AUFERSTEHUNG
FRIEDRICH ALFRED SCHMID NOERR
Uns Zeitgenossen, uns von dem gedruckten Wort Erzogenen, uns, eige?
nen Tiefen des Erlebens kaum noch vorstellbar Entfremdeten, mag es
am Gängelbande der Kulturgeschichte noch gelingen, uns aus dem
äußerlichen Wissen allenfalls zurückzutasten bis zu einem überlegenden Er*
fassen menschlich?urtümlicher Erlebnisweise im allgemeinen, daran wir, als
Auch^Menschen, irgend einen Anteil spüren.
Solch ein urtümliches Erlebnisgleichnis birgt der Mythos von der Aufer?
stehung. Der Auferstehungsgedanke setzt die Erfahrung des Sterbens und
Zurückgebettetwerdens in den Schoß der ungestaltigen Natur voraus. Somit
sind alle Sinnbilder der Auferstehung nur Krönungs? oder Lösungssymbole
an jenem großen Symbolkomplex, den der Mythos vom Tode, der mäch?
tigste Mythos unter den Menschen, aus sich hervorblühen gemacht hat.
Diese Sinnbilder wechseln wohl je nach ihrer Zeit# und Ortsgebundenheit.
Aber durch die Gemeinsamkeit des ihnen innewohnenden Symbolwillens,
dem allein die Natur Gegenstand seiner Sinnbildschöpfungen sein kann,
streben sie, jedes unter anderem Gestirn gestaltet, jedes fremd dem Andern,
doch so zum Andern, daß aus dem Vielklang endlich Einklang auftönt.
WIEDERGEBURT
I
Die Lebenszeit des Menschen gleicht dem Tag. Bewußtsein seiner selbst, sein
königlich mit ihm geborenes Recht, erhellt ihm seinen Weg: anfänglich, tief
am Horizont des Aufgangs, kindlich dämmernd erst; dann, mit dem Auf?
stieg eines Sonnengotts, aus hohem Himmel der gereiften Stirn mit Augen
leuchtend, die das weite Rund der irdischen und geistigen Welt durchdringen.
Am Abend aber, wenn sich Müdigkeit selbst auf die Brauen hoher Götter
senkt: dann neigen sich des Menschen Augen auch; und sein Verscheiden ist
ein Sonnenuntergang.
Der Tod des Menschen gleicht dem Übergang zur Nacht. Nun ist die Leuchte
seiner Herrlichkeit, sein Sonnendch, am Gegenhorizont ins Nachtmeer ein?
getaucht. Verschwunden ist ein Tag, den nichts mehr wiederbringt.
Nichts mehr? Nicht doch vielleicht ein Schicksal, jenem gleich, das den ver?
wandten Sonnengott, den Vater, wiederbringt an jedem Morgen eines neuen
Tags? Der Sonnengott stirbt in die Nacht wie er. Jedoch: er stirbt nicht. Er
durchmißt sie nur; wenn auch dort drunten seines Glanzes, seiner Macht
beraubt, so dennoch unbesiegbar schreitend bis zum Gegentor, wo er, ent?
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FRIEDRICH ALFRED SCHMID NOERR
Uns Zeitgenossen, uns von dem gedruckten Wort Erzogenen, uns, eige?
nen Tiefen des Erlebens kaum noch vorstellbar Entfremdeten, mag es
am Gängelbande der Kulturgeschichte noch gelingen, uns aus dem
äußerlichen Wissen allenfalls zurückzutasten bis zu einem überlegenden Er*
fassen menschlich?urtümlicher Erlebnisweise im allgemeinen, daran wir, als
Auch^Menschen, irgend einen Anteil spüren.
Solch ein urtümliches Erlebnisgleichnis birgt der Mythos von der Aufer?
stehung. Der Auferstehungsgedanke setzt die Erfahrung des Sterbens und
Zurückgebettetwerdens in den Schoß der ungestaltigen Natur voraus. Somit
sind alle Sinnbilder der Auferstehung nur Krönungs? oder Lösungssymbole
an jenem großen Symbolkomplex, den der Mythos vom Tode, der mäch?
tigste Mythos unter den Menschen, aus sich hervorblühen gemacht hat.
Diese Sinnbilder wechseln wohl je nach ihrer Zeit# und Ortsgebundenheit.
Aber durch die Gemeinsamkeit des ihnen innewohnenden Symbolwillens,
dem allein die Natur Gegenstand seiner Sinnbildschöpfungen sein kann,
streben sie, jedes unter anderem Gestirn gestaltet, jedes fremd dem Andern,
doch so zum Andern, daß aus dem Vielklang endlich Einklang auftönt.
WIEDERGEBURT
I
Die Lebenszeit des Menschen gleicht dem Tag. Bewußtsein seiner selbst, sein
königlich mit ihm geborenes Recht, erhellt ihm seinen Weg: anfänglich, tief
am Horizont des Aufgangs, kindlich dämmernd erst; dann, mit dem Auf?
stieg eines Sonnengotts, aus hohem Himmel der gereiften Stirn mit Augen
leuchtend, die das weite Rund der irdischen und geistigen Welt durchdringen.
Am Abend aber, wenn sich Müdigkeit selbst auf die Brauen hoher Götter
senkt: dann neigen sich des Menschen Augen auch; und sein Verscheiden ist
ein Sonnenuntergang.
Der Tod des Menschen gleicht dem Übergang zur Nacht. Nun ist die Leuchte
seiner Herrlichkeit, sein Sonnendch, am Gegenhorizont ins Nachtmeer ein?
getaucht. Verschwunden ist ein Tag, den nichts mehr wiederbringt.
Nichts mehr? Nicht doch vielleicht ein Schicksal, jenem gleich, das den ver?
wandten Sonnengott, den Vater, wiederbringt an jedem Morgen eines neuen
Tags? Der Sonnengott stirbt in die Nacht wie er. Jedoch: er stirbt nicht. Er
durchmißt sie nur; wenn auch dort drunten seines Glanzes, seiner Macht
beraubt, so dennoch unbesiegbar schreitend bis zum Gegentor, wo er, ent?
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