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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Schmidt, Paul Ferdinand: Romantik und Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0233

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ROMANTIK
UND GEGEN WA R T
PAUL F. SCHMIDT
V on dem Ungefähr des Begrifflichen, das um den Namen der Romantik
seine Nebel breitet, unsere Vorstellung zu befreien, wird ein Hinab#
steigen zu den Quellen gut tun. Bei den Begründern der »Roman#
tischen Schule«, vor allem bei Friedrich Schlegel, Novalis, und bei Ph. Otto
Runge, findet man das Rüstzeug des Romantischen, und keine spätere Verhall#
hornung, keine populäre Verbürgerlichung darf uns dabei irre machen.
»Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn«, sagt Novalis, »dem Ge#
wohnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des
Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so roman#
tisiere ich es«. Dies ist der Kern in den vielfältigen Bildungsbestrebungen
der Romantiker: die Welt grenzenlos zu idealisieren oder wie Schlegel sich
ausdrückt, zu »poetisieren«: und daran erkennen wir das unbedingte Wieder#
auferstehen des deutschen Geistes in der Romantik; nicht nur ihren un#
versöhnlichen Haß gegen den Rationalismus der Aufklärung und die Prosa
der »harmonisch platten« Spießbürgerlichkeit, sondern ihre adlige Wehr
der reinen Geistigkeit in der Auffassung von Gott, Welt und Ich und ihre
Produktivität: die Welt als göttliche Einheit von Grund auf auszubauen
aus den verworrenen Trümmern der Sinnenwirklichkeit; die Wahrheit
und das Wesen der Dinge aus dem Sinnentrug emporzuheben.
Erfaßt man diesen Kern in seiner kristallenen Klarheit und Unergründlich#
keit, so ordnen sich die romantischen Theorien und Schöpfungen mühelos
ein; fällt wie Spreu das Nichthinzugehörige von ihm ab. Vor allem klärt
sich die große Antinomie des Klassischen und des Romantischen, die Fried#
rieh Schlegel schon 1802 (in seinem »Europa«) geahnt und tastend in großen
Zügen hingeschrieben, sein Bruder August Wilhelm in den Berliner Vor#
lesungen mit schärferer Bestimmtheit für die Literatur aufgestellt hat; und
die erst in unserenTagen durch Worringer und die ihm folgen ihre »gotische«
Prägung für die bildende Kunst gefunden hat. In diesem großen Wider#
streit der europäischen Geister nimmt die Romantik zuerst und mit Bewußt#
sein den Kampf für das germanische Recht auf Phantasie und Maßlosigkeit
gegen das romanische Ideal der edlen Gesetzmäßigkeit, gegen den klas#
sischen Formalismus auf. Es bedeutete die Geburtsstunde des seiner selbst
bewußtwerdenden deutschen Geistes, als Runge und Tieck im Februar 1802
in Dresden sich in gegenseitiger Aussprache von Goethe und seinen klassi#

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