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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0192

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r. Standort der Schauspieler und des Chores.

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Allerdings sind aus diesen Zeugnissen bisher sehr verschiedenartige Schlüsse ge-
zogen worden. Und es ist natürlich, dass über Art und Grad der durch Spiel
und Dekorationen erreichten Illusion den individuellen Vorstellungen immer ein
gewisser Spielraum bleiben wird. Aber über die Anordnung des Spielplatzes
und die Grundform der Skene muss aus der Ökonomie der erhaltenen Dramen
um so sicherer ein Aufschluss zu gewinnen sein, als willkürlichen Vermutungen
durch die Form der jüngeren Steinbauten feste Grenzen gezogen sind.

Da das Theater geschaffen wurde, um dem Drama zu dienen, so muss seine
Anlage in erster Linie von den Zwecken und Bedürfnissen des Dramas bestimmt
worden sein; sie muss sich also aus den Zwecken und Bedürfnissen der erhaltenen
Dramen auch wieder erschliessen lassen. Dabei bleibt aber noch die Möglichkeit
zu erwägen, dass aus älteren Zeiten gewisse conventioneile Einrichtungen erhalten
geblieben sein könnten, mit denen das entwickelte Drama als mit etwas fest
Überkommenem zu rechnen gehabt hätte. Wir müssen daher zunächst einen Blick
auf die Vorstufen des Dramas werfen, um festzustellen, unter welchen Bedingungen
die Aufführungen der älteren Epoche stattgefunden haben. Wir haben hier nur das
chorische Drama ins Auge zu fassen und können daher die Vorgeschichte der
Komödie um so mehr bei Seite setzen, als für die Entwicklung des Theaters, wie
nicht bezweifelt werden kann, nur die Tpaywot x°P0'1 Bedeutung gewonnen haben.
Wenn in Attika wie anderswo in älteren Zeiten possenhafte Dialogscenen ohne
Chor aufgeführt worden sind, so mögen für solche Darstellungen besondere Ein-
richtungen geschaffen worden sein; für die entwickelte Komödie aber, in der die
Gesänge der xü)|j.q)§oI mit den dialogischen Scenen zu einer festen äusseren Einheit
verschmolzen sind, kommen dieselben Erfordernisse in Betracht, wie für die Tra-
gödie, deren Kunstform für die spätere Entwickelung der Komödie vorbildlich
geworden ist.

Der Versuch, die Vorstufen darzustellen, durch welche die einem mimetischen
Dithyrambus vergleichbaren Dichtungen der Tpaywol "/opol hindurchgegangen sind,
muss der Literaturgeschichte überlassen bleiben. Für die Fragen, die uns hier
beschäftigen, ist von grundlegender Bedeutung die Thatsache, dass die Gesänge
und Tänze eines costümirten Chors den Kern der älteren «tragischen» Dichtungen
bildeten. Diese konnten also nur auf einem für chorische Tänze geeigneten Platz,
auf einer kreisrunden 'opyr^-xpa, vorgeführt werden. Da die TpaYty.ol -/_opo\ ebenso
wie die dithyrambisch-lyrischen Chöre in engster Beziehung zum Cultus standen,
so müssen sie auf Tanzplätzen aufgeführt worden sein, die in einem grösseren
heiligen Bezirk lagen oder selbst durch einen besonderen Altar als geheiligte
Stätten bezeichnet waren. In wie weit die Tanz-Schemata dieser Chöre in ihren
Grundformen den Tanzbewegungen der dithyrambisch-lyrischen (nicht mimetischen)
Chöre ähnlich waren oder sich von ihnen unterschieden, hat sich bisher nicht
ermitteln lassen.

Ein bestimmteres Bild von den Anfängen der dramatischen Kunstform ge-

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