MITTEILUNGEN DES BUNDES DERKÜNSTE IM
RHEINISCH ? WESTFÄLISCHEN INDUSTRIEGEBIET
1. JAHRGANG NR.8
JUNI 1922
SCHRIFTLEITUNG: DR. RICHART REICHE, BARMEN RUHMESHALLE, FERNSPRECHER NR. 1185
ANMERKUNGEN ZUM WESEN UND BEGRIFF
DES »KINDERTHEATERS«
as Wort ist geprägt worden — ich weiß nicht, ob es andere vor mir schon gefunden
kShatten — für planmäßige, der Entwicklung dienende Vorstellungen im Theater für
Kinder, die jährlich einige (etwa drei bis vier) solcher, unter leitender Idee stehende Vor*
Stellungen sehen sollen. Nicht also ist damit gemeint ein Theaterspielen durch Kinder, das
auch außerordentlich wertvoll, vor allem in erzieherischer und unterrichtlicher Hinsicht
sein kann und zweifellos auch sehr bildend ist, das aber ganz gesondert zu betrachten und
zu erörtern ist.
Wann Kindervorstellungen — historisch genommen — aufgekommen sind, kann ich im
Moment nicht sagen. Es wäre darüber die Theatergeschichte zu befragen.
An fast allen Bühnen gab es schon immer um die Weihnachtszeit ein Märchenstück für die
Kinderwelt; es gab daneben auch gelegentlich eine Klassikervorstellung — meist Wilhelm
Teil — und für etliche andere Klassikervorstellungen gab es (aber meist nur für höhere
Schulen) — die Schülerkarten.
Was fehlte, war dies: die Auswahl der Stücke, speziell für Kinder, also vor allem der Weih*
nachtsmärchen, war dem Zufall überlassen; wenn man so sagen darf — angesichts der Tat*
sache, daß ohne tieferes Interesse der Bühnenleitungen und meist auch ohne tieferes
Interesse für den Wert des Stückes und ohne tieferes Interesse der Darsteller für eine künst*
lerische Darbietung solch ein Stück gewählt und gespielt wurde; es war in jedem Betracht
N ebensache. Es ist bekannt, daß bis in die neueste Zeit hinein (und an manchen Theatern
heute noch) als Weihnachtsstück ausgemachter Schund aufgeführt wurde oder wird. Einer*
seits gab es bis vor wenigen Jahrzehnten oder wenigen Jahren nur wenige gute und dich*
terisch*dramatisch wertvolle Kinderstücke — anderseits hielt man für Kinder irgendeinen
Schmarren für gut genug — sah also an dieser Stelle gar kein künstlerisches und kunstpäda*
gogisches Problem. Erst in neuerer Zeit haben einige künstlerische Theater angefangen —
und finden allmählich mehr und mehr Nachahmung — die Kindervorstellungen wichtig zu
nehmen. Die Kunsterziehungsbewegung hat da gewissenschärfend gewirkt. In der Kunst*
erziehung vereinigten sich Künstler und Lehrer aller Schulgattungen — um Wege zu finden,
auf denen man Kunst, mehr als bisher geschah, den Kindern zuführen könne. Ein direkter
Einfluß auf die Theater ist hier noch nicht sichtbar geworden, abgesehen von den gelegent*
liehen, eben erwähnten Märchenvorstellungen (aber immer nur einmal im Jahr!) an künst*
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RHEINISCH ? WESTFÄLISCHEN INDUSTRIEGEBIET
1. JAHRGANG NR.8
JUNI 1922
SCHRIFTLEITUNG: DR. RICHART REICHE, BARMEN RUHMESHALLE, FERNSPRECHER NR. 1185
ANMERKUNGEN ZUM WESEN UND BEGRIFF
DES »KINDERTHEATERS«
as Wort ist geprägt worden — ich weiß nicht, ob es andere vor mir schon gefunden
kShatten — für planmäßige, der Entwicklung dienende Vorstellungen im Theater für
Kinder, die jährlich einige (etwa drei bis vier) solcher, unter leitender Idee stehende Vor*
Stellungen sehen sollen. Nicht also ist damit gemeint ein Theaterspielen durch Kinder, das
auch außerordentlich wertvoll, vor allem in erzieherischer und unterrichtlicher Hinsicht
sein kann und zweifellos auch sehr bildend ist, das aber ganz gesondert zu betrachten und
zu erörtern ist.
Wann Kindervorstellungen — historisch genommen — aufgekommen sind, kann ich im
Moment nicht sagen. Es wäre darüber die Theatergeschichte zu befragen.
An fast allen Bühnen gab es schon immer um die Weihnachtszeit ein Märchenstück für die
Kinderwelt; es gab daneben auch gelegentlich eine Klassikervorstellung — meist Wilhelm
Teil — und für etliche andere Klassikervorstellungen gab es (aber meist nur für höhere
Schulen) — die Schülerkarten.
Was fehlte, war dies: die Auswahl der Stücke, speziell für Kinder, also vor allem der Weih*
nachtsmärchen, war dem Zufall überlassen; wenn man so sagen darf — angesichts der Tat*
sache, daß ohne tieferes Interesse der Bühnenleitungen und meist auch ohne tieferes
Interesse für den Wert des Stückes und ohne tieferes Interesse der Darsteller für eine künst*
lerische Darbietung solch ein Stück gewählt und gespielt wurde; es war in jedem Betracht
N ebensache. Es ist bekannt, daß bis in die neueste Zeit hinein (und an manchen Theatern
heute noch) als Weihnachtsstück ausgemachter Schund aufgeführt wurde oder wird. Einer*
seits gab es bis vor wenigen Jahrzehnten oder wenigen Jahren nur wenige gute und dich*
terisch*dramatisch wertvolle Kinderstücke — anderseits hielt man für Kinder irgendeinen
Schmarren für gut genug — sah also an dieser Stelle gar kein künstlerisches und kunstpäda*
gogisches Problem. Erst in neuerer Zeit haben einige künstlerische Theater angefangen —
und finden allmählich mehr und mehr Nachahmung — die Kindervorstellungen wichtig zu
nehmen. Die Kunsterziehungsbewegung hat da gewissenschärfend gewirkt. In der Kunst*
erziehung vereinigten sich Künstler und Lehrer aller Schulgattungen — um Wege zu finden,
auf denen man Kunst, mehr als bisher geschah, den Kindern zuführen könne. Ein direkter
Einfluß auf die Theater ist hier noch nicht sichtbar geworden, abgesehen von den gelegent*
liehen, eben erwähnten Märchenvorstellungen (aber immer nur einmal im Jahr!) an künst*
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