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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0234

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224

Kunstkritik.

Die »ksäemMie Hunstllusstellung in Herlin.

(Schluß.)

^ XVI. Die Plastik.

(Forts, u. Schluß.»

ir haben bei unserer Uebersicht über die für die mo-
derne Plastik zulässigen Motivkreise — und zwar aus
Gründen, die in der Natur der Kunst selbst liegen —
^^^^^^einerseits gegen die Neugestaltung antiker Ideen, an-
drerseits gegen eine genrehafte Auffassung überhaupt
^ protestiren müssen. Namentlich in letzter Beziehung ist
entschieden zu behaupten, daß das plastische Genre, gleichviel ob es
allgemeine Ideen in solche ihnen unadäquate Form kleidet und sie
dadurch trivialisirt, oder ob es genrehafte Motive direkt verwerthet,
stets der hohen, idealen, ja etwas abstrakten Natur des Plastischen
so sehr widerstreben wird, daß für das unbefangene Gefühl darin
uothwendig eine Herabziehung in's Gemeine liegt. Meinetwegen
mag man Nippfigürchen in solcher Weise fabriciren, nur dürfen sie
nicht mit dem Anspruch auf eine höhere künstlerische Bedeutung
auftreten.

Indessen giebt es doch noch ein Gebiet — und zwar ein
specifisch modernes, der antiken Kunstanschauung völlig fremdes —,
das für die moderne Plastik eine, außerordentlich fruchtbare Quelle
der reizvollsten und geistig bedeutsamsten Motive darbieten könnte
und das trotz seiner Vielseitigkeit, mit welcher es nach allen Seiten
hin sich ausbreitet, von der modernen Bildhauerei so gut wie gar
nicht gekannt, geschweige kultivirt wird: das ist das Gebiet des
Humors. Selbst die antike Gestaltenwelt würde von diesem Stand-
pnnkt aus ein ganz neues, dem modernen Gefühl völlig verständ-
liches und vor Allem durchaus originales Gepräge erhalten. Selbst-
verständlich ist hiebei von nichts weniger als von einer satyrischen
Auffassung ernster antiker Ideen — etwa von einer in's Plastische
übersetzten Offenbachiadc — die Rede, sondern lediglich von einer
Wahl solcher antiken Motive, welche sich naturgemäß für eine hu-
moristische Auffassung und Behandlung eignen. Einen höchst ge-
lungenen Anlauf dazu hat, um durch ein Beispiel sogleich unsere
Ansicht zu verdeutlichen, Reinhold Begas mit seinem „Pan, Psyche
tröstend" genommen; ja auch seine sogenannte „Venus mit Amor"
hat einen solchen humoristischen Zug, obschon derselbe durch die
genrehafte Auffassung der Hauptfigur etwas verwischt erscheint.

Es ist dies eine Frage, welche so reichhaltigen Stoff für eine
principielle Erörterung darbietet, daß wir uns hier vorläufig um so
mehr mit dieser flüchtigen Andeutung begnügen müssen, als die aka-
demische Ausstellung — mit Ausnahme des genannten Begas'schen
Werkes, das seiner Entstehung nach jedoch einer früheren Zeit an-
gehört, und der beiden Meisterwerke Ed. Müller's — sonst keinen
Anlaß dazu bot, über diese Seite der plastischen Anschauungswelt
uns ausführlicher zu äußern. Wir behalten uns daher eine Be-
antwortung dieser Frage für einen besonderen Artikel vor.

Was nun die zur Ausstellung gebrachten Werke selbst betrifft,
so bemerken wir zunächst in statistischer Beziehung, daß das reli-
giöse Gebiet nur durch drei, nicht gerade bedeutende Werke ver-
treten war, nämlich durch Schubert's „Kampf Jakobs mit dem
Engel", Benk's Alabastergruppe „Madonna mit Christus und Jo-
hannes" und Brodwolf's Relief der „Bergpredigt". Am zahl-
reichsten trat die Pprtraitbüstenplastik (18 Arbeiten) auf; dann
folgten die Idealfiguren (12), wenn man auch die zum größten
Theil widerlich genrehaft behandelten Figuren der Italiener nicht

dazu rechnet, ferner die Jdealbüsten (12), darunter mehre schöne
Arbeiten, die Idealgruppen (11), die Genrefiguren und
-Gruppen (10), endlich auch einige Portraitstatuetten (3)
und ein G r a b m o n u m e n t. Frei komponirte Reliefs gab es 9,
Portraitreliefs 5; die Thierplastik war durch 4 ziemlich unbedeutende
Arbeiten vertreten, die Glyphik und kunstindustrielle Skulptur durch
5 Werke.

Nach dieser kurzen statistischen Uebersicht erübrigt nur noch, aus
jedem der genannten Gebiete diejenigen Werke namentlich hervorzu-
heben, welche sich über das gewöhnliche Niveau konventioneller Fertig-
keit erheben oder welche, wo es sich um Entwürfe handelt, wenigstens
einen inhaltsvollen Gedanken darbieten. Im Allgemeinen ist die
Ausbeute keine übermäßig reichhaltige und beschränkt sich mit wenig
Ausnahmen auf die bekannten Meister. Außerdem aber müssen wir
von vornherein darauf verzichten, die italienischen Machwerke
zu kritisiren, da sie fast sämmtlich trotz ihres für einen ästhetisch un-
gebildeten Geschmack bestechenden glatten Aeußeren einen solchen Grad
von Depravation der künstlerischen Anschauung verrathen, daß sie
geradezu als Korruptionsmittel echter Schönheitsempfindung zu be-
zeichnen sind. Alle diese koketten Figürchen in hübschem weißen
Marmor, bei denen die theils französischen, theils italienischen Titel
das einzig Anziehende sind, wie Io Matin von Bianchi, la modestia,
la vergognosa von Braga, la sorpresa, preghiera forzata und la
candida Rosa von Guarnerio, die geradezu scheußliche „Mignon"
von Calvi, sowie Tantardini's „Erster Wassereindruck" haben
künstlerisch nicht nur gar keinen Werth, sondern stumpfen durch ihre
unter dem gleißenden Schein frivoler Sentimentalität sich verbergende
innere Hohlheit das Gefühl des beschauenden Laien gegen den ge-
sunden Genuß wahrer Kunstschönheit ab. Wie sich diese ganze Richtung
lediglich auf Zuckerbäckergeschmack basirt, so ruft sie auch nichts als
solches Gefallen an widerlicher Süßlichkeit hervor: sie ist deshalb
die größte Feindin des wahren und reinen Schönheitsgefühls. Es
ist unglaublich, daß in dem „Lande der klassischen Schönheit" solch'
gemeines Unwesen getrieben werden kann; Schmach darum euch
Epigonen der großen Alten, daß deren euch rings umgebende, in
göttlicher Schönheit prangende Werke nicht die Schamröthe auf eure
Stirnen zu rufen im Stande sind! Uns aber, die „nordischen
Barbaren", verschont gefälligst künftig mit eurer Konditorwaare;
wir haben selber deren im Ueberfluß.

Unter den theils antik-klassische, theils allgemein-symbolische
Motive behandelnden Gruppen und Figuren haben wir Reinhold
Begas' nunmehr in Marmor ausgeführte köstliche Gruppe „Pan,
die Psyche tröstend" bereits erwähnt. Da wir das Werk schon
früher, als es im Gypsabguß ausgestellt war, besprochen haben, so
wollen wir darüber nur die Bemerkung machen, daß unsere öfter aus-
gesprochene Ansicht durch dies übrigens in vorzüglicher Technik ausge-
führte Werk abermals einen Belag dafür liefert, daß die kühne und
drastische Weise, mit welcher Begas solche Motive behandelt, sich
viel mehr für den skizzenhaft sich gebenden Gyps eignet — namentlich
wenn er nach der weisen Art des Meisters von seiner frostigen
Mehlfarbe befreit und dadurch im Aeußeren den alten, einige Jahr-
tausende in der Erde gelegenen Marmorstatuen verähnlicht worden
ist — als für den fleckenlosen Marmor, mit dem man doch solche
Procedur nicht gut vornehmen kann. Es liegt darin, wie überhaupt
in der durchaus charaktervollen und prägnanten Richtung von Begas,

Fortsetzung in der Beilage.
 
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