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unter das Brennglas einer wissenschaftlichen Kritik zu bringen,
dürfte es vorzuziehen sein, einen Rückblick auf die Geschichte zu
werfen, um zu sehen, welche Ansichten seit den ersten Versuchen
einer philosophischen Reflexion über das Verhältniß des Schönen
zum Guten, bezw. über den Einfluß der Kunst aus die Sittlich-
keit, zu verschiedenen Zeiten von den Männern des Faches,
d. h. den Vertretern der Wissenschaft und der Kunst selbst aus-
gesprochen worden sind.
Die historische Vorbetrachtung eines philosophischen Thema's
scheint mir ohnehin, abgesehen von dem objektiven Interesse, das
sich nothwendiger Weise an solche retrospektive Uebersicht über
die Gedankenresultate unserer Vorgänger — vorausgesetzt, daß
sie einigermaaßen vollständig ist — knüpft, auch für die Dar-
legung und Begründung einer eignen Ansicht insofern von wesent-
licher Bedeutung, als diese sich dann als Resultat einer Kritik
ihrer Vorgänger einzuführen im Stande ist. Wie weit sie dann
in Dem, was sie positiv Neues behauptet, selber vor dem Richter-
stuhl der Kritik bestehe, darüber möge die Kritik anderweitig
selber entscheiden.
Um jedoch von vorn herein eine Andeutung darüber zu
geben, nach welcher Richtung hin ich die Frage nach den Be-
ziehungen zwischen Ethik und Aesthetik oder — um auf die kon-
kreten Grundbegriffe zurückzugehen — zwischen dem Guten und
dem Schönen betrachten möchte, so bemerke ich, daß — hätte
ich von der geschichtlichen Vorbetrachtung absehen dürfen — ich
dem Thema die engere Fassung gegeben haben würde, inner-
halb welcher Grenzen sich die fundamentalen Be-
griffe der Ethik und Ästhetik, also das Gute mit dem
Schönen, das Böse mit dem Häßlichen und ähnliche
Parallelbegriffe berühren, d. h. unter welchen Beschränkungen
sie in ihrem Inhalt an einander participiren.
Daß überhaupt eine solche Berührung stattfinde, ist wohl
kaum jemals geleugnet worden; nur über den Grad ihrer Innig-
keit, über das Mehr oder Weniger in der Beschränkung ihrer
Grenzen herrscht Verschiedenheit der Ansichten; aber seltsamer
Weise hat man die Frage nach der begrifflichen Feststellung der
Berührungspunkte bis jetzt meines Wissens nicht zum speciellen
Gegenstände der philosophischen Erörterung gemacht. Bei den
Begriffen des „Guten" und „Schönen" verfällt die Reflexion
nothwendig auch auf den des „Wahren", als das dritte Glied
jener erhabenen Trias, welche von den ethischen und ästhetischen
Schönrednern so häufig zu bombastischen Exklamationen gemiß-
braucht wird. In der That werden wir bei unserm geschicht-
lichen Rückblick sehen, daß, je nach der eigenthümlichen Richtung,
welche die Philosophie einer Zeit einschlug, es bald das Ethische,
bald das Logische oder genauer gesprochen das Erkenntnißtheo-
retische es war, welches mit dem Aesthetischen in Parallele
gestellt wurde — sei es als Gegensatz, sei es als Identifikation,
oder auch in der Form einer Kausalverbindung, ja sogar in der
eines Gradverhältnisses, letzteres z. B. von dem Vater der
deutschen Aesthetik selber (Baumgarten), wenn er das „Schöne"
als die von der verworrenen Vorstellung erkannte Vollkom-
menheit definirt, so daß es sich also von dem Wahren, als
dem Produkt einer klaren Erkenntniß, eben nur durch jene
Verworrenheit in der Vorstellung unterschiede.
Die ersten Spuren einer Reflexion über die im Thema aus-
gedrückte Frage, ja über das Schöne überhaupt finden sich vor
Plato überhaupt nur in sehr sporadischer Weise, aber charakte-
ristisch ist dabei, daß es gleich von vorn herein in sehr ent-
schiedner Weise mit dem Ethischen in Beziehung gebracht wurde.
Ferner ist die geringe Werthschätzuug oder vielmehr Nichtachtung
auffällig, welche — und zwar in einer Zeit, welche die herr-
lichsten Schöpfungen der antiken Kunst entstehen sah, in der
Zeit des Perikles — der Kunstschönheit, die wir heute als die
höchste Art der Schönheit zu betrachten gewohnt sind, zu Theil
wurde. Aehnlich wie Kant das Schöne als Dasjenige erklärt,
welches „ohne Interesse" gefalle, bezeichneten die Alten die
schöne Kunst als. diejenige, welche ohne Interesse, d. h. ohne
praktischen Zweck schasse. Dieser an sich richtige Gedanke
wurde aber dann dahin gewendet, daß die Kunst überhaupt
zwecklos und unnütz, ja unter Umständen schädlich sei.
Was nun die Beziehungen zwischen dem Aesthetischen und
Ethischen betrifft, so kann als die erste dahin schlagende Be-
merkung gelten, daß von Pythagoras berichtet wird, er habe
in der Musik ein Mittel zur Reinigung der Seele gesehen und
deshalb nur beruhigende Harmonien geduldet. Auch die So-
phisten haben sich viel mit solchen Fragen beschäftigt; so wird
von dem Sophisten Gorgias — in Opposition gegen die pla-
tonische Ansicht von dem auf bloßen Betrug hinauslaufenden
Charakter der Tragödie — der Ausspruch citirt, daß „die Tra-
gödie zwar auf eine gewisse Täuschung abziele, aber auf eine
solche, die Diejenigen, welche sich ihr hingeben, weiser, und Die-
jenigen, welche sie hervorbrächten, gerechter erscheinen lasse, als
die nicht-Getäuschten und nicht-Täuschenden"; womit er also an-
deutet, daß sowohl zur Hervorbringung wie zum Verständniß
des in der Tragödie liegenden künstlerischen Scheines mehr
innere Tiefe gehöre, als Diejenigen besaßen, welche die gemeine
Wirklichkeit über Alles setzen. — Gegen diese tiefere Auffassung
steht nun die etwas hausbackne Ansicht des Sokrates •— wie
er uns ans den Memorabilien des Xenophon entgegentritt —
sehr zurück: „Nicht was an einem Dinge schön sei, müsse gefragt
werden, sondern wodurch es das sei. Dies sei das Taugliche
und Gute, was einem vernünftigen Zweck diene. Ein goldner
Schild sei deshalb häßlich, wenn er seinem Zweck, Schutz zu
gewähren, nicht entspreche; ein Mistkorb dagegen schön, wenn
er den seinigen, nämlich Dünger darin aufzunehmen, erfülle.
Diese bornirte Auffassung ist auch in dem sokratischen Begriff
des Schönen als Dessen, was Liebe erwecke, sowie dem der so-
genannten Seelenschönheit, als Ursache der platonischen Liebe,
enthalten: es liegt eben immer das Zweckmäßige im Hinter-
gründe. Von dem Kunstschönen hält Sokrates nichts; Xenophon
citirt eine Aeußerung von ihm, daß er zur Betrachtung der
Werke der Schmiede, Zimmerleute, Maler und Bildhauer keine
Zeit gehabt, da er sich hauptsächlich mit der Nachforschung
darüber beschäftigt, inwiefern bei den Menschen das Schöne mit
dem Guten sich vereinigt finde. Das xaXöv xäya&ov spielt denn
auch nachher eine große Rolle und spukt auch in der modernen
Philosophie vielfach umher. Es gehört zu jenen nebulösen Be-
griffen, die ihrer schillernden Unbestimmtheit wegen besonders
für philosophirende Phantasten von großem Werth und deshalb
außerordentlich hindernd für die Klärung der Begriffe gewesen sind.
unter das Brennglas einer wissenschaftlichen Kritik zu bringen,
dürfte es vorzuziehen sein, einen Rückblick auf die Geschichte zu
werfen, um zu sehen, welche Ansichten seit den ersten Versuchen
einer philosophischen Reflexion über das Verhältniß des Schönen
zum Guten, bezw. über den Einfluß der Kunst aus die Sittlich-
keit, zu verschiedenen Zeiten von den Männern des Faches,
d. h. den Vertretern der Wissenschaft und der Kunst selbst aus-
gesprochen worden sind.
Die historische Vorbetrachtung eines philosophischen Thema's
scheint mir ohnehin, abgesehen von dem objektiven Interesse, das
sich nothwendiger Weise an solche retrospektive Uebersicht über
die Gedankenresultate unserer Vorgänger — vorausgesetzt, daß
sie einigermaaßen vollständig ist — knüpft, auch für die Dar-
legung und Begründung einer eignen Ansicht insofern von wesent-
licher Bedeutung, als diese sich dann als Resultat einer Kritik
ihrer Vorgänger einzuführen im Stande ist. Wie weit sie dann
in Dem, was sie positiv Neues behauptet, selber vor dem Richter-
stuhl der Kritik bestehe, darüber möge die Kritik anderweitig
selber entscheiden.
Um jedoch von vorn herein eine Andeutung darüber zu
geben, nach welcher Richtung hin ich die Frage nach den Be-
ziehungen zwischen Ethik und Aesthetik oder — um auf die kon-
kreten Grundbegriffe zurückzugehen — zwischen dem Guten und
dem Schönen betrachten möchte, so bemerke ich, daß — hätte
ich von der geschichtlichen Vorbetrachtung absehen dürfen — ich
dem Thema die engere Fassung gegeben haben würde, inner-
halb welcher Grenzen sich die fundamentalen Be-
griffe der Ethik und Ästhetik, also das Gute mit dem
Schönen, das Böse mit dem Häßlichen und ähnliche
Parallelbegriffe berühren, d. h. unter welchen Beschränkungen
sie in ihrem Inhalt an einander participiren.
Daß überhaupt eine solche Berührung stattfinde, ist wohl
kaum jemals geleugnet worden; nur über den Grad ihrer Innig-
keit, über das Mehr oder Weniger in der Beschränkung ihrer
Grenzen herrscht Verschiedenheit der Ansichten; aber seltsamer
Weise hat man die Frage nach der begrifflichen Feststellung der
Berührungspunkte bis jetzt meines Wissens nicht zum speciellen
Gegenstände der philosophischen Erörterung gemacht. Bei den
Begriffen des „Guten" und „Schönen" verfällt die Reflexion
nothwendig auch auf den des „Wahren", als das dritte Glied
jener erhabenen Trias, welche von den ethischen und ästhetischen
Schönrednern so häufig zu bombastischen Exklamationen gemiß-
braucht wird. In der That werden wir bei unserm geschicht-
lichen Rückblick sehen, daß, je nach der eigenthümlichen Richtung,
welche die Philosophie einer Zeit einschlug, es bald das Ethische,
bald das Logische oder genauer gesprochen das Erkenntnißtheo-
retische es war, welches mit dem Aesthetischen in Parallele
gestellt wurde — sei es als Gegensatz, sei es als Identifikation,
oder auch in der Form einer Kausalverbindung, ja sogar in der
eines Gradverhältnisses, letzteres z. B. von dem Vater der
deutschen Aesthetik selber (Baumgarten), wenn er das „Schöne"
als die von der verworrenen Vorstellung erkannte Vollkom-
menheit definirt, so daß es sich also von dem Wahren, als
dem Produkt einer klaren Erkenntniß, eben nur durch jene
Verworrenheit in der Vorstellung unterschiede.
Die ersten Spuren einer Reflexion über die im Thema aus-
gedrückte Frage, ja über das Schöne überhaupt finden sich vor
Plato überhaupt nur in sehr sporadischer Weise, aber charakte-
ristisch ist dabei, daß es gleich von vorn herein in sehr ent-
schiedner Weise mit dem Ethischen in Beziehung gebracht wurde.
Ferner ist die geringe Werthschätzuug oder vielmehr Nichtachtung
auffällig, welche — und zwar in einer Zeit, welche die herr-
lichsten Schöpfungen der antiken Kunst entstehen sah, in der
Zeit des Perikles — der Kunstschönheit, die wir heute als die
höchste Art der Schönheit zu betrachten gewohnt sind, zu Theil
wurde. Aehnlich wie Kant das Schöne als Dasjenige erklärt,
welches „ohne Interesse" gefalle, bezeichneten die Alten die
schöne Kunst als. diejenige, welche ohne Interesse, d. h. ohne
praktischen Zweck schasse. Dieser an sich richtige Gedanke
wurde aber dann dahin gewendet, daß die Kunst überhaupt
zwecklos und unnütz, ja unter Umständen schädlich sei.
Was nun die Beziehungen zwischen dem Aesthetischen und
Ethischen betrifft, so kann als die erste dahin schlagende Be-
merkung gelten, daß von Pythagoras berichtet wird, er habe
in der Musik ein Mittel zur Reinigung der Seele gesehen und
deshalb nur beruhigende Harmonien geduldet. Auch die So-
phisten haben sich viel mit solchen Fragen beschäftigt; so wird
von dem Sophisten Gorgias — in Opposition gegen die pla-
tonische Ansicht von dem auf bloßen Betrug hinauslaufenden
Charakter der Tragödie — der Ausspruch citirt, daß „die Tra-
gödie zwar auf eine gewisse Täuschung abziele, aber auf eine
solche, die Diejenigen, welche sich ihr hingeben, weiser, und Die-
jenigen, welche sie hervorbrächten, gerechter erscheinen lasse, als
die nicht-Getäuschten und nicht-Täuschenden"; womit er also an-
deutet, daß sowohl zur Hervorbringung wie zum Verständniß
des in der Tragödie liegenden künstlerischen Scheines mehr
innere Tiefe gehöre, als Diejenigen besaßen, welche die gemeine
Wirklichkeit über Alles setzen. — Gegen diese tiefere Auffassung
steht nun die etwas hausbackne Ansicht des Sokrates •— wie
er uns ans den Memorabilien des Xenophon entgegentritt —
sehr zurück: „Nicht was an einem Dinge schön sei, müsse gefragt
werden, sondern wodurch es das sei. Dies sei das Taugliche
und Gute, was einem vernünftigen Zweck diene. Ein goldner
Schild sei deshalb häßlich, wenn er seinem Zweck, Schutz zu
gewähren, nicht entspreche; ein Mistkorb dagegen schön, wenn
er den seinigen, nämlich Dünger darin aufzunehmen, erfülle.
Diese bornirte Auffassung ist auch in dem sokratischen Begriff
des Schönen als Dessen, was Liebe erwecke, sowie dem der so-
genannten Seelenschönheit, als Ursache der platonischen Liebe,
enthalten: es liegt eben immer das Zweckmäßige im Hinter-
gründe. Von dem Kunstschönen hält Sokrates nichts; Xenophon
citirt eine Aeußerung von ihm, daß er zur Betrachtung der
Werke der Schmiede, Zimmerleute, Maler und Bildhauer keine
Zeit gehabt, da er sich hauptsächlich mit der Nachforschung
darüber beschäftigt, inwiefern bei den Menschen das Schöne mit
dem Guten sich vereinigt finde. Das xaXöv xäya&ov spielt denn
auch nachher eine große Rolle und spukt auch in der modernen
Philosophie vielfach umher. Es gehört zu jenen nebulösen Be-
griffen, die ihrer schillernden Unbestimmtheit wegen besonders
für philosophirende Phantasten von großem Werth und deshalb
außerordentlich hindernd für die Klärung der Begriffe gewesen sind.