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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0364

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A. Widerlegung der Gründe für eine Bühne. Technische und ästhetische Gründe. 349

Als weiterer Grund für die Erhöhung des Spielplatzes ist neuerdings das
ästhetische Bedürfnis nach einem unteren Abschlüsse desselben genannt worden
(Bethe, S. 220). Da der Spielplatz seitlich und oben abgeschlossen gewesen sei,
habe «das ästhetische Bedürfnis» auch «einen unteren Abschluss gebieterisch ge-
fordert». Nun ist es zunächst nicht richtig, dass der Spielplatz oben abgeschlos-
sen war; denn einen Schnürboden, also einen oberen Abschluss des Spielplatzes
hat das griechische Theater niemals gehabt. Aber auch der seitliche Abschluss
ist durchaus kein vollständiger gewesen, denn wenn auch der Platz zwischen den
Paraskenien nicht immer ganz von den Schmuckbauten des Hintergrundes ein-
genommen wurde, und daher zum Teil mit als Spielplatz diente, so war doch
der Plauptspielplatz der unmittelbar vor der Skene gelegene Teil der Orchestra,
deren Kreislinie gerade deshalb fast in keinem Theater (die einzige Ausnahme
bildet das Theater von Epidauros) vor der Skene sichtbar gewesen ist. Also
hätte höchstens der hintere Teil des Spielplatzes durch die Paraskenien einen
seitlichen Abschluss erhalten. Daran ändert sich nichts, wenn wir für die An-
fangsscenen einiger Dramen des V. Jahrhunderts einen Vorhang annehmen, denn
ein solcher sollte nicht den ganzen Spielplatz abschliessen, sondern war ent-
weder nur zwischen den Säulen des eine Vorhalle bildenden Proskenion oder zwi-
schen den vorspringenden Paraskenien ausgespannt (vgl. S. 253). Sobald er ent-
fernt war, konnten die Schauspieler, ebenso wie es heute auf unseren Bühnen oft
geschieht, weiter vortreten auf den eigentlichen Spielplatz.

Aber selbst wenn der seitliche Abschluss des Platzes ein vollständigerer
wäre, als er in Wirklichkeit gewesen ist, so war dadurch noch keineswegs ein
unterer Abschluss bedingt. Das ästhetische Gefühl musste es unseres Erachtens
vielmehr streng verbieten, den grossen und einheitlichen Spielplatz durch Stufen
in zwei Teile von verschiedener Höhe zu zerlegen, in Teile, die äusserlich ge-
schieden waren, obwohl sie innerlich ein Ganzes bildeten.

Dass endlich die aus den erhaltenen Denkmälern abgeleiteten Beweis-
gründe für eine erhöhte Bühne ebenso wenig stichhaltig sind, wie die aus all-
gemeinen Erwägungen geflossenen, geht aus unseren Darlegungen im L, II. und
VI. Abschnitt hervor. Dass der Nachweis einer griechischen Bühne im Theater
von Megalopolis sich auf irrtümliche Voraussetzungen stützt, ist S. 142 gezeigt
worden, und dass die Bühnen auf unteritalischen Vasenbildern aus den beson-
deren Theaterverhältnissen Italiens zu erklären sind, und mit dem Theater Grie-
chenlands und dem chorischen Drama nichts zu thun haben, ist S. 326 aus-
einandergesetzt.

Damit dürften die wichtigsten Beweise, die für das Vorhandensein einer
griechischen Bühne angeführt zu werden pflegen, besprochen und widerlegt sein.
Weder die Dramen des V. und IV. Jahrhunderts, noch die übrige alte Litera-
tur, weder die erhaltenen Monumente, noch die Abbildungen antiker Theater,
weder optische noch ästhetische Gründe haben zu ihren Gunsten ausgesagt. Wir
sind daher zu dem Schlüsse berechtigt, dass ihr Vorhandensein nicht erwiesen ist.
 
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