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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Bagier, Guido: Realisation der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0327

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REALISATION DER MUSIK
GUIDO BAGIER
Die Apotheose der Tonkunst durch Arthur Schopenhauer brachte
eine lächerliche Popularisierung der Musik. Die Formel vom meta#
physischen Höhepunkte dieser Kunst gegenüber allen Schwester#
künsten führte zu einer Reihe dünkelhafter Mißverständnisse, die, ungeistig
im direkten Verhältnis zur geistigen These des großen Philosophen, die Ge#
fahr gänzlicher Verflachung heraufführte. Man wurde intellektuell; wenn
selbst ein Richard Wagner eine theoretische Grundlegung seines musi#
kalischen Dramas für nötig hielt, — eine Grundlage, die mit seiner eigent#
liehen Intuition nicht das Geringste zu tun hat! — so wuchs die Spekulation
bei kleineren Geistern ins Uferlose. Die Lehren der Romantik, die immer
sorgsam erfühlte, nicht erdachte Dialektik Robert Schumanns, wurden
glatt überrannt. Als letztes Zeugnis prinzipiellen Widerspruchs zwischen
Theorie und Wirklichkeit schrieb Arnold Schönberg die einleitenden
Kapitel seiner Harmonielehre, dieser unerschöpflichen Fundgrube amü#
santer, harmonischer Negationen und zerschlagender Lehrsätze.
Meines Wissens ist nur von einem, von Friedrich Nietzsche jene »Kar#
dinalfrage« aufgeworfen worden: Wohin gehört unsere ganze Musik?
Er schreibt in seinem »Willen zur Macht«: »die Zeitalter des klassischen
Geschmacks kennen nicht der Musik Vergleichbares: sie ist aufgeblüht, als
die Renaissance #Welt ihren Abend erreichte, als die ,Freiheit' aus den Sitten
und selbst aus den Menschen davon war: — gehört es zu ihrem Charakter,
Gegenrenaissance zu sein? Ist sie die Schwester des Barokstils, da sie
jedenfalls seine Zeitgenossin ist? Ist Musik, moderne Musik, nicht schon
decadence? ...«
Die Bedeutung dieser Frage für die Gegenwart ist grundlegend. Es ist falsch,
stilistische Parallelen zwischen der Musik und den anderen Künsten ohne
weiteres anzunehmen, wie es falsch ist, das Wort des in diesem Falle ein#
seitig orientierten Robert Schumann zu unterschreiben: »Die Ästhetik
der einen Kunst ist die der anderen, nur das Material ist verschieden«. So
wahr die Konzeption eines Kunstwerkes seiner Ausführung um seelische
Jahrzehnte vorausgeht, so wahr führt die Musik um ein Jahrhundert, seit#
dem sie einmal abendländisch im Quatrocento erwachte. Nicht die subjek#
tive Bindung eines Mozart an Louis Seize, eines Bach an den Barock, eines
Beethoven an die französische Aufklärung, eines Wagner an Makartstil
und sagenhafte historische Draperie, eines Richard Strauß an Naturalis#
mus und fin#de#siede#Sorgen ist hier gemeint, sondern die vom Autor

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