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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0294

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daß alle Künste Alles darstellen können^), hat keine Ahnung
von dem wahren Wesen der Kunst gehabt. Vielmehr unter-
scheiden sich die Künste, und zwar auf Grund ihrer differenten
Darstellungsmittel, gerade dadurch, daß sie ganz verschiedene
Grenzen hinsichtlich der Motive haben. Was beispielsweise der
Plastik in der Richtung der abstrakten Idealität gestattet ist, bleibt
der Malerei versagt, und was diese in der Richtung der kon-
kreten Realität zur Darstellung wählen darf, darauf muß die
Plastik verzichten.

Das Uebernatürliche hat nun, auch diese dritte Unterschei-
dung ist zu machen, zwei Seiten, eine Lichtseite und eine Schatten-
seite. Zur ersteren gehören außer dem specifisch-religiöseu Gebiet,
das übrigens auch vielfach in die zweite hinübergreift — neben Vor-
stellungen des Himmels solche der Hölle —, die poetisch dank-
baren Stoffe, welche das reiche Gebiet der Sage und des' Mär-
chens darbietet. Die zweite umfaßt in ihrem weitesten Umfange
Alles, was seichte Schönredner gewöhnlich als den Feind alles
Schönen zu perhorresciren Pflegen, nämlich das nicht minder reiche
und dankbare Gebiet des Häßlichen. So selbstverständlich es scheint,
daß die Kunst es vornehmlich mit der Darstellung des Schönen
zu thun habe, so zweifellos ist es für Jeden, der das wahre
Wesen der Kunst begriffen hat, daß ohne das Häßliche die Kunst
nicht existiren würde. Denn es ist eben dasjenige Moment,
welches der Kunstschönheit den individuellen Charakter, ja über-
haupt Charakter verleiht. Selbst in der Musik, der „unschuldig-
sten" aller Künste, da sie nach altem, von Offenbach längst mit
Erfolg widerlegten Vorurtheil „nichts Unsittliches" darstellen
könne, nimmt das Häßliche, als Dissonanz, eine sehr wichtige Stelle
ein, deren Aufhebung zugleich die Vernichtung zahlloser Schön-
heiten, die nur durch Auflösung der Dissonanzen möglich sind,
nach sich ziehen würde. Man streiche Alles, was für sich be-
trachtet „häßlich" erscheinen würde, aus Dante, Shakespeare,
Goethe und allen großen Dichtern und sehe dann zu, was man übrig
behielte. In den bildenden Künsten spielt es eine noch viel be-
deutendere Rolle; hier verleiht es hauptsächlich die Kraft, das
sonst wesenlose Ideale zum individuell Charakteristischen, d. h. zum
Kunstschönen, zu verdichten und dadurch mit lebendigem Inhalt
zu erfüllen.

Aber auch abgesehen von dieser allgemeinen Bedeutung des
Häßlichen nimmt es unter verschiedenen Formen in der Kunst
eine wichtige Stellung ein; es bildet — namentlich in der
Poesie, dann aber auch in der Malerei — ein specifisches Ge-
biet voll hohen Reizes: ich meine das Gebiet des Dämonischen.
Mau kann nicht leugnen, daß von allen Gebieten des inneren
und äußeren Lebens, aus denen die bildende Kunst ihre Motive
schöpft, um auf die Anschauung erheiternd oder rührend, erhebend
oder erschütternd zu wirken, jenes geheimnißvolle Gebiet zu den
im Stoff wirksamsten und reichhaltigsten gehört; denn Nichts
eröffnet der Phantasie einen weiteren Spielraum, eine reizvollere

*) Kürzlich Heinrich Mosler in seinen „Kritischen Kunstsiudien", indem
er am Schluß der Einleitung als Hauptprincip seiner ästhetischen Ueber-
zeugung den Satz aufstellt: „Alles ist darstellbar und in jeder Kunst und
ist je nach Umständen ein würdiger Gegenstand für die Kunst". — Herr
Mosler ist selbst Maler, und darum möchten wir ihm den alten guten
Spruch zurufen: Ke sutor ultra crexiäaml Denn sein Buch strotzt ebenso
sehr von Unwissenheit wie don Ueberhebung; zwei Eigenschaften, die gewöhn-
lich zusammcngehen.

Perspektive. Das Dämonische entzieht sich der verständigen
Prüfung, da es an sich und eingestandenermaaßen auf die
Realität der konkreten Erscheinungswelt verzichtet; es verharrt,
abseits von der Wirklichkeit und Bestimmtheit des Hellen Tages-
lichts, in der mysteriösen Dämmerung ahnungsvoller Möglichkeit
und zweifelhaften Traumdaseins. Aber eben daraus schöpft es
jenen poetischen Reiz, der es mit einem dem Verstände unbe-
greiflichen Zauber umhüllt. Gerade in dem Mangel an pro-
saischer Wirklichkeit, ja in der für den Verstand zweifellosen Un-
möglichkeit seiner in die Erscheinung tretenden Existenz besitzt das
Dämonische einen Gewährbrief poetischer Berechtigung.

Aber dieser Mangel au konkreter Realität würde, als etwas
Negatives, das Dämonische noch nicht mit dem Zauber der
Poesie umkleiden; sonst würde es ja hinreichen, nur das Gegen-
theil von irgend etwas wirklich Vorhandenem zu bilden, d. h.
das Wirkliche einfach auf den Kopf zu stellen, um ein poetisches
Resultat zu gewinnen. Dergleichen würde nur zum Geistlosen
statt zum Geisterhaften führen; nicht zum Unsinnlichen, sondern
zum Unsinn. Wie im Wahnsinn, öfter als man glaubt, „Me-
thode" ist, so muß sie auch im Dämonischen sein — und ge-
hört der Wahnsinn nicht auch in dieses „Reich der Schatten",
worin das Dämonische herrscht? Die Methode des Dämonischen
ist freilich eine ganz andere als die des Verstandes.

Man kann also nicht leugnen, daß der poetische Zauber des
Dämonischen nicht blos aus dem Kontrast gegen die Realität des
Lebens, auf der Negation des Wirklichen beruht, — sonst wäre
alles Unwirkliche an sich poetisch und die Poesie nichts als der
Mangel an Wirklichkeit — sondern es „steckt noch etwas Anderes
dahinter". Mit anderen Worten: Das Dämonische hat eine
positive Berechtigung, eine innerliche Wahrheit.

Wir wissen alle, daß die Märchen unserer Kinderzeit nicht
„wahr" sind; wie ist es nun möglich, daß trotzdem der Reiz
fortbefteht, daß wir uns — wenn auch nur auf Augenblicke —
mit unserer ganzen Theilnahme in die Lage des armen „Roth-
käppchens" zurückversetzen und die Heldenthaten des kleinen
„Däumlings" mit lebhaftem Interesse begleiten? Der Ver-
ständige zuckt vornehm die Achseln über solche Thorheit. Aber
besitzt Der, welcher nur das „Wirkliche" passiren läßt und alles
Andere für blauen Dunst hält, der das klare Gehirn verdunkele
— besitzt solch' weiser Mann denn wirklich die Wahrheit? Mit
andern Worten: ist das sogenannte „Wirkliche" denn in der
Thät das Wahre?

Nein, das Wahre ist so wenig mit dem Wirklichen identisch,
daß im Gegentheil das Wirkliche überall sich als das Un-
wahre heraus stellt. Denn das Wirkliche kann, als das
real Existirende, nur die Verwirklichung eines Begriffs sein:
dieser Baum, Mensch u. s. s. soll den Begriff Baum, Mensch
u. s. f. verwirklichen. Das Wahre daran ist also das Begriff-
liche, die Idee. Soweit diese eben zur Verwirklichung gelangt,
aber auch nur soweit, ist das Existirende wahr. Darüber hin-
aus ist es unwahr. Da nun aber die Idee niemals durch das
einzelne Existirende erschöpft wird, so ist dieses immer mit einem
Deficit an Wahrheit behaftet, d. h. seine Wirklichkeit steht theil-
weise mit der Wahrheit in Widerspruch. Der alte triviale Satz:
„Es giebt nichts Vollkommenes unter der Sonne" drückt die
Differenz zwischen Wahrheit und Wirklichkeit mit genügender
 
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