Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

DOI Artikel:
Deubel, Werner: Die Renaissance der Zukunft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0326

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
als pulsende Herzmitte dem Organismus einer künftigen Kultur zentral
eingegliedert, und damit ist die Hoffnung wieder möglich geworden auf
eine allgemeine Lebensgesinnung, aus der eine neue Lebensreligion wird
wachsen können.
Man kann an den Menschen glauben, weil man an die Götter zu glauben
aufgehört hat, und dies war die Weise der Geistrenaissance, der Aufklärung
und Klassik. Und man kann an den Menschen wieder glauben, weil er
seelenlebendiger Teil des Allebens und ein Geschöpf der Götter ist. Der
klassische Mensch vermochte sich auf der Erde heimisch zu machen in dem
Glauben, sich selbst Genüge zu tun. Gegen das Meer des Übermenschliche
Lebendigen hatte er sich schützende Schranken und Dämme gebaut. Der
kommende Mensch wird das unmenschliche Element wieder anschauen und
anbetend verehren, von göttlichen Schauern überwältigt, aber auch zum
Bersten gefüllt mit der Sehnsucht des Nie;zu*erreichenden. »Huldige dem
Genius einmal, und er achtet dir kein sterblich Hindernis mehr und reißt
dir alle Bande des Lebens entzwei,« singt der tragische Hölderlin. Aber
auch sein ewiges Gegenbild Goethe wird für die Renaissance der Seele in
neuem Sinne als Symbol eines großartigeren Menschentums erstehn, das
der Goetheschen Kraft zur Harmonie und Bindung fähig ist und dennoch
eine Hölderlinsche Seele nicht heimatlos macht. Öder —? Liegt hier eine
metaphysische Gegensätzlichkeit von unerbittlicher Härte? So soll uns auch
diese Tragik noch mit heroischen Schauern das Dasein erhöhn, und wir
schreiten in das Dunkel der Zukunft hinein, wie unser Planet bedeckt mit
Narben von Wunden, die der Geist ihm schlug, von furchtbaren Erfahrungen
enttäuscht, aber dennoch tragisch gefaßt und erhobenen Hauptes in der
neuen Gewißheit, nicht mehr in Fehde zu ziehn gegen die Götter des Lebens,
sondern ihre Geschöpfe und vertrauten Kinder zu sein.
»Denn es hallt hinab
Am Berge das Gewitter, sieh! und
Klar, wie die ruhigen Sterne, gehen
Aus langem Zweifel reine Gestalten auf.« (Hölderlin)

¥

312
 
Annotationen