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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0385

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370

VIII. Abschnitt. Die Entwickelungsgeschichte des griechischen Theaters.

das Zusammenspiel zwischen den beiden Schauspielern und dem Chore keine
Veranlassung bot, die Art des Spiels von Grund aus zu ändern und die Schau-
spieler von dem Chore getrennt auf eine Bühne zu heben, ist oben S. 179 und
192 dargelegt worden.

Hat demnach die' Einführung des zweiten Schauspielers keine Änderung des
Spielplatzes hervorgerufen, so ist von einer anderen, wirklich eingreifenden und
folgenschweren Neuerung zu berichten, welche von Aischylos in der ersten Hälfte
des V. Jahrhunderts eingeführt wurde. Sie bestand in der Errichtung einer Ske-
n e, eines Spielzeltes, welches neben der Orchestra aufgeschlagen wurde, und
hat, so unscheinbar sie auf den ersten Blick auch sein mag, einen sehr gros-
sen Einfiuss auf die Gestaltung des Spielplatzes und auf die Entwickelung des
Theaterspiels überhaupt gehabt.

Auch nach Einführung des zweiten Schauspielers war die Handlung der
Dramen eine beschränkte geblieben. Die Schauspieler konnten zwar unter sich
und mit dem Chore sprechen, sie vermochten auch aus der Orchestra abzutre-
ten und wieder zu erscheinen, aber die Handlung war gebunden und konnte
sich nicht frei entwickeln. Der Ort der Handlung war gewöhnlich ein heiliger
Bezirk vor der Stadt. Wenn die abtretenden Personen in die ferne und nicht
sichtbare Stadt gehen mussten, so entstanden stets längere Pausen, ehe sie wie-
der erscheinen konnten, Pausen, die man durch Chorgesänge ausfüllen musste.
Die wichtige Neuerung, welche Aischylos einführte, bestand nun darin, dass er
durch einen provisorischen Bau, den er neben der Orchestra errichten liess,
diese aus dem Platz im heiligen Bezirk in irgend einen anderen Ort verwan-
delte. Dieser nur für das eine Stück aus Holz und Zeug errichtete Bau hiess
nach griechischem Sprachgebrauch «Skene», also Zelt oder Haus.

In den «Schutzflehenden» des Aischylos ist der Ort der Handlung noch
ein heiliger Bezirk mit einem grossen Altare und in den «Sieben vor Theben»
ein freier Platz mit Götterbildern, ohne dass irgend ein künstlicher Hintergrund
als Abschluss des Spielplatzes vorhanden wäre. In anderen, jüngeren Dramen ist
dagegen durch Errichtung einer Skene, die z. B. einen Königspalast oder ein
Zelt darstellt, der alte Tanzplatz des heiligen Bezirks in einen Vorplatz vor
dem Königspalaste oder vor dem Kriegszelte verwandelt (s. S. 195).

Diese Neuerung ist gewiss nicht plötzlich und mit einem Schlage erfunden
und durchgeführt worden, sondern wir werden eine allmähliche Entwickelung
anzunehmen haben. Zuerst wurde der Altar in der Mitte der Orchestra für das
Spiel benutzt, dann wurde vielleicht ein grösserer Altarbau oder ein Grabmo-
nument ausserhalb des Tanzplatzes an seiner vierten freien Seite errichtet; darauf
ging man dazu über, diesen Altarbau durch ein wirkliches Zelt zu ersetzen und
schliesslich wurde sogar ein grosses, mit Säulen geschmücktes Haus als Königs-
palast neben dem Kreise aufgebaut.

Das Material, aus dem die Skene hergestellt wurde, bestand in hölzernen
Pfosten, deren Zwischenräume mit Brettern, Leinwand, Teppichen und Fellen
 
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