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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Hilberseimer, Ludwig: Exotische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0044

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EXOTISCHE KUNST

LUDWIG HILBERSEIMER
Die Voraussetzungen der exotischen Kunst wurzeln unmittelbar im Religiösen. Form»
gewordener Ausdruck dieser Religiosität ist das Kunstwerk. Es ist ebenso mannigfaltig
wie die dem religiösen Bewußtsein entstammenden Gefühle. Schaffen ritueller Symbole ist
Aufgabe der Kunst. Wie in Indien und China, wo der Brahmaismus und Buddhismus Ur»
sache zu umfassenden Kunstschöpfungen wurde, oder in Europa das Christentum: die
Schöpfungen frühchristlicher, romanischer und gotischer Zeit und die von Byzanz und Ruß»
land, so ist auch bei den Exoten Religiosität treibende Kraft, den Gläubigen Symbole der
Gottesverehrung zu schaffen.
Was die exotischen Werke vor allem auszeichnet, und was sie, wie alles dem religiösen Be»
wußtsein Entspringende untereinander gemeinsam haben, ist ihr allgemein Verpflichtendes,
ihr Überpersönliches. Ihnen liegt kein zersetzender Subjektivismus zugrunde wie der euro»
päischen Kunst seit der Renaissance, die das Göttliche mehr und mehr verdrängte und das
Menschliche in den Vordergrund stellte. An Stelle der Religiosität wurde artistische Genuß»
sucht Ursache zu Kunstschöpfungen. Man betrachtete die Kunst als etwas Selbständiges.
Machte sie unabhängig vom religiösen Leben. Sie verlor dadurch ihren unendlich verschieden»
artigen, tiefen religiösen Inhalt. Wurde erklügelt und berechnend. Durch den Verlust ihres
Inhalts wurde die Kunst zur Formenspielerei. Aber ein Kunstwerk ist nur dann ein Kunst»
werk, »wenn es ein neues Gefühl (wie unbedeutend es auch sein mag) in den Kreislauf des
menschlichen Lebens fügt.« (L. Tolstoi: Was ist Kunst? Eugen Diederichs, Jena.)
Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und Einheit, welche die exotische Kunst in grandioser
Weise verwirklicht, ist wohl die Hauptursache zur Schätzung dieser vollkommenen Werke.
Denn die neue europäische Kunst strebt wieder nach Erreichung solchen Ziels. Sie versucht
den Urquellen der Schöpfung nahezukommen. Sucht die Grundelemente des Schaffens über»
haupt. Will sich von eingehendem Formalismus befreien: Ist Ausdruck seelischer Ener»
gien. Kommt aus geistigen Sphären.
Zwar ist der neue Mensch nicht voll naiven Glaubens. Aber er weiß darum. So sind denn
auch seine Werke mit den Einschränkungen solchen Wissens behaftet. Sie sind mehr eine
Angelegenheit des Hirns als des Herzens. Aber sein Wollen ist echt. Und das entscheidet.
Es liegt hier der Versuch vor, von der anderen Seite aus Herr der Phänomene zu werden,
und es ist kein Zufall, wenn der naive Mensch mit dem bewußten auf einer Ebene sich
findet, denn beide befinden sich im gleichen Stande der Vollkommenheit. Sie berühren sich in
dem Punkte, »wo die beiden Enden der ringförmigen Welt ineinandergreifen« (H. v. Kleist).
Pablo Picasso und Alexander Archipenko, die beiden Hauptinitiatoren der neuen Kunst,
verdanken ihre eigentliche Inspiration den Exoten. Die Primitiven Afrikas und Ozeaniens
wurden ihre Lehrmeister. Fetische, Ahnenbilder, Tanzmasken, wildverkrauste Ornamente
auf Geräten und Waffen erkannten sie in ihrem Wesen. Ihr Anblick erleuchtete sie. Ihr
selbstbetretener Weg wurde erhellt. Beide wandten sich dem Abstrakten zu, schufen kristal»
linische Gebilde. Eindeutiger Gestaltungswille mit grundlegenden Elementen führte sie zur
organischen Gebundenheit der Form. So schufen sie Werke, kristallhaft aus kosmischem
Geiste schießend.
Es darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß es sich bei Picasso wie bei Archipenko

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