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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Frobenius, Leo: Terrakotten von Ife
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0032

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TERRAKOTTEN VON IFE

Im Jahre 1484 entdeckte Diego Cäo in der Guineabucht nahe der Nigermündung das Reich
Benin, dessen Hauptstadt in den darauf folgenden Jahrhunderten einer der wichtigsten
Sklavenhandelsplätze wurde. Im Jahre 1897 zerstörten die Engländer die Stadt Benin, die mit
Menschenopfern und großartigen Zeremonien immer noch eine Burg der starken, alten Re*
ligion geblieben war. Die Eroberer fanden bei der Einnahme bedeutende Mengen von teil*
weise sehr gelungenen Messinggüssen, die unter dem irreleitenden Namen »Beninbronzen«
sich bald einen Weltruf erwarben. Erst im Jahre 1910 gelang es unserer Expedition in der
einige Tagemärsche von Benin entfernten Ruinenstadt Ife die eigentliche alte Kunst der vor*
portugiesischen Zeit mit ihren Porträts und Individualisierungen wiederzufinden und so nach*
zuweisen, daß die gänzlich unpersönlichen, zumeist quantitätsmäßig zu bemessenden Benin*
»bronzen« eine junge, durch massenhaften Zufluß von Manilla (Messing*)Geld hervor*
gerufene Epigonenkunst ist, die die Technik beherrschte, das Wesen der persönlichen Kunst
aber einbüßte.
Schon ein unverkennbares äußeres Merkmal zeigt den großen, auch periodenmäßigen Ab*
stand der Ife*Terrakotten von den Beniner Gelbgüssen. Die Augen der Ife*Funde sind blind,
sind noch ohne Pupille; alle Beningüsse sind sehend, mit innerem Pupilleneinschnitt versehen.
Es ist dies ein nur scheinbar geringfügiges Merkmal, das aber sogleich an Bedeutung gewinnt,
wenn beachtet wird, daß das gleiche Symptom die Werke früher griechischer und später
römischer Kunst scheidet. Dieses eine Symptom kann zum Kriterium werden, und auch für
ein Auge, dem seelenhafte Kunstdifferenzierung nicht zugänglich ist, die großen Unterschiede
fundamentaler Natur erschließen.
Dieses eine Symptom stellt die Ife*Köpfe aber nicht nur den Beningüssen, sondern der gan*
zen heutigen Kunst Afrikas gegenüber. Die heutige afrikanische Kunst ist so ziemlich überall
zur Pupillendarstellung übergegangen, und Belege der Ifekunst sind auch für »alte« Stücke
selten geworden.
Diese »klassische« Ifekunst tritt aber nicht als ein verlorenes, vereinzeltes Symptom auf. Sie
tritt mit ihrem geistigen Gehalt aus einem großartigen Weltanschauungsgebäude hervor, das
auch wieder nur auf die geographische Umwelt unserer Ausgrabungsfunde beschränkt und
im übrigen Afrika nur in schlimm verkümmerten Überbleibseln nachzuweisen ist. Zu den
Ife*Köpfen gehört eine gewaltige, harmonisch und organisch gefügte Götterlehre, eine tekto*
nische Weltanschauung, in der die Überlieferungen einer Urzeit sich bis in das heutige Clan*
und Sippenleben, bis in feine philosopische Meditationen, in eine wohlgeordnete Farben* und
Zahlensymbolik, in das Rechts* und Staatsleben wirklichkeitsstark und entscheidend äußert.
Und noch weiter kann darauf hingewiesen werden, daß wie alles, so auch die Architektur
aus dem Rahmen einer geschlossenen, sicherlich imposanten Vergangenheit heraus, aus Le*
bendigem, wie aus Ruinenfunden als eine dem übrigen Afrika heute nicht mehr zugängliche
Großartigkeit emporsteigt. Mächtige Impluvialbauten mit eingefügten Tempeln und Altären,
gebrannten Kacheln und auch feineren Steinskulpturen, — alles im Gegensatz zu dem heu*
tigen epigonenhaften afrikanischen Lehm* und Holzstil.
Diese Terrakotten sind Symbole einer großen Vergangenheit, einer organischen Hochkultur
mit tektonisch ausgeglichener, weitmaßiger Weltanschauung, großzügiger Architektur, mäch*
tigern, auch geographisch weit ausspannendem Gemeinschaftsleben und einem klassischen
Adel, — alles Züge, deren Reste uns noch auf der atlantischen Küste Afrikas nachgewiesen
werden können. Leo Frobenius

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