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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Wolfradt, Willi: Übergegenständlichkeit des Kunstwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0151

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wir ein Porträt vor Augen,— was stellt es dar: Herrn Soundso? In welcher
Zone seiner Persönlichkeit? Sein Schicksal, seine Interpretierung eines Typus,
seine Verkörperung eines psychologischen Begriffs? Seine Idee? Vielleicht
gar nicht ihn, nicht eigentlich ihn, sondern einen Farbakkord, eine rhyth#
mische Stimmung allgemeinster Art, der als Folie zu dienen dies Antlitz
berufen wurde?
Wenn der naive Beschauer vor modernen Bildern verlegen gesteht, er könne
nicht erkennen, was eigentlich dargestellt sei, so soll man diese Klage nicht
belächeln. In solchem Anspruch liegt einmal die, wenn vielleicht auch nur
halb bewußte, Einsicht, daß unter allen Umständen etwas dargestellt sein
müsse. Es ist falsch, diesen Anspruch zurückzuweisen mit der Behauptung,
es müsse keineswegs etwas dargestellt sein, — wie man es ja oft hören und
lesen kann, und zwar meistens unter Berufung auf das musikalische Kunst#
werk, welches auch nichts darstelle, sondern ungegenständlich sei. In Wahr#
heit stellt allerdings auch die Tonkunst stets etwas dar, im genau gleichen
Sinne wie die anderen Künste, wenn auch auf eigene Art. Man wird also
dem Betrachter, der verzweifelt, weil er nicht erkennt, was dargestellt sei,
vielmehr zeigen müssen, was dargestellt ist, wird ihm den Gegenstand des
betreffenden Kunstwerkes nachzuweisen haben. Aber dieser Anspruch be#
deutet weiterhin, daß sich der fragende Betrachter in falschen Vorstellungen
bezüglich der Natur des künstlerischen Gegenstandes bewegt, in denselben
falschen Vorstellungen, wie sie jenen Theoretiker beirren, der die Emanzi#
pation vom Gegenstand für eine Angelegenheit der künstlerischen Qualität
ansieht. Es hat tiefe Schwierigkeiten, des tatsächlichen Gegenstandes an#
gesichts eines Bildes habhaft zu werden, und zwar darum, weil das Bild
nicht ein für allemal dieses oder jenes Bestimmte zum Gegenstand hat,
sondern sein Gegenstand erst durch die Interpretation des Betrachten#
den jeweils statuiert wird. Nur dieser kann z. B. bei einem Abendmahlsbild
Geschichte oder Szene oder realen Vorgang als Thema, als Vorlage annehmen.
Vielleicht könnte man im rein psychologischen Sinn feststellen, was dem
Maler Ausgangsgegebenheit war. Ein Kunstwerk interessiert uns jedoch erst
in letzter Linie als Ergebnis psychischer Vorgänge, welche wir aus ihm ab#
lesen; es bedeutet uns vor allem einen Sinngehalt für uns selbst, und als
solcher hat es diejenige gegenständliche Basis, die wir ihm geben. Gegen#
stand und Ergebnis befinden sich zwar im Verhältnis fester Relation zuein#
ander; wo aber es sich aktualisiert, an welcher Stelle des Stufenbaus der
Möglichkeiten der Abstand von Gegenstand und Ergebnis, also das Schaffen,
abnahm, welche Stelle als Gegenstand fixiert wird, das entscheidet erst der
schauende Mensch, zu dem das Kunstwerk spricht.
Es ist demnach in jedem Kunstwerk etwas dargestellt, aber erkannt kann es

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