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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 20.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.13551#0358

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höchste Güte in der möglichst großen geistigen und sittlichen
Erhebung des Menschen über den Naturzustand besteht,
so steht das Streben nach jener mit diesem nothwendig in einem
fortdauernden Kampf; indem er daher genöthigt ist, das blos
Natürliche zu unterdrücken, muß damit auch die Schönheit
selbst, die an der natürlichen Vollkommenheit participirt, geopfert
werden um höherer, rein geistiger Zwecke willen. „Die höchste
Intelligenz und die höchste Sittlichkeit in der vollkommensten
Gestalt" ist daher lediglich ein Widerspruch, und wenn später
wohlweislich nicht mehr hievon, sondern nur noch von der
„schönen Seele im schönen Körper" geredet wurde, so ist damit
eben der Widerspruch eingestanden und aufgedeckt, denn die schöne
Seele ist selber (wenn sich damit überhaupt ein bestimmter
Begriff verbindet) gegen den durch die Kultur discipliuirten Geist
etwas Naturhaftes, keineswegs also im Sinne intellektueller oder
sittlicher Bildung ein Produkt geistigen Strebens. Mit solcher
schönen Seele kann sich daher wohl die körperliche Schönheit
verbinden, aber eine Nothwendigkeit, ein innerer Kausalnexus
waltet keineswegs dabei ob; woraus denn schließlich auch in
dieser Beziehung folgt, daß die Schönheit überhaupt gegen den
Geist etwas Indifferentes sei (im specifischen Sinne des Worts),
nämlich wenn so schlechthin von der Schönheit der Gestalt als
dem Symbol gleichsam oder gar als der Verkörperung geistiger
Vollkommenheit gesprochen wird. Sondern, wenn von geistiger
Schönheit die Rede sein darf, so bedeutet dieser Ausdruck im
strengen Sinne nur Dies, daß die Kategorien der Einheit, Mannig-
faltigkeit, Harmonie u. s. f. aus der sinnlichen Anschaulichkeit auf
die Sphäre der Jntellektualität übertragen werden. In solcher
Weise mag man denn auch von „schönen Seelen" und „schönen
Geistern" sprechen. Etwas ganz Anderes ist jedoch jene gegen
die blos formale Schönheit höhere Stufe der Schönheit, in
welcher sich der Geist oder, wenn man will, die Seele direkt
offenbart, nämlich die Schönheit des Ausdrucks im Blick und
in den Geberden, wie im Rythmus der Bewegung. Aber auch
diese höchste Erscheinung des Schönen ist immer an die Sphäre
des Anschaulichen gebunden. In solchem Sinne sagt man denn,
daß ein an sich häßliches Gesicht einen schönen Ausdruck er-
halte, wenn das Innere von einem erhabenen Gedanken erfüllt
sei, u. s. f. — Diese Bestimmungen hält nun Sulzer nicht
auseinander, sondern vermischt oder verwechselt sie, indem er
schlechthin die äußere Gestalt, sofern sie schön ist, als Ausdruck
eines Innern faßt; und es liegt auf der Hand, daß damit die
Sphäre der Anschaulichkeit, als selbstständigen Gebiets der for-
malen Schönheit überhaupt, gänzlich verlassen ist.

Was Moses Mendelssohn betrifft, so geht er von
dem sich an das Baumgarten'sche Princip anlehnenden Gesichts-
punkt aus, daß die Empfindung der Schönheit im Verhältniß
zu der reinen Erkenutniß des Wesens der Dinge eine Beschränkt-
heit sei und auf Unvermögen beruhe; etwa wie das reine Licht
erst durch die materielle Brechung der Strahlen zur Farbe und
dadurch „schön" wird; nicht in dem Sinne „schön", daß das
Licht weniger schön erschiene, sondern die Kategorien „schön"
und „häßlich" treten überhaupt erst auf, sobald diese Berührung
des Lichts mit der Materie und solche Afficirung desselben durch
dieselbe stattgefunden hat: bis dahin ist das Licht als reines,
überhaupt gegen solche Bestimmung indifferent. — Wenn nun

auch Mendelssohn dies nicht mit solcher Schärfe ausdrückt,
so basiren seine Reflexionen doch wesentlich auf diesem Grund-
gedanken. Daß darin etwas an sich Richtiges liegt, ist gar
nicht zu leugnen; schon die Erinnerung daran, daß, um den
Vergleich sortzuführen, das reine Licht ebensowenig wie die voll-
kommne Dunkelheit zu sehen ist, deutet darauf hin. Denn
das Nicht-Vorhandensein für die Anschauung schließt eben jede
solche Bestimmung wie „schön" oder „häßlich" überhaupt aus.
So handelt es sich auch bei der reinen Erkenntuiß nicht um das
Sehen, d. h. um die mit materiellen Vorstellungen behaftete
Anschauung, sondern um das Denken; und nur wenn der In-
halt dieses Denkens der Vorstellung adäquat gemacht, d. h.
gewissermaaßeu materialisirt wird, tritt statt des Wahren die
Kategorie des „Schönen" auf.

So weit könnte man also Mendelssohn hinsichtlich des
Unterschieds des Vollkommnen von dem Schönen Recht geben.
Indem er nun aber den Accent auf die untergeordnete Stellung
des letzteren gegen das Vollkommne, oder, genauer gesprochen,
auf die Beschränktheit der sinnlichen Anschauung gegen das ver-
ständige Erkennen legt, erscheint ihm das Schöne selbst als ein
Niederes gegen das Wahre, welches letztere er ohne Weiteres
mit dem Guten identificirt. So gelaugt er zu der Forderung,
daß der Mensch, welcher das Schöne nur mittels dunkler Vor-
stellung und sinnlicher Anschauung erkenne, in der Kunst die
Aufgabe habe, es dadurch zu einer höheren Stufe zu erheben,
daß er es mit dem Gehalt des Wahren und Guten erfülle,
um es dem höchsten Vollkommnen gleichsam analog zu machen.
Diese Forderung führt ihn denn ebenfalls schließlich dazu, der
Kunst einen ethischen Zweck zu octroyiren, so daß sie geradezu
in seinem Sinne einen fast pädagogischen Charakter erhält. Je
mehr die Kunst diesem Zweck dient, desto nützlicher sei sie, und
desto höher auch ihre (künstlerische) Schönheit. Hiemit läuft
also sein Reflektiren ebenfalls in die seichte Bahn der moralischen
Betrachtung aus, auf welcher allerdings für die Erkenntuiß des
wahren Begriffs der Schönheit kein Heil zu erwarten ist.

Moritz, obschon nach einer Seite hin zu Mendelssohn in
Opposition stehend, befindet sich doch im Ganzen auf demselben
Standpunkt tendenziöser Vermittlung. Er schlägt sich viel mit
den 4 Kategorien des „Nützlichen", „Edlen", „Guten" und „Schö-
nen", sowie mit der Frage nach ihren niöglichen Verbindungen
herum, ohne hinsichtlich des Schönen zu einem andern Resultat
zu gelangen, als daß es überhaupt nicht erkannt, sondern nur
hervor gebracht und empfunden werden könne. Dann
aber, wozu darüber reden? Allein er ist sich selbst nicht konse-
quent, denn, indem er die sogenannte „Seelenschönheit" mit dem
Begriff des „Edlen" identificirt, vergesellschaftet er jene mit der
körperlichen Schönheit, indem er bemerkt: „Insofern nun aber
die äußere Schönheit zugleich mit ein Abdruck der inneren
Seeleuschönheit ist, faßt sie auch das Edle in sich, und sollte
es ihrer Natur nach eigentlich stets in sich fassen". Das
heißt entweder: Wenn ein Mensch zugleich schön und edel ist,
so kann man seine Schönheit als einen Ausdruck seines inneren
Adels betrachten (was bloße Selbsttäuschung wäre), oder:
Wo äußere Schönheit vorhanden ist, muß man auf ein edles
Innere schließen (was schon durch den Zusatz, daß es immer so
sein sollte, selber widerlegt wird). Aber abgesehen von dem
 
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