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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Deubel, Werner: Das neue Weltbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0135

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DAS NEUE WELTBILD
WERNER DEUBEL

Gegenstand der Kunst ist das Hintersinnliche, das Metaphysische, das
durch die Dinge wie durch ein Transparent hindurchleuchtet, das
Ungegenständliche, das »Bild«. Mag es immerhin nach den Grund#
sätzen der Analytik eine Inkonsequenz gegen das erkenntnistheoretische
System Kants bedeuten, sicher ist, daß gerade seit Kant hinter den Ober#
flächenerscheinungen der »Dinge« und »Gegenstände« immer wieder eine
metaphysische Substanz, ein dem tagwachen Verstände unzugängliches
Weltelement postuliert wurde. In diese »intelligible Welt«, für die die Dinge
nur Symbol sind, zielt, als in seine eigentliche Region, der künstlerische
Trieb.
Wenn irgend dem »Expressionismus« etwas als Verdienst anzurechnen ist,
so muß es das sein, diesen Tatbestand mit begeisterter Dialektik ans Licht
gestellt zu haben. Die Frage ist nur, oder vielmehr wird es für die gegen#
wärtige Kunst eine Frage, welcher Weg zum Metaphysischen führe. Allen
vergangenen Zeitaltern, versunkenen Kunstepochen führte dieser Weg über
oder vielmehr durch das Bild der Welt. Dem Künstler wandelte sich in
jenem besonderen Zustande des Anschauens dieses Bildes, den Schopen#
hauer die »Kontemplation«, Schiller die »musikalische Stimmung« nennt,
ein Teil der gegenständlichen Welt zum Urbild des Universums, ein Ding
zur »Rune des Alls«. (L. Klages.)
Unter dem Zwange dieser Notwendigkeit stand selbst eine Kategorie der
Kunst, als deren geschworenen Widerpart sich die neue Kunst fühlen muß,
die man wegen der relativen Anpassung ihrer Erzeugnisse an die Welt
der Gegenstände den »Naturalismus« zu nennen pflegt. Den photo#
graphischen und grammophonischen Naturalismus hat es bekanntlich nie
gegeben, vielmehr zeigt sich auch bei naturalistischen Künstlern immer ein
nach irgend einer Seite hingetürmtes Übersteigern, ein Überwinden und
Hinter#sich#lassen der Gegenstandsbestimmtheit, das ein Fanatiker wie Zola
als Fälschung empfand, wozu er denn freilich den Grund irrig sah in einem
psychologischen Moment, nämlich im künstlerischenTemperament, während
das treibende Motiv dieser Umwandlung ohne Frage tiefer, als in den Dingen
oder vielmehr hinter den Dingen liegend, zu suchen ist. Weit mehr ist es
eine Sache des Geschmacks oder der persönlichen Wesensart des Künstlers,
wie sehr seine Seele geneigt ist, in den Dingen der Welt überhaupt Tatsäch#
lichkeiten anzuerkennen, wieviel auf dem Wege zum Hinterdinglichen von
den Dingen an ihr haften bleibt. Es gibt und hat zu allen Zeiten Künstler

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