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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Wolfradt, Willi: Übergegenständlichkeit des Kunstwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0150

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ÜBERGEGENSTÄNDLICHKEIT
DES KUNSTWERKS
WZZZ WOLFRADT
leichwie es widersinnig wäre, den Begriff einer absichtslosen Politik
zu bilden, wird man den heute allgemein beliebten und gebrauchten
einer gegenstandslosen Kunst ablehnen müssen. Objektbezogen
zu sein, ist künstlerischem Schaffen und Vorstellen wesentlich. Freilich meint
man wohl nicht, was man sagt, denkt dabei vielmehr an eine Kunst, die nicht
Nachbildung eines empirisch gegebenen Gegenstandes, eines in der realen
Welt Vorhandenen ist, sondern deren Gegenstand anderer, freierer, subjek#
tiverer Natur ist, entstofflicht und vergeistigt. Ein abstraktes Ornament ist
gewiß nicht gegenstandslos, vielmehr ist die bestimmte Art der Linien#
schlingung und Farbverteilung eben ihr Thema, ihr Vorwurf, ihr schon vor
dem Hinmalen mindestens im Vorstellungsleben des Künstlers existenter
Gegenstand. Gleichwohl erhellt die Andersartigkeit dieses Objekts gegen#
über etwa einem mythologischen Thema oder Hummernstilleben, erhellt die
besondere Gegenständlichkeit einer diese getreu und sofort erkennbar illu#
sionierenden künstlerischen Darstellungsweise.
Also nur im besonderen, nun geklärten Sinn ist von Gegenständlichkeit zu
sprechen statthaft. In diesem Sinne aber ist die Einschränkung, der Idee
nach die Vermeidung der Gegenständlichkeit das Wesensgesetz
aller Kunst. Die Auflösung des Stofflichen in einem Thema höherer Ord#
nung macht die Natur des Kunstwerks eben aus und unterscheidet es von
panoramatischer Wiederholung, von prosaischem Weltverhalten und seinen
Ausdrucksgestaltungen. Abstreifung der Gegenständlichkeit ist unmöglich,
aber Überwindung, Resorbierung, Idealisierung des Gegenstandes in seiner
ersten Form, in seiner natürlichen Gegebenheit ist, Grunderfordernis, so daß
ein Bild freilich stets etwas darstellt (und wäre es die Rundheit eines Kreises),
aber stets und eben darin mehr tun muß als lediglich abbilden (und wäre
es einen Kreis). Dieses Gesetz möchte man, nicht ganz präzise, nun aber
doch mit klarem Wort, das der Übergegenständlichkeit des Kunst#
werks nennen.
Künstlerisches Schaffen besteht in der Umsetzung eines Gegebenen in ein
Ergebnis. Gegeben kann nun Dies oder Jenes sein. Vor einem Abend#
mahlsbilde erhebt sich die Frage: was war hier gegeben? Die Abendmahls#
geschichte, wie sie die Bibel erzählt, oder bereits eine vorgestellte Szene?
Oder etwa, eine andere Schicht aufzusuchen, das reale Sitzen Christi und
der Jünger um einen Tisch? Ist das die Ausgangsgegebenheit? Oder halten


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