zeichnung; und gerade in dieser offenbart sich nicht nur
überhaupt der künstlerische Charakter der Graphik, sondern auch
das individuelle Gepräge ihrer technischen Sonderwirkung. Es
geht hieraus schon hervor, daß es nicht nur keineswegs gleich-
gültig ist, für welche Art graphischer Technik die Zeichnung
dienen soll, sondern daß diese gerade nur für eine bestimmte
Technik einzurichten ist.

Betrachten wir zunächst die Zeichnung nach ihren ver-
schiedenen technischen Requisiten, so ist vor allem darauf hin-
gewiesen, daß der Begriff „Zeichnung" hier im weitesten Sinne
zu nehmen ist: als jedes mit Feder, Bleistift, Kreide, selbst
Pinsel gefertigte, aus Strichen und Linien bestehende einfarbige
Flächenbild, in welchem jene Linien und Striche außer der Form
des Gegenstandes selbst nur noch die Gegensätze und Abstufungen
zwischen Licht und Schatten ansdrücken. Einfarbigkeit, d. h. Ab-
wesenheit des Kolorits, ist wesentliche Bedingung der Zeichnung
im Unterschiede von der Malerei. Indessen ist die Grenze

zwischen beiden schwerer zu ziehen, als es Manchem scheinen
mag. Denn obschon z. B. das mit verschiedenfarbiger Kreide
gefertigte Bild wegen seiner trocknen Ausführung schwerlich als

Gemälde betrachtet werden darf, so müssen wir diese Gattung
doch für unfern Zweck ausschließen, da sie die Forderung des
mangelnden Kolorits unberücksichtigt läßt; eine Forderung, die
für die graphische Reproduction unbedingte Geltung hat. Fast
ähnlich verhält es sich mit der estombirten Zeichnung, obschon
diese wenigstens in der Lithographie zur Geltung kommt. Glaubt
man aber in dem Unterschiede der trocknen und nassen Farben-
auftragung ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal für Zeich-
nung und Malerei gefunden zu haben, so ist daran zu erinnern,
daß nicht nur die Federzeichnung, sondern auch die Tuschzeich-
nung, mit dem spitzen Pinsel in Linienmanier ausgesührt, diesen
Unterschied wieder zu nichts wacht. Im Allgemeinen wird es
daher am zweckmäßigsten sein, wenn wir für unsere Absicht die
Zeichnung als koloritloses Flächenbild definiren.

Die Platte, von welcher die Abdrücke entnommen werden,
muß das Spiegelbild, d. h. das verkehrte Abbild der Original-
zeichnung darstellen, um bei der Vervielfältigung den Abdruck
der Originalzeichnung konform zu machen. Dies ist das einzige
gemeinsame Moment der graphischen Künste rücksichtlich der
Platte.

Das Druckverfahren endlich besteht darin, daß die voll-
endete Platte mit Farbstoff bedeckt und verinittelst der Presse auf
ein Blatt Papier, Pergament u. s. s. abgedruckt wird. Auch
hier giebt es weiter kein gemeinsames Moment.

Die Unterschiede nun, welche zwischen den graphischen
Künsten innerhalb dieser gemeinsamen Grenzen herrschen, beziehen
sich, wie bemerkt, ebenfalls theils ans die Zeichnung, theils
ans das Material und die Art der Herstellung der
Platte, theils endlich auf das mit dieser Herstellung in Ver-
bindung stehende Druckverfahren. Insbesondere ist es die
Art und Weise der Behandlung der Platte, in welcher
sich alle übrigen Charakterverschiedenheiten der einzelnen repro-
duktiven Künste koncentriren, und auf welche wir also auch bei
der folgenden Erklärung derselben hauptsächlich Rücksicht nehmen
müssen.

Ehe wir auf die Technik der einzelnen graphischen Künste
eingehen, wollen wir zunächst, um dem Leser eine Vorstellung
von dein Reichthum dieses Gebietes zu gewähren, eine kürze
Uebersicht über die bekanntesten Arten derselben voranschickein
Holzschnitt und Buchdruck, in ihrer Entstehung am nächsten
verwandt, da ersterer der Vater des letzteren ist, bilden heutigen
Tages die beiden Enden einer langen Kette, von welcher jedes
Glied eine besondere Druckmethode repräsentirt. Und obgleich
der Buchdruck bereits aus der Sphäre der Kunst hinaustritt,
so wollen wir, vom Holzschnitt beginnend, bei der Beschreibung
der verschiedenen Druckmanieren doch bis zu jenem anderen End-
punkte sortgehen, um der Gleichartigkeit ihrer Technik — des
Drucks ■— willen, der die Basis aller dieser Vervielsältigungs-
arten bildet. Da jedoch diese technische Gleichartigkeit zugleich,
je nach der näheren oder weiteren Beziehung des Verfahrens
selbst, als materiellen Mittels, auf die künstlerische Bedeutung
der Vervielfältigung, als ästhetischen Zwecks, eine große innere
Verschiedenheit des Charakters jener Methoden, sowie ihres
künstlerischen Werths in sich schließt, so wird es zweckmäßig
sein, eine bestimmte Gliederung und Eintheilung derselben zu be-
obachten.
 
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