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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0254

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er seinem Charakter treu bleiben soll, zunächst und vor Allem
als Reproduction der Federzeichnung zu behandeln ist. Steht
dies aber fest, so muß auch zugegeben werden, daß die fernere
künstlerische Entwickelung der Xylographie wesentlich davon ab-
hängt, daß jenes alte natürliche Verhältniß zwischen Zeichner
und Holzschneider wiederhergestellt werde, d. h. daß der Zeichner-
Geschicklichkeit, Talent und Kraft genug besitzt, um — ohne
ängstliche Rücksichtnahme auf die Möglichkeit der xylographischen
Ausführung — seinen eigenen Weg zu gehen und es der
Technik des Holzschneiders zu überlassen, ob er ihm zu folgen
im Stande sei oder nicht. Jedenfalls ist es, wenn nur der
Zeichner sonst Geist und Geschicklichkeit besitzt, für die künst-
lerische Ausbildung des Holzschnitts zuträglicher, wenn sich nicht
der Zeichner nach dem Holzschneider, sondern dieser nach jenem
zu richten gezwungen ist. Denn in dem ersten Falle opfert
die Zeichnung von ihrer Freiheit und folglich von ihrem Cha-
rakter auf und verliert dadurch an künstlerischem Werth, im
zweiten wird der Holzschnitt durch die Zeichnung mit fortgerissen
und gewinnt, wenn er ihr zu folgen im Stande ist, sowohl in künst-
lerischer Beziehung an Bedeutung, wie in technischer an Umfang.

Daß übrigens die Ausbildung der Holzschnittzeichnung einen
sehr wesentlichen Einfluß auf die künstlerische Entwickelung des
Schnitts ausübe, ergiebt sich aus der Geschichte der neueren
französischen Xylographie, deren hohe künstlerische Ausbildung
den größten Künstlern Frankreichs, einem Horace Vernet,
Grandville, Gavarni, Tony Johannot und aus letzter
Zeit Gustav Dors, sowie vielen Anderen von gleich großer
Bedeutung, zu danken ist. In Deutschland haben zwar auch,
namentlich in den vierziger und fünfziger Jahren, außer den
eigentlichen Illustratoren, wie L. Richter, einige bedeutendere
Künstler, wie Adolph Menzel, Neureuther, Schnorr
u. s. s., ihre Aufmerksamkeit dem Holzschnitt zugewandt und
viel dafür gezeichnet, aber einestheils ist ihr Einfluß (mit Aus-
nahme vielleicht von Menzel) nicht so eingreifend gewesen,
anderentheils hat er sich nur auf gewisse Fächer beschränkt.
In der That scheint es, als ob die deutschen Künstler dem
Holzschnitt damit eine Ehre zu erzeigen glauben, wenn sie sich
zu ihm herablassen. Dies ist nun eine den Franzosen fremde
Verkennung ihres kulturgeschichtlichen Berufs und zugleich kein
Beweis für ihren Nationalstolz. Sie bedenken nicht, welchen
unermeßlichen Einfluß sie nicht blos auf die künstlerische Aus-
bildung des Holzschnitts selber, dieses Haupthcbels der kultur-
geschichtlichen Volksbildung, sondern auch ans die Erziehung der
Holzschneider zu wirklichen Künstlern ausüben können. Sie be-
greifen nicht, welche immense Einwirkung durch eine allgemeinere
Betheiligung zur Herstellung gediegener Illustrationen auf die
Reinigung und Läuterung des allgemeinen Geschmacks ihnen
offen steht. Denn wo ist dieser Einfluß größer und umfassen-
der als gerade auf dem Felde, welches dem Volke, der Nation
im Großen und Ganzen, am nächsten liegt, auf dem Felde der
Illustration? Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, wiegt ein
guter, gediegener Holzschnitt von der Größe eines Quartblatts das
herrlichste Gemälde auf, und wenn es eine ganze Wand bedeckte.

Der englische Holzschnitt — um diesen, oder vielmehr die
Zeichnung für denselben zunächst zu betrachten, weil sie sich
unsrer Ansicht nach am weitesten von dem wahren Charakter

der Holzschnittzeichnung entfernt — wurde oben als „Tonschnitt"
bezeichnet. Obgleich der Tonschnitt aus Strichen besteht, so
macht er doch nicht nur die Wirkung einer estompirten Zeich-
nung, sondern ist auch in der That aus solcher entstanden. Von
facsimilirter Reproduction der Zeichnung ist dabei nicht die Rede;,
und diese Ungebundenheit oder, wenn man will, Selbstständigkeit
des englischen Holzschneiders gegenüber dem Zeichner, sowie,
damit in Verbindnng, die Gleichartigkeit in der Behandlung des
Tonschnitts ist eine specifische Eigenthümlichkeit der englischen
Xylographie.

Es kann nun zweifelhaft sein, ob der Grund dieser Gleich-
artigkeit in der Zeichnungsmanier, wonach sich der Holzschnitt
gebildet, oder in einer unabhängig ausgebildeten Holzschnittmanier
zu suchen sei, die jede Zeichnung, welchen Charakter sie auch
haben mag, auf dieselbe Weise behandelt. Wir werden unten
sehen, aus welchen Gründen die letztere Alternative zutrifft; zu-
gleich folgt aber auch daraus, daß die ursprüngliche Charakteristik
der Zeichnung in dem Holzschnitt so gut wie verloren geht, so
daß von individuellen Unterschieden kaum noch die Rede sein
kann. Im französischen Holzschnitt ebensowohl wie im deutschen
kann von den charakteristischen Merkmalen der einzelnen Zeichner
gesprochen werden, und Horace Vernet unterscheidet sich von
Gavarni nicht weniger entschieden, als Menzel von Lndwiz
Richter, weil hier der Holzschneider sich dem Zeichner akkom-
modirt. In England muß umgekehrt die Zeichnung sich dem
Holzschneider akkommodiren, oder vielmehr der Zeichner läßt
sich, dies wissend, nur selten auf eine Detailbehandlung ein,
sondern beschränkt sich meist auf die Umrisse, indem er die Töne
leicht anwischt und es dem Holzschneider überläßt, sie auszu-
führen. In der That tritt in manchen englischen Holzschnitten
die Sticheltechnik so ganz selbstständig auf, daß es geradezu un-
denkbar ist, daß diese Art der Manier von dem Zeichner her-
rühren könne. Es gehören dazu nicht blos die zahlreichen
weißen Kreuzschnitte, sondern überhaupt die Arbeiten aus dem
Dunkeln in's Helle, die dem Zeichner ganz unmöglich sind, er
müßte denn den Stock schwärzen und die Lichter herauskratzen.
Ein Umstand spricht jedoch allerdings dafür, daß aus der
Gleichartigkeit der englischen Schnittmanier ein Rückschluß aus
eine analoge Gleichartigkeit der Zeichnung zu ziehen sei, näm-
lich der, daß denselben Charakter des Tonschnitts auch die
anderen graphischen Künste, namentlich der englische Stahlstich,
zeigen: es ist derselbe sogenannte „Silberton", welcher die
kleinen englischen Stahlstiche kennzeichnet, den wir auch als
eigenthümliches Gepräge des englischen Holzschnitts finden. Zu
erklären ist dies daraus, daß der englische Holzschnitt neuerer
Zeit sich zuerst in der Stahlstichmanier entwickelte, wie denn
Bewick, der Vater des modernen englischen Holzschnitts, selbst
ursprünglich Kupferstecher war und den Stichel in derselben
Weise aus Hirnholz wie früher auf Kupfer handhabte.

Dem genaueren Kenner der Geschichte des neueren eng-
lischen Holzschnitts werden freilich Charakternnterschiede in der
Manier der einzelnen Holzschnittzeichner nicht entgehen können.
Unter Anderen*) mag hier Georg Cruikshank erwähnt
werden, der sich das besondere Verdienst erworben hat, den

*) Näheres findet man Uber die englischen Holzschnittzeichner seit Bewick
in meinem Buche „Schule der Holzschneidekunst rc.", S. 242 ff. D. V.
 
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