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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Kayser, Rudolf: Gedanken zu einer Philosophie der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0146

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GEDANKEN ZU EINER PHILO*
SOPHIE DER DICHTUNG
RUDOLF KAYSER
Darstellung des Menschen in der zusammen«
hängenden Reihe seiner Bestrebungen und
Handlungen ist der große Vorwurf der Poesie.
Schopenhauer
I
ie Ästhetik ist schöpferisch nur, solange sie die transzendentale Methode
bewahrt. Im letzten Grunde blieben die psychologischen und meta#
physischen Versuche der nachkantischen Zeit fruchtlos, ohnmächtige
Mühen, einen Bestand nachzuzeichnen, dessen Wesen es gerade ist, zwischen
Psychologie und Metaphysik sein Dasein zu entfalten. Daß wir wie einen
physiologischen Prozeß die seelischen Abläufe nachzeichnen wollten und
das mythische Geheimnis des künstlerischen Daseins dogmatisch#formelhaft
auszusprechen wagten: es ist Beweis für Einstellungen, deren Herkunft alles
andere als künstlerisches Gewissen ist. Kunstphilosophisches Nachdenken
kann nur dies Eine sein: Feststellung des geometrischen Ortes von Kunst;
Einreihung in die Systematik des menschlichen Lebens; Vereinheitlichung
einer verwirrenden Mannigfaltigkeit unter ihrer platonischen Idee.
II
Man lese deshalb immer wieder die ästhetischen Schriften Schillers, der als
einziger kritizistische Disziplin und intuitives Schauen des Künstlers mit#
einander verband, um so einer Wirklichkeit Sinn zu verleihen, die an Sprache
und Optik so außerhalb aller anderen Realitäten unseres Dasein steht. Sollte
aus unserer Zeit heraus eine neue und schöpferische Kunstphilosophie er#
stehen, wozu aber alle Anzeichen fehlen, so müßte ihr Ausgangspunkt
Schiller heißen. Wie lächerlich die Überheblichkeit jener Laboratoriums#
helden, die aus den Irrtümern über irgendwelche körperlichen Reflexe eine
Erkenntnis über das Wesen der Kunst herauslesen wollen. Wie unfruchtbar
jene definitorischen Ausschweifungen, die, in Formeln mündend, der Idee
doch so fern bleiben. Es gilt, Orientierungen zu finden, die, durchaus in
ihrer zeitlichen Möglichkeit beschränkt, von einem Zentralpunkt ausgehen,
der die immanente Mitte des künstlerischen Lebens einer Gegenwart dar#
stellt. Solchem Unternehmen drohen allerhand Gefahren, die aber nicht zu
vermeiden sind, um das einmal gesteckte Ziel zu erreichen. Man mag ein#
wenden: sind derartige Spekulationen nicht überhaupt sinnlos? Sie sind es,
so bald sie eine Erziehung zur Kunst bezwecken, die ja nur durch das Kunst#
werk selbst geschehen kann. Sie sind es ebenfalls, wenn man glaubt, durch


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