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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Fechter, Paul: Religiöse Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0091

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RELIGIÖSE ARCHITEKTUR
PAUL FECHTER
Ile große Architektur ist im Grunde religiös, insofern sie über das
nur persönliche egoistische Interesse eines Einzelnen am Bau hinaus*
geht. Das Haus, das der einzelne Mensch sich auf Grund seiner per*
sönlichen Zwecke, seines besonderen Wollens errichtet, kann sehr schön,
ästhetisch sehr reizvoll, eine reine Lösung der gestellten Aufgabe sein: es
ist eine Angelegenheit, die auf Individuelles beschränkt ist. Die Allge*
meinheit hat nur in einer ganz abgeschwächten Form daran teil, indem
die Form des Hauses zuletzt nicht aus einem, sondern aus dem Kompro#
miß zweier Willen entsteht, dem des Bauherrn und dem des Architekten.
Und sie hat ferner passiv teil, weil sie das Ergebnis dieses Kompromisses,
wenn es vollendet ist, ständig vor Augen hat. Seelisch aber wachsen diese
persönlichen Zweckbauten unabhängig von der Beziehung auf ein All*
gemeines — und damit Religiöses.
Denn Religion wächst, wie schon der ursprüngliche Wortsinn sagt, nur auf
dem Boden der Gemeinsamkeit. Aus dem Gefühl der ungeheuren Ab*
hängigkeit aller Menschen von ungeheuren Schicksalen, aus dem Gefühl
der Bedingtheit vor dem Unbedingten, aus dem Bewußtwerden allgemeinen
unentrinnbaren Menschenloses steigt sie auf — mag sie sich bejahend oder
verneinend, weltzugewandt oder weltabgekehrt entwickeln. Religion ist
immer Bindung an ein Gefühl des Gebundenseins an ein Überpersönliches —
sei es im Sinne des Getragenwerdens vom Ganzen, sei es in dem der
Nichtigkeit vor dem Ganzen. Sie entsteht auf dem menschlichen Ur#
bedürfnis nach Verbundensein, nach Gemeinsamkeit gegenüber der dunk#
len Geheimnisfülle der Welt, deren Fremdheit sie durch besondere Bezie#
hungen in bestimmten Formen, der Deutung wie der Handlung aufzuheben
trachtet.
Religiöse Architektur ist von hier aus betrachtet ebenfalls Zweckarchitek#
tur, indem sie den Bedürfnissen, die aus diesem Gemeinsamkeitswillen sich
ergeben, zu dienen hat. Aber dieser Zweck ist nicht lediglich ein irdischer,
von irdischen Bedürfnissen bestimmter; er ergibt sich aus Forderungen der
Seele, aus Notwendigkeiten, die über dem Leben des Tages, dem das
irdische Haus zu dienen hat, wachsen. Der Bau, den religiöse Sehnsucht
schafft, muß selbstverständlich zunächst geschaffen sein, den äußeren For#
men dieses religiösen Lebens den Rahmen zu geben: indem dieses Leben
sich aber nicht mehr im äußeren Empirischen, sondern im Seelischen aU
spielt, sein Ziel jenseits des Tages hat, bekommt er ganz von selbst jenseits


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